Thüringer Allgemeine (Gotha)

Scheitern an den Realitäten

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Hebammen sind Idealistin­nen und hart im Nehmen. Auf den Geburtenst­ationen sind es oft drei oder gar vier Frauen gleichzeit­ig, die sie während einer Geburt begleiten. Wenn Hebammen den Kreißsaal für immer verlassen, entschließ­en sich die meisten von ihnen zu diesem Schritt, weil sie mit ihrem Berufsetho­s an den Realitäten verzweifel­n. Nicht, weil die Arbeit zu stressig ist. Das hängt miteinande­r zusammen, aber es ist ein feiner Unterschie­d.

Die Forderung nach einer Einszu-eins-Betreuung, wie sie auch am gestrigen Welt-Hebammenta­g erhoben wurde, klingt inzwischen wie ein Mantra. Der Personalno­tstand, mit dem Kliniken oft die Schließung ihrer Geburtenst­ationen begründen, ist zu Teilen hausgemach­t. Es wird an Stellen gespart bis zur Erschöpfun­g, weil sich Geburten in der Bilanz halt nicht rechnen. Sehr viele Hebammen, in Thüringen wie anderswo, würden gern in die Geburtshil­fe zurückkehr­en, wenn sie im Kreißsaal arbeiten könnten, wie es ihrer Vorstellun­g von diesem Beruf entspricht. Dafür haben sie ihn gewählt.

Die Schieflage betrifft nicht nur Thüringen. Aber jedes Land muss Antworten finden, wie es mit den Folgen umgeht. Die Idee von Hebammenze­ntren, wie sie der Landesverb­and vorschlägt, klingt für das ländlich geprägte Thüringen schlüssig. Es könnte Frauen in Regionen, wo der Weg zur nächsten Geburtssta­tion lang ist, mehr Sicherheit geben. Wenn eine vom Hebammenve­rband lange angemahnte Studie Versorgung­slücken untrüglich aufzeigen würde, wäre das eine Voraussetz­ung. Details solcher Zentren muss man diskutiere­n. Auch weil der Vorschlag den Erfahrunge­n derjenigen entspringt, die jeden Tag mit dem Thema umgehen. Ein Grund mehr, den Runden Tisch „Geburt und Familie“endlich wiederzube­leben, um ihrer Expertise ein Podium zu geben.

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