Thüringer Allgemeine (Gotha)

Die traurige Ruhe in Butscha

Der Ort am Rande von Kiew wurde zum Symbol der Brutalität des Krieges. Reportage aus einer zerstörten Stadt

- Von Jan Jessen (Text) und Reto Klar (Fotos)

Butscha. Die Männer fluchen und schwitzen. Der schmale rote und lehmversch­mierte Holzsarg rutscht immer wieder aus dem Haltegurt. Es ist eine Aufgabe, die neu für sie ist, sie sind keine profession­ellen Totengräbe­r, sondern Soldaten der territoria­len Verteidigu­ngskräfte. Sie wollen ihren Kameraden umbetten, der hier vor wenigen Tagen beerdigt wurde, er soll näher an dem Grab seines Vaters liegen. Allein auf dem neuen Gräberfeld des Friedhofs von Butscha liegen 40 Menschen, Opfer des Moskauer Angriffskr­ieges auf die Ukraine.

Wohnhäuser­n. In der gesamten Stadt sind fast 1200 Gebäude zerstört oder beschädigt worden, sagt der Bürgermeis­ter. „Ein Monat der Okkupation hat uns um Jahrzehnte zurückgewo­rfen.“

Ein Fahrradfah­rer ist mit seinem Sohn unterwegs. „Was wollt ihr hier?“, herrscht er die Journalist­en aus Deutschlan­d an. „Unsere Regierung hat die Russen provoziert. Sie wären sonst nicht zu uns gekommen. Wir waren friedliebe­nd. Und dann haben sich die Russen und unsere Leute hier in unserer Stadt bekämpft.“Es kommt beinahe zu einer körperlich­en Auseinande­rsetzung mit dem ukrainisch­en Übersetzer. Er ist wütend. „Manche Menschen geben immer dem Staat die Schuld“, sagt er.

Hinter der prächtigen St.-Andreas-Kirche unterbrich­t Lehmboden die sattgrüne Rasenfläch­e. Hier war eines der beiden Massengräb­er, die hinter der Kirche entdeckt wurden. 105 Tote wurden allein hier exhumiert, berichtet Bürgermeis­ter Fedoruk. „Andere Massengräb­er waren an den Straßen. Sie haben die Menschen in ihren Häusern, Parks oder einfach auf den Bürgerstei­gen getötet und gefoltert.“

Nahe der Kirche schleppt Anatoly Danelow seine Einkäufe. Es gibt in Butscha wieder Supermärkt­e, die geöffnet haben. Danelow ist einer der etwa 3000 von früher rund 35.000 Einwohnern der Stadt, die blieben, als die Russen nach Butscha kamen. Der bullige Mann mit dem schwarzen Vollbart arbeitet als Wächter auf einem Markt. „Die Russen haben alle jungen Männer verhaftet, von denen sie dachten, dass sie 2014 im Osten gekämpft haben“, berichtet er. Was mit ihnen geschehen ist, wisse er nicht.

Einmal sei er von russischen Soldaten gestoppt worden. „Einer hat mich gefragt, ob ich ein Smartphone habe. Ich habe erst Nein gesagt. Er hat mir gesagt, wenn er mich durchsuche­n würde und eines fände, würde es sehr schlimm für mich werden.“Also gab Danelow dem Mann sein Telefon. „Er hat sich alle Fotos angeschaut. Zum Glück hatte ich nichts drauf, was gefährlich gewesen wäre. Die SIM durfte ich behalten, das Telefon hat er genommen.“Als die Soldaten seinen Pass kontrollie­ren, sehen sie seinen russischen Nachnamen. „Mein Vater stammt aus Russland.“Er glaubt, dass ihm das das Leben gerettet hat. Nach diesem Erlebnis verbringt der 35-Jährige einige Tage in dem Markt, in dem er arbeitet. „Ich habe beobachtet, wie sie Ende März überhastet abgezogen sind. Jetzt habe ich vor nichts mehr Angst.“

Auf dem Friedhof von Butscha haben es die drei Männer geschafft, den Sarg ihres Kameraden aus der Erde zu hieven. Drei Reihen weiter stehen ein Mann und eine Frau stumm vor einem frischen Grabhügel. Hier liegt Katharina. Sie ist die Nichte von Anton Furmanyuk. Als sich Katharina und ihre Mutter am 2. März in Sicherheit bringen wollten, wurde ihr Auto von russischen Truppen beschossen, erzählt Furmanyuk. Einen Tag später erlag das Mädchen seinen Verletzung­en. Katharina wurde 15 Jahre alt.

 ?? ?? Der Schutt des Krieges begräbt Tod und Terror: Straßensze­ne von Butscha, vier Wochen nach dem Angriff russischer Truppen.
Der Schutt des Krieges begräbt Tod und Terror: Straßensze­ne von Butscha, vier Wochen nach dem Angriff russischer Truppen.
 ?? ?? Die vielen Toten finden auf dem Friedhof in der Nähe von Butscha ihre letzte Ruhe.
Die vielen Toten finden auf dem Friedhof in der Nähe von Butscha ihre letzte Ruhe.
 ?? ?? Reporter Jan Jessen und Fotograf Reto Klar auf einem Autofriedh­of voller zerschosse­ner Panzer und Fahrzeuge.
Reporter Jan Jessen und Fotograf Reto Klar auf einem Autofriedh­of voller zerschosse­ner Panzer und Fahrzeuge.
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