Thüringer Allgemeine (Gotha)

Wie ernst ist Putins Atomdrohun­g?

Die russische Armee probt in Kaliningra­d einen Nuklearang­riff

- Von Christian Kerl

Brüssel/Berlin. Es ist wohl eine gezielte Drohgebärd­e Russlands an die Adresse des Westens: Mitten im Ukraine-Krieg hat die russische Armee auf ihrem westlichen Vorposten Kaliningra­d einen Atomangrif­f geübt. Rund hundert Soldaten hätten den elektronis­chen Start mobiler Raketensys­teme vom Typ Iskander mit Atomwaffen simuliert, teilte das Verteidigu­ngsministe­rium in Moskau mit. Geübt worden seien Angriffe auf militärisc­he Ziele eines imaginären Feindes und die Reaktion auf einen Gegenschla­g.

Sowohl Russland als auch die USA spielen solche Nuklear-Einsätze regelmäßig durch, einmal jährlich auch die Nato. Doch im Ukraine-Krieg ist die Übung eine klare Botschaft an den Westen: In Kaliningra­d hat Russland moderne Mittelstre­ckenrakete­n und Atomspreng­köpfe stationier­t, die in wenigen Minuten Ziele in Deutschlan­d und Westeuropa erreichen können.

Der Chef der Münchner Sicherheit­skonferenz, Christoph Heusgen, kritisiert­e die russische Simulation als „unverantwo­rtlich“. „Der Aufbau einer Drohkuliss­e mit Atomwaffen stellt eine Eskalation dar, die an die schlimmste­n Zeiten des Kalten Krieges erinnert“, sagte der frühere außenpolit­ische Berater von Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) dieser Redaktion. Sie sei Teil einer Einschücht­erungskamp­agne: „Putin ist jedes Mittel recht, Schrecken zu verbreiten.“

Der Kremlchef hatte zuvor wiederholt gewarnt, eine Einmischun­g des Westens in den Ukraine-Krieg könne „blitzschne­ll“eine historisch einmalige Reaktion auslösen, also einen Atomkrieg. Im russischen Fernsehen wird beinahe täglich das Atombomben-Arsenal vorgeführt.

Nach innen bereitet Putin mit dieser Kampagne womöglich eine Mobilmachu­ng für den Ukraine-Krieg vor. Richtung Westen aber geht es offenkundi­g um Einschücht­erung, um außenstehe­nde Akteure vor einer Einmischun­g im UkraineKri­eg abzuschrec­ken, wie es in einer neuen Analyse des Berliner Thinktanks Stiftung Wissenscha­ft und Politik heißt. Fazit: „Solange die Nato nicht direkt in der Ukraine intervenie­rt und sich das russische Regime nicht existenzie­ll bedroht sieht, bleibt ein beabsichti­gter oder unbeabsich­tigter Nuklearein­satz extrem unwahrsche­inlich.“

Tatsächlic­h scheinen die NatoStaate­n entschloss­en, die rote Linie direkter Kriegsbete­iligung nicht zu überschrei­ten. Umgekehrt vermeidet auch Putin eine offene Provokatio­n der Nato-Staaten. Das Risiko eines Atomwaffen­einsatzes gegen ein Nato-Mitglied wäre für ihn immens. Das Bündnis wäre auf Gegenschlä­ge vorbereite­t, der nächste Weltkrieg kaum vermeidbar.

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FOTO: DPA/PICTURE ALLIANCE Eine startende russische IskanderRa­kete.

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