Wie ernst ist Putins Atomdrohung?
Die russische Armee probt in Kaliningrad einen Nuklearangriff
Brüssel/Berlin. Es ist wohl eine gezielte Drohgebärde Russlands an die Adresse des Westens: Mitten im Ukraine-Krieg hat die russische Armee auf ihrem westlichen Vorposten Kaliningrad einen Atomangriff geübt. Rund hundert Soldaten hätten den elektronischen Start mobiler Raketensysteme vom Typ Iskander mit Atomwaffen simuliert, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau mit. Geübt worden seien Angriffe auf militärische Ziele eines imaginären Feindes und die Reaktion auf einen Gegenschlag.
Sowohl Russland als auch die USA spielen solche Nuklear-Einsätze regelmäßig durch, einmal jährlich auch die Nato. Doch im Ukraine-Krieg ist die Übung eine klare Botschaft an den Westen: In Kaliningrad hat Russland moderne Mittelstreckenraketen und Atomsprengköpfe stationiert, die in wenigen Minuten Ziele in Deutschland und Westeuropa erreichen können.
Der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, kritisierte die russische Simulation als „unverantwortlich“. „Der Aufbau einer Drohkulisse mit Atomwaffen stellt eine Eskalation dar, die an die schlimmsten Zeiten des Kalten Krieges erinnert“, sagte der frühere außenpolitische Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) dieser Redaktion. Sie sei Teil einer Einschüchterungskampagne: „Putin ist jedes Mittel recht, Schrecken zu verbreiten.“
Der Kremlchef hatte zuvor wiederholt gewarnt, eine Einmischung des Westens in den Ukraine-Krieg könne „blitzschnell“eine historisch einmalige Reaktion auslösen, also einen Atomkrieg. Im russischen Fernsehen wird beinahe täglich das Atombomben-Arsenal vorgeführt.
Nach innen bereitet Putin mit dieser Kampagne womöglich eine Mobilmachung für den Ukraine-Krieg vor. Richtung Westen aber geht es offenkundig um Einschüchterung, um außenstehende Akteure vor einer Einmischung im UkraineKrieg abzuschrecken, wie es in einer neuen Analyse des Berliner Thinktanks Stiftung Wissenschaft und Politik heißt. Fazit: „Solange die Nato nicht direkt in der Ukraine interveniert und sich das russische Regime nicht existenziell bedroht sieht, bleibt ein beabsichtigter oder unbeabsichtigter Nukleareinsatz extrem unwahrscheinlich.“
Tatsächlich scheinen die NatoStaaten entschlossen, die rote Linie direkter Kriegsbeteiligung nicht zu überschreiten. Umgekehrt vermeidet auch Putin eine offene Provokation der Nato-Staaten. Das Risiko eines Atomwaffeneinsatzes gegen ein Nato-Mitglied wäre für ihn immens. Das Bündnis wäre auf Gegenschläge vorbereitet, der nächste Weltkrieg kaum vermeidbar.