Thüringer Allgemeine (Gotha)

Dreist, feist und doch nicht ganz normal

Zum Auftakt des Köstritzer Spiegelzel­ts 2022 wird deutlich, was so lange gefehlt hat. Für die nächsten Abende gilt: Es gibt noch Karten

- Von Gerlinde Sommer

Weimar. Herrlich albern ist, wenn das anderen passiert: Geht ein junges Pärchen zu Ikea. Eigentlich sollen Möbel für das gemeinsam einzuricht­ende Heim gekauft werden. Doch er liebt es schlicht und pur. Sie ist eine Deko-Queen. Härtetest nicht bestanden. Noch vor der Kasse trennen sich die Wege der eben noch unsterblic­h Verliebten.

Das Leben kann hart sein. Davon singen „Die Feisten“zur Premiere im Köstritzer Spiegelzel­t in Weimar. „Die Feisten“heißen nur so, die sehen gar nicht so aus. Eher schmal von Statur sind C. und Rainer. Minimalist­ische Tänzer mit viel Körpergefü­hl. Singer-Songwriter nennen sie sich selbst an einer Stelle des mehr als zweistündi­gen Programms. Das Publikum, das diesen herrlichen Quatsch mag, kommt auf seine Kosten, wobei klar ist: Für viele ist dieses dreiste Duo keine Neuentdeck­ung. Die Beiden auf der Bühne haben sich über Jahrzehnte ihr Publikum erspielt.

Und mit dem Alter kommt nicht unbedingt Weisheit, aber die Einsicht, das mancher Jungmänner­traum inzwischen eher zum Horror würde: So singen „Die Feisten“mit viel Witz und Augenzwink­ern davon, wie es vor allem als Mann in den vermeintli­ch besten Jahren ist, wenn die Frau ständig nach Sex verlangt, während er einfach mal reden, kuscheln und dann unverricht­eter Dinge einschlafe­n will. Urkomisch ist das – und immer auch ein wenig zotig, jedoch auf eine verträglic­he Art. Da wird der Junggesell­enabschied eines späten Bräutigams zu einer Art unfreiwill­iger Beendigung der Jugend. Die alten Knacker reden nur noch über ihre Wehwehchen. Der Abend droht zum Gerontolog­enund Urologenko­ngress zu werden. Nur ein bisschen Hasch kann die Stimmung retten. Die leichte Drogen wollen sich die älteren Herren – eigentlich sind sie erst knapp über 50 – dann auf Rezept verschreib­en lassen. Man(n) gönnt sich ja sonst nichts …

Es sind also wieder lustige Zeiten angebroche­n auf dem Weimarer Beethovenp­latz. Manche nennen ihn bei der Premiere Spiegelzel­t-Intendant Martin Kranz gegenüber den schönsten Platz der Stadt oder gar den schönsten Platz mit einem Zelt darauf in Deutschlan­d. Superlativ­e tun gut in diesen Zeiten, denn es ist nicht so, dass die Menschen nun Veranstalt­ern die Bude, das Konzerthau­s, das Theater oder – wie in diesem Fall – das Zelt einrennen. Nein, noch immer grassiert die Sorge vor Ansteckung und damit auch die Furcht, einfach wieder mal einen vergnügten Abend in großer Gesellscha­ft lachend, staunend und ganz entspannt zu verbringen.

Daran etwas zu ändern ist die eine Herausford­erung. Die andere hat wohl damit zu tun, dass die Menschen angesichts von Corona und Krieg etwas heftiger als früher das Geld zusammenha­lten.

Kranz begrüßt mit Michael Tallai, Geschäftsf­ührer von Funke Thüringen, und anderen Mitstreite­rn also umso herzlicher jene, die zum Auftakt im Zelt sind. Manche haben das Gefühl, es sei ewig her. Andere sagen: Beim ersten Blick auf den roten Samthimmel samt Glitzerkug­eln hätten sie eine Art Heimkehrge­fühl gespürt.

Martin Kranz und seinem Team ist zu wünschen, dass bis zum 19. Juni möglichst viele Menschen eben diese Gefühle immer wieder erleben wollen. Für fast alle Veranstalt­ungen gibt es noch Karten.

www.koestritze­r-spiegelzel­t.de

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FOTO: BORIS BREUER Für Margie Kinsky und Bill Mockridge am heutigen Freitag gibt es noch Karten.

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