Thüringer Allgemeine (Gotha)

Gothaer Wildkatze wird Eichsfelde­rin

Das am Krahnberg gefundene Tier ist im Bärenpark Worbis aufgepäppe­lt worden und gelangt nun in Freiheit

- Von Klaus-Dieter Simmen

Gotha. „Heute will sie gar nichts mehr mit mir zu tun haben und findet mich einfach nur noch doof“, sagt Heike Lindemann und freut sich auch noch darüber. Als das Wildkatzen­baby in ihre Obhut im Bärenpark in Worbis kam, hatte es die Augen noch nicht geöffnet, genauso wie sein Bruder. Gemeinsam kümmerte sich Heike Lindemann mit Ulrike Richter um die Tierkinder vom Krahnberg.

Die kleine Katze hat in ihrem jungen Leben zweimal großes Glück gehabt. Das erste Mal, als ihre Mutter nahe der Freundwart­e überfahren wurde, so widersprüc­hlich das auch klingt. Denn deren Kadaver fand Ronald Bellstedt. Der Kreisvorsi­tzende des Nabu erkannte sofort, dass es sich um eine Wildkatze handelte, die gerade erst Junge geworfen hatte. Was wird jetzt aus dem Nachwuchs, war die bange Frage. Bellstedt organisier­te umgehend eine Suchaktion, an der sich Nabu-Mitglieder beteiligte­n.

Allein und hilflos in einem Bunker gefunden

Ob diese erfolgvers­prechend war, stand in den Sternen. Für die Tierbabys tickte die Uhr. Ohne Futter hatten sie nur wenig Chancen zu überleben. Die fünfstündi­ge Aktion blieb erfolglos. Als letzte Möglichkei­t begutachte­te Thomas Faulstich einen ehemaligen Bunker der Roten Armee. Und hier fand er die beiden kleinen Wildkatzen kläglich um Futter bettelnd.

Zur fachmännis­chen Aufzucht brachten die Nabu-Mitglieder diese in den Worbiser Bärenpark. Dort ging‘s ihnen gut, bis eine tödliche Krankheit das Leben der Welpen bedrohte. Der Bruder der Katze starb daran. „Dass es die Schwester schaffte, grenzt an ein Wunder“, sagt Sabrina Schröder, Projektlei­terin im Bärenpark. Angesteckt haben sich die Wildtiere bei Hauskatzen, die in der Einrichtun­g abgegeben worden waren.

„Trotz strikter Quarantäne konnten wir nicht verhindern, dass es zur Infektion kam“, bedauert Schröder. Umso erfreulich­er, dass wenigstens eins der Gothaer Tiere nun kurz davor ist, als kräftige Katze in die Freiheit entlassen zu werden – ausgebilde­t mit all den Fähigkeite­n, die ihr das Überleben im Wald sichern.

Es gibt immer wieder Menschen, die im Bärenpark Katzen abgeben, die sie im Wald gefunden haben. Ob die Mutter noch am Leben ist oder nicht, werde dabei nicht geprüft. Deshalb bittet Schröder, die Fundtiere

lieber vor Ort zu lassen. Dass sie von ihren Muttertier­en aufgezogen werden, ist wahrschein­lich. Nur wer ganz sicher ist, Waisen gefundne zu haben, sollte eingreifen.

Die Nabu-Mitglieder hätten sich gewünscht, dass das Tier wieder da seine Freiheit genießt, wo es geboren wurde, nämlich auf dem Krahnberg bei Gotha. Allerdings überzeugte­n sie die Argumente aus Worbis. Zum einen würde der Transport im Auto die junge Katze stressen. Und letztlich werden beim Schritt in die Freiheit nicht sofort alle Fäden zum Menschen zerschnitt­en. „Wir haben unser Gelände deutlich erweitert, um 30 Hektar“, informiert Projektlei­terin Schröder. Ein

Teil des Geländes ist eingezäunt und wird neue Heimat von Bären und Luchsen. Die meisten davon kommen aus Zoos in der Ukraine, von wo sie evakuiert wurden.

Hänger hält Futter für die ersten Tage in Freiheit vor

„Der Wald dahinter wird aus jeglicher Nutzung herausgeno­mmen, also wird dort weder gejagt noch werden Bäume gefällt. Das wird die neue Heimat der Wildkatze. Sie wird mit einem Hänger dort hingebrach­t, zu dem sie in den ersten Tagen auch immer wieder zurückkehr­en kann, um sich Futter zu holen.“Das sei am Krahnberg nicht so einfach zu bewerkstel­ligen gewesen, findet Sabrina Schröder. Dass die Katze in Freiheit nicht zurecht kommt, kann sich Heike Lindemann nicht vorstellen. „Sie ist eine geschickte Jägerin, wie wir sehen konnten.“

Als Katzenmütt­er sind sie und Ulrike Richter zwangsläuf­ig eine Bindung mit den Wildtieren eingegange­n. „Wir haben sie mit der Flasche gefüttert, ihnen den Bauch gekrault, weil die Verdauung noch nicht so richtig funktionie­rte. Und all das haben sie sich gern gefallen lassen.“Mit zunehmende­n Alter und dazu gehöriger Selbststän­digkeit setzte sich jedoch das Wildtier durch. „Es ist nicht so, dass uns die Katze nicht erkennt, nur passen wir nicht mehr in ihr Leben.“Das sei auch gut so, findet die Katzenmutt­er, die seit 20 Jahren im Bärenpark arbeitet.

In den nächsten Tagen wird das Wildtier seinen neuen Lebensraum erobern. Das hat sich um einige Tage hinausgezö­gert, weil die Katze rollig war. Zu groß die Gefahr, dass sie im Liebesraus­ch unter die Räder gekommen wäre. „Aber jetzt wird alles gut“, freut sich Sabrina Schröder. „Und wir wissen, im Wald hier kommen Wildkatzen vor, so dass die Partnersuc­he unseres Kätzchens nicht lange dauern wird.“

Und wer weiß, vielleicht wandert ja ihr Nachwuchs dereinst auf der Suche nach neuem Lebensraum bis hin zum Krahnberg.

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FOTO: BÄRENPARK WORBIS In den nächsten Tagen wird das Wildtier seinen neuen Lebensraum erobern. Auch in Freiheit kann das Tier für ausreichen­d Nahrung sorgen, sind sich die Expertinne­n und Experten Naturschut­zbund sicher.
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So fand man die Katzenkind­er im Mai 2021 am Krahnberg bei Gotha. Im Bärenpark wurden die Tierkinder aufgepäppe­lt.
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FOTOS (2): KLAUS-DIETER SIMMEN Länger als geplant blieb Heike Lindemann Katzenmutt­er für ihren Pflegling und ging eine enge Bindung mit ihm ein.

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