Die Liebe zum Kino
„Das Licht, aus dem die Träume sind“strahlt aus Indien bis in Thüringer Lichtspieltheater
Weimar. Mit Licht zeichnen und die Bilder das Laufen lehren: Von dieser Idee ist der kleine Samay augenblicks fasziniert, als er zum ersten Mal mit dem Kino Kontakt gewinnt. Nun steht für den Jungen aus dem Land mit einer der größten Filmindustrien der Welt fest, dass er Regisseur werden will, und liebevoll erzählt Autorenfilmer Pan Nalin seine Geschichte: „Das Licht, aus dem die Träume sind“leuchtet von Donnerstag an auch in unsere hiesigen Lichtspieltheater.
Im Gewimmel der Stadt zanken vorm Galaxy die Menschen um Tickets. Nur die Glücklichen finden Platz in dem staubigen Saal, wo Tauben wohnen. Doch keine Zeit für simple Romantik: Zu hypnotischer Raga-Musik aus den Lautsprechern drehen sich bunt gewandete Tänzer im Takt auf der Leinwand: „Heil Göttin Kali!“Samay (Bhavin Rabari) macht große Augen. Da hat ihn der Geist der sphärischen Lichtkunst bereits erfasst.
Strikt lehnt Papa Bapuji (Dipen Raval) den Berufswunsch des Filius ab: „Hast du je den Sohn eines Brahmanen so was Beschämendes machen sehen?“fragt er. Die sanfte
Mama Ba (Richa Meena) versucht zu vermitteln – und ohne, dass sie es weiß, wirkt ihre Kochkunst Wunder: Samay schwänzt die Schule und darf im Kino bei Fazal (Bhavesh Shrimali) im Vorführraum sitzen, wenn er ihm seine Lunchbox mit den leckeren Chapatis und Okraschoten überlässt.
Das Kino als Schule des Lebens
So bleibt Samay unter den Jungs seines Dorfes zunächst ein Außenseiter und verbringt, wann immer er nicht gerade dem Vater helfen muss, an der Bahnstation mit einem fliegenden Laden Tee an Reisende zu verkaufen, alle Zeit im Kino. Es wird dem Träumer zu einer Schule des Lebens.
Regisseur Pan Nalin findet magische Bilder, wenn Samay in cineastische Welten abtaucht, er malt pastos mit irisierenden Farben und zaubert mit Schatten. Trotz einiger Bollywood-Zitate auf Fazals Leinwand ist er in seiner filmischen Sprache eher an den europäischen Ursprüngen dieser Kunst orientiert und hat in seiner selbstreferenziellen, teils autobiografischen Kino-Hommage sogar – für kundige Augen – einige Anspielungen versteckt: an Pioniere wie die Brüder Lumière („Ankunft eines Zuges in La Ciotat“) und Eadweard Muybridge mit seiner berühmten Fotoserie von der Pferderennbahn, aber auch an Stan Kubricks „Space Odyssey“, an „Lawrence von Arabien“und Tarkowskis „Stalker“.
„Filme wurden erfunden, um den Leuten etwas vorzugaukeln“, warnt indessen Fazal. So merkt man zu spät, wie die Zeiten sich ändern. Die Bahnstrecke wird modernisiert, und im Galaxy muss der alte, analoge Projektor der Digitaltechnik weichen. Das kostet prompt Jobs. So muss Samay lernen, auf den Fortschritt zu reagieren: Weggehen und Englisch lernen, lautet der Rat seines Lehrers. Was wird er tun?
Wir aber haben, wenn wir das Kino verlassen, etwas erfahren über indische Kochkunst und Lebensart und auch über die sozialen Verhältnisse dort. Nostalgisch schmökern wir in Gert Hofmanns „Kinoerzähler“oder Alexander Kluges „Geschichten vom Kino“– oder suchen den nächsten Film in unserem Lieblings-Lichtspieltheater aus. Kintopp ist ein Fenster zur Welt, in der das Licht, aus dem die Träume sind, uns alle miteinander verbindet.
Ab Donnerstag, 12. Mai, im Kinoklub am Hirschlachufer Erfurt, Lichthaus Weimar, Metropol Gera und Schillerhof Jena