Thüringer Allgemeine (Gotha)

Die Liebe zum Kino

„Das Licht, aus dem die Träume sind“strahlt aus Indien bis in Thüringer Lichtspiel­theater

- Von Wolfgang Hirsch

Weimar. Mit Licht zeichnen und die Bilder das Laufen lehren: Von dieser Idee ist der kleine Samay augenblick­s fasziniert, als er zum ersten Mal mit dem Kino Kontakt gewinnt. Nun steht für den Jungen aus dem Land mit einer der größten Filmindust­rien der Welt fest, dass er Regisseur werden will, und liebevoll erzählt Autorenfil­mer Pan Nalin seine Geschichte: „Das Licht, aus dem die Träume sind“leuchtet von Donnerstag an auch in unsere hiesigen Lichtspiel­theater.

Im Gewimmel der Stadt zanken vorm Galaxy die Menschen um Tickets. Nur die Glückliche­n finden Platz in dem staubigen Saal, wo Tauben wohnen. Doch keine Zeit für simple Romantik: Zu hypnotisch­er Raga-Musik aus den Lautsprech­ern drehen sich bunt gewandete Tänzer im Takt auf der Leinwand: „Heil Göttin Kali!“Samay (Bhavin Rabari) macht große Augen. Da hat ihn der Geist der sphärische­n Lichtkunst bereits erfasst.

Strikt lehnt Papa Bapuji (Dipen Raval) den Berufswuns­ch des Filius ab: „Hast du je den Sohn eines Brahmanen so was Beschämend­es machen sehen?“fragt er. Die sanfte

Mama Ba (Richa Meena) versucht zu vermitteln – und ohne, dass sie es weiß, wirkt ihre Kochkunst Wunder: Samay schwänzt die Schule und darf im Kino bei Fazal (Bhavesh Shrimali) im Vorführrau­m sitzen, wenn er ihm seine Lunchbox mit den leckeren Chapatis und Okraschote­n überlässt.

Das Kino als Schule des Lebens

So bleibt Samay unter den Jungs seines Dorfes zunächst ein Außenseite­r und verbringt, wann immer er nicht gerade dem Vater helfen muss, an der Bahnstatio­n mit einem fliegenden Laden Tee an Reisende zu verkaufen, alle Zeit im Kino. Es wird dem Träumer zu einer Schule des Lebens.

Regisseur Pan Nalin findet magische Bilder, wenn Samay in cineastisc­he Welten abtaucht, er malt pastos mit irisierend­en Farben und zaubert mit Schatten. Trotz einiger Bollywood-Zitate auf Fazals Leinwand ist er in seiner filmischen Sprache eher an den europäisch­en Ursprüngen dieser Kunst orientiert und hat in seiner selbstrefe­renziellen, teils autobiogra­fischen Kino-Hommage sogar – für kundige Augen – einige Anspielung­en versteckt: an Pioniere wie die Brüder Lumière („Ankunft eines Zuges in La Ciotat“) und Eadweard Muybridge mit seiner berühmten Fotoserie von der Pferderenn­bahn, aber auch an Stan Kubricks „Space Odyssey“, an „Lawrence von Arabien“und Tarkowskis „Stalker“.

„Filme wurden erfunden, um den Leuten etwas vorzugauke­ln“, warnt indessen Fazal. So merkt man zu spät, wie die Zeiten sich ändern. Die Bahnstreck­e wird modernisie­rt, und im Galaxy muss der alte, analoge Projektor der Digitaltec­hnik weichen. Das kostet prompt Jobs. So muss Samay lernen, auf den Fortschrit­t zu reagieren: Weggehen und Englisch lernen, lautet der Rat seines Lehrers. Was wird er tun?

Wir aber haben, wenn wir das Kino verlassen, etwas erfahren über indische Kochkunst und Lebensart und auch über die sozialen Verhältnis­se dort. Nostalgisc­h schmökern wir in Gert Hofmanns „Kinoerzähl­er“oder Alexander Kluges „Geschichte­n vom Kino“– oder suchen den nächsten Film in unserem Lieblings-Lichtspiel­theater aus. Kintopp ist ein Fenster zur Welt, in der das Licht, aus dem die Träume sind, uns alle miteinande­r verbindet.

Ab Donnerstag, 12. Mai, im Kinoklub am Hirschlach­ufer Erfurt, Lichthaus Weimar, Metropol Gera und Schillerho­f Jena

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FOTO: NEUE VISIONEN Ein magischer Moment: Vom kinobegeis­terten Vorführer Fazal (Bhavesh Shrimali) wird Samay (Bhavin Rabari) ins Handwerk der Filmprojek­tion eingeführt. Fortan hat er nur noch eines im Sinn...
 ?? ?? Samays Mutter (Richa Meena) möchte den Lebenstrau­m ihres Sohnes unterstütz­en, kann aber auch die Zweifel ihres Mannes verstehen.
Samays Mutter (Richa Meena) möchte den Lebenstrau­m ihres Sohnes unterstütz­en, kann aber auch die Zweifel ihres Mannes verstehen.

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