Sylt schlägt Touristenalarm
Neun-Euro-Ticket könnte Besucheransturm auslösen. Verband warnt vor übervollen Zügen
Sylt. Sogar der Tourismuschef hat ein schlechtes Gefühl bei der Sache. Klar, Sylt lebt von den Urlaubern. Zu viele sollen aber nicht kommen, bitte sehr, sonst wird es voll am Strand. Nun befürchten Insulaner, dass ihr geliebtes Nordsee-Eiland geradezu überlaufen wird. Die Schuld geben sie dem geplanten Neun-Euro-Ticket. Denn damit könnten im Sommer Touristenscharen Richtung Sylt tuckern und die Pendlerzüge verstopfen. Die Insel, schlägt Sylt-MarketingGeschäftsführer Moritz Luft Alarm, sei nicht gerüstet für den „zu erwartenden Ansturm“.
Knapp drei Wochen vor dem Start des von der Bundesregierung beschlossenen preiswerten Tickets für den Nahverkehr sorgt das Angebot auf den per Bahn erreichbaren deutschen Inseln für Ärger. Auf Usedom mahnen sie, dass die Zugverbindung während der Hauptsaison ohnehin an ihre Kapazitätsgrenzen stoße. Vor einer „katastrophalen Überfüllung“warnt der Fahrgastverband ProBahn. Und den Syltern schwant, dass in den Zügen, die die Insel über den acht Kilometer langen Hindenburgdamm mit dem Festland verbinden, kaum ein freier Platz zu bekommen sein wird. In den Sommermonaten seien viele Bahnen und Busse ohnehin schon am Limit, auch ohne die vergünstigten Fahrscheine, sagt Moritz Luft.
Der Mittvierziger arbeitet seit 16 Jahren auf Sylt und weiß, dass die bei zahlreichen Prominenten beliebte Ferieninsel für Schampus und Sterne-Restaurants steht. Er wolle nicht den Eindruck erwecken, „ein Biotop von Schönen und Reichen“bewahren zu wollen, stellt der gelernte Hotelkaufmann klar. Er denke an Familien oder die vielen Jugend- und Schulgruppen, die ihren Sommerurlaub an der Nordsee verbringen. Auch für die „wollen wir einen störungsfreien und entspannten Urlaub aufrechterhalten“. Seine Warnung vor Überfüllung hat den Syltern dennoch Häme eingebracht. In den sozialen Netzwerken wird sie mitunter so interpretiert: Sylt hat Angst, dass der Pöbel das bekannte Dünenlokal Sansibar stürmt. Auf Twitter ist spöttisch von einer drohenden „Syltokalypse“die Rede.
Auf der Insel werden böse Erinnerungen wach
Ob es so kommt, muss sich erst noch zeigen. Das Neun-Euro-Ticket soll vom 1. Juni bis 31. August gelten. Ist es wirklich realistisch, dass Zehntausende mit Sitzfleisch ausgestattete Kölner, Frankfurter oder Dresdener rund elf Stunden lang mit Regionalexpressen Richtung Norden gondeln – einfach nur, weil sie es sich erlauben können? Und gibt jemand, der für kleines Geld verreisen möchte, Hunderte Euro für ein Hotelzimmer aus? Zwischen List und Hörnum erinnern sich manche mit
Schrecken an das von der Bahn Mitte der 1990er-Jahre eingeführte „Schönes-Wochenende-Ticket“für 15 Mark. Damals seien tatsächlich unzählige Kurzurlauber angereist. Einige schimpften damals auf die „Billigtouristen“, die anspruchsvolle Stammgäste vergrätzten.
Luft appelliert an die Besucher, bei ihrer Anreise auf Randzeiten auszuweichen, damit der Hindenburgdamm nicht zum Nadelöhr wird. Natürlich könnte man einfach mehr Züge einsetzen und so für Entlastung sorgen, doch das ist nicht so einfach. „Bundesweit stehen alle Nahverkehrsakteure vor der Herausforderung, dass es kaum zusätzliche Fahrzeuge und vor allem kaum zusätzliches Personal gibt, um zusätzliche Bahnen und Busse fahren zu lassen“, sagt ein Sprecher des schleswig-holsteinischen Nahverkehrsverbundes. Niemand könne vorhersagen, wann und wo es wirklich zu Überlastungen kommt. Der Nahverkehrsverbund rät Sylt-Besuchern, keine Fahrräder mit in den Zug zu nehmen, um Platz zu sparen. Vom Bund können die Sylter jedenfalls keine Hilfe erwarten. Man gehe davon aus, heißt es aus dem Verkehrsministerium lapidar, „dass die Verkehre entsprechend organisiert werden“.