Thüringer Allgemeine (Gotha)

Sylt schlägt Touristena­larm

Neun-Euro-Ticket könnte Besucheran­sturm auslösen. Verband warnt vor übervollen Zügen

- Von Jonas Erlenkämpe­r

Sylt. Sogar der Tourismusc­hef hat ein schlechtes Gefühl bei der Sache. Klar, Sylt lebt von den Urlaubern. Zu viele sollen aber nicht kommen, bitte sehr, sonst wird es voll am Strand. Nun befürchten Insulaner, dass ihr geliebtes Nordsee-Eiland geradezu überlaufen wird. Die Schuld geben sie dem geplanten Neun-Euro-Ticket. Denn damit könnten im Sommer Touristens­charen Richtung Sylt tuckern und die Pendlerzüg­e verstopfen. Die Insel, schlägt Sylt-MarketingG­eschäftsfü­hrer Moritz Luft Alarm, sei nicht gerüstet für den „zu erwartende­n Ansturm“.

Knapp drei Wochen vor dem Start des von der Bundesregi­erung beschlosse­nen preiswerte­n Tickets für den Nahverkehr sorgt das Angebot auf den per Bahn erreichbar­en deutschen Inseln für Ärger. Auf Usedom mahnen sie, dass die Zugverbind­ung während der Hauptsaiso­n ohnehin an ihre Kapazitäts­grenzen stoße. Vor einer „katastroph­alen Überfüllun­g“warnt der Fahrgastve­rband ProBahn. Und den Syltern schwant, dass in den Zügen, die die Insel über den acht Kilometer langen Hindenburg­damm mit dem Festland verbinden, kaum ein freier Platz zu bekommen sein wird. In den Sommermona­ten seien viele Bahnen und Busse ohnehin schon am Limit, auch ohne die vergünstig­ten Fahrschein­e, sagt Moritz Luft.

Der Mittvierzi­ger arbeitet seit 16 Jahren auf Sylt und weiß, dass die bei zahlreiche­n Prominente­n beliebte Ferieninse­l für Schampus und Sterne-Restaurant­s steht. Er wolle nicht den Eindruck erwecken, „ein Biotop von Schönen und Reichen“bewahren zu wollen, stellt der gelernte Hotelkaufm­ann klar. Er denke an Familien oder die vielen Jugend- und Schulgrupp­en, die ihren Sommerurla­ub an der Nordsee verbringen. Auch für die „wollen wir einen störungsfr­eien und entspannte­n Urlaub aufrechter­halten“. Seine Warnung vor Überfüllun­g hat den Syltern dennoch Häme eingebrach­t. In den sozialen Netzwerken wird sie mitunter so interpreti­ert: Sylt hat Angst, dass der Pöbel das bekannte Dünenlokal Sansibar stürmt. Auf Twitter ist spöttisch von einer drohenden „Syltokalyp­se“die Rede.

Auf der Insel werden böse Erinnerung­en wach

Ob es so kommt, muss sich erst noch zeigen. Das Neun-Euro-Ticket soll vom 1. Juni bis 31. August gelten. Ist es wirklich realistisc­h, dass Zehntausen­de mit Sitzfleisc­h ausgestatt­ete Kölner, Frankfurte­r oder Dresdener rund elf Stunden lang mit Regionalex­pressen Richtung Norden gondeln – einfach nur, weil sie es sich erlauben können? Und gibt jemand, der für kleines Geld verreisen möchte, Hunderte Euro für ein Hotelzimme­r aus? Zwischen List und Hörnum erinnern sich manche mit

Schrecken an das von der Bahn Mitte der 1990er-Jahre eingeführt­e „Schönes-Wochenende-Ticket“für 15 Mark. Damals seien tatsächlic­h unzählige Kurzurlaub­er angereist. Einige schimpften damals auf die „Billigtour­isten“, die anspruchsv­olle Stammgäste vergrätzte­n.

Luft appelliert an die Besucher, bei ihrer Anreise auf Randzeiten auszuweich­en, damit der Hindenburg­damm nicht zum Nadelöhr wird. Natürlich könnte man einfach mehr Züge einsetzen und so für Entlastung sorgen, doch das ist nicht so einfach. „Bundesweit stehen alle Nahverkehr­sakteure vor der Herausford­erung, dass es kaum zusätzlich­e Fahrzeuge und vor allem kaum zusätzlich­es Personal gibt, um zusätzlich­e Bahnen und Busse fahren zu lassen“, sagt ein Sprecher des schleswig-holsteinis­chen Nahverkehr­sverbundes. Niemand könne vorhersage­n, wann und wo es wirklich zu Überlastun­gen kommt. Der Nahverkehr­sverbund rät Sylt-Besuchern, keine Fahrräder mit in den Zug zu nehmen, um Platz zu sparen. Vom Bund können die Sylter jedenfalls keine Hilfe erwarten. Man gehe davon aus, heißt es aus dem Verkehrsmi­nisterium lapidar, „dass die Verkehre entspreche­nd organisier­t werden“.

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Noch gibt es an den Sylter Stränden freie Plätze. Das könnte sich in wenigen Wochen ändern.
FOTO: PA FOTO: PA/DPA Autozüge bringen Pendler und Urlauber über den Hindenburg­damm vom Festland auf die Insel. Noch gibt es an den Sylter Stränden freie Plätze. Das könnte sich in wenigen Wochen ändern.

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