Es war nicht alles gut
Wenn der Alltag mal wieder seine fiesen Fallstricke auslegt, halte ich mich an den Rat meiner Mutter: Stell dir das nächst Schlimmere vor. Als Bewältigungsstrategie hat sich das bewährt. Der gedankliche Vorgriff auf ein größeres Übel lässt die Bedeutsamkeit des vorhandenen zu einer lächerlichen Lappalie schrumpfen, oder, um mit Loriot zu sprechen: Gut, dass das jetzt passiert!
Doch es muss gewarnt werden. Ausgerechnet im schwer kontrollierbaren Bereich, in dem wir nichts anderes wünschen als immerwährende Glückseligkeit, kann sich genau das ins Gegenteil verkehren. Gerade noch, also vor zehn, fünfzehn Jahren, schwebte man frisch verliebt auf Wolke sieben, um sich plötzlich in Jogginghosen auf der Couch wiederzufinden, zusammen mit Netflix.
Wenn sich ein so Beziehungs-geerdetes Paar das nächst Schlimmere vorstellt, fragt es sich womöglich, worauf es noch warten soll und sucht sich gleich einen Scheidungsanwalt. Besser, man hört auf die Ergebnisse einer Studie der kanadischen Carleton Universität. Gegen kriselnde Beziehungen, so ließe sich der Befund nach der Befragung von betroffenen Paaren zusammenfassen, hilft das Gegengift der Erinnerungsfälschung. Nicht an bessere Zeiten, das würde alles nur schlimmer machen, sondern etwa so: Vor zwei Jahren haben wir uns viel mehr gestritten, jetzt ist es besser. Das erzeugt die beglückende Illusion einer Vorwärtsentwicklung. Früher war alles schlechter. Offensichtlich entfaltet hier der menschliche Drang nach Höherem eine eigentümliche Wirkung.
Schatz weißt du noch, wie ich damals im Urlaub mit diesem schnurrbärtigen Franzosen im Jardin du Luxembourg verschwand, und du so wütend warst? - Vielleicht würde ein solcher Satz Wunder wirken. Es wäre zumindest einen Versuch wert. Wenn nicht, bleibt Ihnen immer noch Paris.