Das Geschäftsmodell heißt Fairness
Über gerechte Schokolade und wie Geld für Mango-produkte aus Weltläden Kinderschutzorganisationen hilft
Weimar. Im winzigen Laden in Weimars Innenstadt stapeln sich Kartons mit Nachschub. Heidrun Sedlacik bestellt in übersichtlichen Mengen, für mehr würde der Raum nicht reichen. Bastkörbe aus Bangladesch, Weingläser aus Mexiko, bemalte Kokosnuss-schalen aus Vietnam, getrocknete Mangos aus den Philippinen: Auf 20 Quadratmetern ist hier die Welt zuhause. Heidrun Sedlacik, die bis 2014 für die Linken im Landtag saß, ist Mitglied der Aktionsgemeinschaft Faire Welt, die diesen Weltladen betreibt. Man könnte ihn eine Oase für Fernwehgeplagte nennen, aber das allein wäre ja wieder eine einseitige Perspektive, die die Welt von Norden her betrachtet.
Der Verein schickt seine Bestelllisten an „F.A.I.R.E.“, der Großhandel in Dresden bezieht seine Waren von Importeuren, die wiederum mit Genossenschaften und Kleinbetrieben in Afrika, Lateinamerika und Asien zusammenarbeiten. Eine Lieferkette, bei der fairer Handel die wichtigste Regel ist. Wenn ihr uns gerechte Preise zahlt, könnt ihr Eure Almosen behalten: So sagte es der brasilianische Bischof Dom Helder Camara.
Zum Beispiel die Schokolade aus Ghana, die im Weltladen oft gekauft wird. Kostenpunkt: 2.50 Euro. Ein stolzer Preis für eine Schokoladentafel, die man im nächsten Supermarkt schon für einen Euro bekommt. Warum so teuer? Nicht teuer, sondern fair, korrigiert Heidrun Sedlacik. Spricht von den Dumpingpreisen für Kakaobohnen, von denen die Bauern nicht leben können, die dazu führen, dass viele ihre Kinder auf die Plantagen schicken müssen, statt in die Schule. Die eigentliche Veredlung zur Schokolade, die Wertschöpfung also, findet nicht im Anbauland statt. Dort bleibt vom Verkaufserlös weniger als sieben Prozent.
Bei der „Fairafric“-schokolade sind es 43 Prozent. Sie wird in einer ortsansässigen Kooperative produziert, schafft Arbeitsplätze und zahlt den Kakao-bauern stabile Preise, von denen sie leben können.
Eine andere Geschichte erzählen die Mango-produkte aus den Philippinen. Produktion und faire Vermarktung sichern mehr als 500 Bauern und ihren Familien eine Existenz. Und zehn Prozent der Einnahmen halten die Arbeit der philippinischen Kinderschutzorganisation „Preda“am Laufen. Sie holt Kinder ins Leben zurück, die Opfer sexueller Gewalt wurden. Preda-gründer Shay Cullen ist Träger
des Weimarer Menschenrechtspreises. Der Weltladen ist auch ein Ort, der Fäden zusammenhält.
Im vergangenen Jahr haben sie im Weimarer Weltladen einen Umsatz von rund 34.000 Euro gemacht. Und nein, es sei nicht so, dass nur gut betuchte Kunden mittleren Altern hier 2.50 Euro für eine Tafel faire Schokolade ausgeben. Heidrun Sedlacik beobachtet eine zunehmende Aufmerksamkeit für die
Herkunft von Produkten vor allem durch junge Menschen. Damit bestätigt sie einen deutschlandweiten Trend. Trotz Corona erreichte der Verkauf von Produkten mit dem „Fairtrade-siegel“im vergangenen Jahr ein Rekordhoch.
Reich wird der Verein mit seinem Weltladen trotzdem nicht. Das will er auch gar nicht. Die schwarze Zahl am Jahresende ist vierstellig. Was sie nicht für Reparaturen im Laden und dergleichen brauchen, wird gespendet, an Hilfsvereine wie „Netz e.v.“, der in Bangladesch Menschen im selbstbestimmten Leben unterstützt. Das Geschäftsmodell heißt Fairness. Der Dachverband listet in Thüringen 14. Weltläden, Heidrun Sedlacik kennt sie alle, auch die Problemlagen. Wenn ein Weltladen schließen muss passiert das, weil Helfer fehlen. Von den 30 Vereinsmitgliedern in Weimar stehen 15 regelmäßig im Geschäft. Es ist kein Job, sondern ein unbezahltes Ehrenamt. Die Idee einer Fsj-stelle ist im Corona-chaos aus dem Blick gefallen, das will Heidrun Sedlacik jetzt angehen.
Denn es geht nicht nur um die Frage, wer die Öffnungszeiten absichert, sie ist auch in Schulen unterwegs. Man kann auch schon mit Grundschülern über Gerechtigkeit, Armut und Verteilung sprechen. Vor Ostern zogen Vereinsmitglieder in Hasenkostümen durch Weimar, um auf die unfairen Geschäftspraktiken der großen Süßwarenkonzerne mit den Kakao-bauern aufmerksam zu machen. Am Samstag wird der Verein sichtbar machen, wie so manche Niedrigpreise in unseren Supermärkten zustandekommen. Und welchen Preis die Menschen dafür zahlen, die am Anfang ihrer Produktion stehen.