Vom Recht auf Freiheit
Theaterhaus Jena erzählt in neuem Stück, wie eine Bäreninvasion ein Gesellschaftsexperiment scheitern lässt
Jena. Mit viel Energie zerstören die Schwarzbären die Schießbude auf der Bühne. Sie schlagen Bierkästen gegen Wände, reißen die Beleuchtung von der Decke und Seitenwände ein. Es ist jene Eskalation zwischen Mensch und Tier, vor der der Wildhüter (Maartje Remmers) das Stück über gewarnt hat. Mehrfach mahnte er, Abfälle verschlossen zu lagern und keine Bären zu füttern.
Eine Bäreninvasion bedeutete vor einigen Jahren tatsächlich das Ende eines radikalen Experiments von Freiheitsfanatikern im Städtchen Grafton im Us-bundesstaat New Hampshire. Das holländische Theaterkollektiv „Wunderbaum“hat sich für sein neuestes Stück „Bären“mit dem Buch „A Libertarian Walks Into a Bear“auseinandergesetzt. Der Band schildert, wie die unterschiedlichsten Akteure der libertären Bewegung in Grafton eine Gesellschaft aufbauen wollen, die unabhängig ist vom Einfluss der verhassten Regierung – das Free Town Project. Doch ihr rücksichtsloser Selbstverwaltungsdrang bringt in kürzester Zeit Errungenschaften wie die städtische Feuerwehr, die Bibliothek und die Schule an den Rand der Existenz.
Nach der Uraufführung in Rotterdam erlebte „Bären“am Donnerstagabend im Theaterhaus Jena seine deutsche Premiere. „Wunderbaum“leitet die thüringische Bühne seit 2018, wird die Führung aber in diesem Sommer wieder abgeben.
In der heruntergekommenen Bühnen-schießbude treffen Libertäre und Einheimische aufeinander. Sie alle erinnern in ihrer billigen Exzentrik an eine Freakshow. Da ist etwa Ada (Wine Dierickx), eine Barfußbefürworterin,
die mit Gleichgesinnten versucht zu leben wie die ersten Menschen. Und da ist Connell (Matijs Jansen), ein libertärer Geistlicher, der vehement gegen Steuern predigt. Da sind aber auch die Einheimischen Tracey (Marleen Scholten) und Donut Lady (Walter Bart), die nicht weniger schräg drauf zu sein scheinen. Vor allem Donut Lady hegt eine ganz eigenwillige Vorliebe für Schwarzbären.
Und da ist auch noch der Wildhüter, der als Stimme der Vernunft durch diesen bizarren Kosmos führt.
Die Botschaft des Stücks ist klar: Eine Gesellschaft wird ohne Regeln im Chaos versinken. Dennoch gibt es vereinzelt auch Momente, in denen Verständnis aufflammt für die in Grafton gestrandeten Charaktere. Etwa wenn Lokalpolitiker Babiarz (Walter Bart) von seinen polnischen Eltern erzählt, die Opfer staatlichen Terrors wurden – der Nazis wie der Kommunisten.
Grafton scheint seinerzeit ein Sammelbecken für Enttäuschte, Andersdenkende, Unverstandene und Zurückgewiesene gewesen zu sein. Das „Wunderbaum“-quintett lässt in „Bären“die verschiedensten Freiheitsverfechter zu Wort kommen. Und so liefert das Stück trotz skurrilster Überspitzungen auch eine Ahnung davon, warum Demokratie-gegner Zulauf genießen. Passend zum Modellversuch verortet das Theaterkollektiv das Städtchen in einer Schießbude, jenem Ort, wo auch für Europäer die Freiheit besteht, öffentlich eine Schusswaffe anzusetzen. Es ist ein groteskes wie spannendes Stück über die Grenzen individueller Freiheit. Es regt aber auch an, über das Ausmaß staatlichen Einflusses nachzudenken. Ein Abend, der zu wunderbaren Diskussionen führen kann.
Weitere Vorstellungen: am heutigen Samstag sowie Mittwoch bis Freitag, 18. bis 20. Mai, jeweils um 20 Uhr, Theaterhaus Jena