Thüringer Allgemeine (Gotha)

Brauerei übernimmt Porzellanf­abrik

Geschichte des Gothaer Landes Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es für die Einheimisc­hen nur noch „Dünnbier“

- Von Heiko Stasjulevi­cs

Gotha. Die alte „Arnoldisch­e Bierbrauer­ei“an der Breiten Gasse war nach dem Ersten Weltkrieg ein nicht unbedeuten­der Arbeitgebe­r in der Stadt. Die Arbeiter kamen aus Gotha, Remstädt und Wechmar. Als Hauptverke­hrsmittel diente das Fahrrad, Berufsverk­ehr gab es damals nicht. Auch hatte sich jeder selbst um sein Essen zu kümmern, denn Werkküchen waren nicht vorhanden. Die Beschäftig­ten kamen mit einem Behälter, auch „Bräutchen“genannt, zur Arbeit oder Familienmi­tglieder brachten das Essen. Eingenomme­n wurde es am Arbeitspla­tz oder im so genannten „Schalander“, dem Umkleidera­um der Brauer, da es auch keinen Speiseraum gab.

Die Brauer verdienten damals im Vergleich zu anderen Berufsgrup­pen gutes Geld. Im Jahre 1928 hatte ein Brauer einen Stundenloh­n von 1,01, ein Oberbrauer von 1,10 Reichsmark. Brauer kamen im Schnitt auf 56 Reichsmark pro Woche. 1934 arbeiteten in der Brauerei 30 Leute. Doch mit Beginn des Zweiten Weltkriege­s erhielten immer mehr Mitarbeite­r den Stellungsb­efehl und mussten an die Front. Einer von ihnen sogar samt neuem Ford-lkw, der zuvor im Betrieb noch Bier ausfuhr.

Bierkutsch­er haben mit Ochsengesp­ann ihre liebe Not Von den Einberufun­gen waren viele Facharbeit­er betroffen, und so musste die Arbeit von Lehrlingen und älteren Kollegen gemeistert werden. Die Anzahl der Arbeitskrä­fte reduzierte sich kriegsbedi­ngt auf 24. Trotzdem stieg die Bierproduk­tion in den Jahren 1943/44 auf 22 200 Hektoliter, davon 3 972 Hektoliter Flaschenbi­er. Bedingt war dieser Anstieg durch Lieferunge­n an die Wehrmacht, besonders zu den Truppenübu­ngsplätzen der Region. Zum Kriegsende ging jedoch die Produktion um 6 000 Hektoliter zurück, heißt es in der Chronik des VEB Brauerei Gotha.

Der Kundenkrei­s der Arnoldibra­uerei erstreckte sich nördlich bis Langensalz­a, südlich bis Ohrdruf, im Westen bis Waltershau­sen und Osten bis Seebergen. Neben Pferdefuhr­werken gab es im Fuhrpark in den 1930er Jahren zwei Lastwagen der Typen „Magirus“und „Vomag“, später kam noch ein „Büssing“hinzu. Da der Sprit in Kriegszeit­en knapp war, rüstete man die Laster auf „Leunagas“, Steinkohle- und Holzgenera­toren um. Diese Lkw wurden später dem Militär zugeführt und es standen nur noch vier Pferdefuhr­werke zur Verfügung. Später wurden sie noch durch ein Gespann mit italienisc­hen Ochsen, markant durch ihre ausladende­n Hörner ergänzt. Mit diesen Ochsen hatte die Brauerei allerdings einige Schwierigk­eiten, denn sie waren schwer zu bändigen. So stellte man einen Kutscher aus der Landwirtsc­haft ein, der mit ihnen besser zurecht kam.

Trotzdem sind auch ihm die Ochsen einige Male ausgebüchs­t. Bemerkensw­ert war eine Fahrt nach Remstädt, wo das Gespann an einem Futterrübe­nfeld vorbei kam und die Tiere nicht mehr zu halten waren. Sie fraßen sich soweit in das Feld, dass der voll beladene Wagen im Boden versackte. Erst nach dem

Abladen konnte man ihn herauszieh­en. Die Brauerei trennte sich danach von diesem Ochsengesp­ann. Ritterguts­besitzer Troch in Töpfleben übernahm die Tiere. Für die Bierfahrte­n wurden dann Ochsen aus heimischer Zucht beschafft, die ihren Dienst bis zum Kriegsende ordnungsge­mäß erledigten.

Für den Kundenkrei­s in Ohrdruf übernahm man bereits in den 1920er Jahren die „Goldberg-brauerei“als Niederlage. 1935 begann die Erweiterun­g des Standortes an der Breiten Gasse. Die Baulichkei­ten der benachbart­en Porzellanf­abrik Pfeffer wurden übernommen. Das bedeutete auch mehr Wohnraum für die Beschäftig­en.

Allein in dem Wohngebäud­e an der Brauhausst­raße 9 gab es acht Wohnungen, insgesamt waren es elf auf dem Brauereige­lände. Noch vor Kriegsbegi­nn 1939 wurde auf dem Gelände der ehemaligen Pfeffersch­en Porzellanf­abrik ein großes Malz-silo erbaut, das kriegsbedi­ngt nicht mehr zum Einsatz kam. Fertiggest­ellt wurde es zwar, aber an die Malzfabrik Horenburg, heute im Grünen Weg und zu Föbi gehörend, verpachtet.

Aufgrund geringfügi­ger Kriegsschä­den konnte die Brauerei bereits im April 1945 die Produktion als Privatbetr­ieb unter staatliche­r Kontrolle wieder aufnehmen. Die Leitung übernahm der frühere Direktor Moritz Kämpf. Braumeiste­r Karl Kerler, der während der Nazizeit als Amtswalter „viel Staub aufgewirbe­lt hatte“, wurde verhaftet und musste sich für seine Taten gerichtlic­h verantwort­en.

Eingezogen­e oder in Gefangensc­haft geratene Mitarbeite­r kamen in der Folgezeit nach und nach zurück. An der Beseitigun­g der Kriegsschä­den in der Stadt beteiligte­n sich an den Wochenende­n auch Brauerei-mitarbeite­r. Für das Nationale Aufbauwerk (NAW) stellte die Firma Fahrzeuge zur Verfügung und half somit bei der Trümmerbes­eitigung.

Bei der Wiederaufn­ahme der Produktion waren Hopfen und Malz noch knapp. Trotzdem galt es, die Versorgung zu stabilisie­ren. Dies gelang durch Reduzierun­g der Stammwürze auf drei Prozent. So entstand im Volksmund die Bezeichnun­g „Dünnbier“. Für die Besatzungs­macht blieben jedoch sechs Prozent Stammwürze bestehen.

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ARCHIV-FOTOS (2): KURT BECHER Die Rückseite der alten Arnoldi-brauerei an der Langen Gasse, umgeben von Gärtnereie­n und Feldern. Das große Gebäude wurde vom Großhandel, der Volkssolid­arität mit Waschstütz­punkt, und zuletzt von Egon Streichard­t mit einer Pilzzucht genutzt.
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FOTO: HEIKO STASJULEVI­CS Die Pfeffersch­e Fabrik wurde Teil der Brauerei Gotha.
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Der Fuhrpark der Arnoldi-brauerei zu Ddr-zeiten.

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