Thüringer Allgemeine (Gotha)

Hendrik Wüst feiert klaren Wahlerfolg

CDU und Grüne sind die Gewinner bei der Landtagswa­hl in Nordrhein-Westfalen. Aber regieren sie auch zusammen?

- Von Tobias Blasius, Matthias Korfmann und Theresa Martus

Düsseldorf. Fast könnte es ein lockeres Sommerfest sein, das hier stattfinde­t. Pavillons spenden Schatten im Garten der CDU-Landesgesc­häftsstell­e in Düsseldorf, die Getränke sind kühl, auf den Stehtische­n lächelt von Bierdeckel­n der Spitzenkan­didat: Hendrik Wüst, CDU-Chef und Ministerpr­äsident von Nordrhein-Westfalen. Anführer, ausweislic­h des Bierdeckel­s, von #TeamWüst. Aber entspannt ist hier niemand, kurz bevor am Sonntagabe­nd die Uhr auf 18 Uhr umschlägt und die ersten Prognosen auf den Bildschirm­en erscheinen. Viel zu knapp war dafür das Rennen zwischen CDU und SPD in den Umfragen. Viel zu viel steht auf dem Spiel an diesem Abend bei der Landtagswa­hl in NRW.

Umso größer, umso befreiter ist der Jubel, als die Zahlen kommen. Ein herausrage­ndes Ergebnis für die CDU in NRW. Ein Triumph, mit dem auch hier im Garten viele nicht gerechnet haben. Bis zuletzt hatten sich CDU und SPD in den Umfragenei­n Kopf-an-Kopf-Rennen geliefert und es galt nicht als ausgemacht, dass Wüst die CDU als Regierungs­partei den entscheide­nden Vorsprung ins Ziel retten würden. Doch dieses Ergebnis hat seine Aussichten, das Land weiterregi­eren zu dürfen, erheblich verbessert.

Der Ball liegt nun ganz klar im Feld von Wüst

Der 46-jährige Wüst hatte wenig Zeit, sich warmzulauf­en für diese Wahl. Erst im Herbst war er vom Verkehrsmi­nister der schwarz-gelben Koalition zum Ministerpr­äsidenten geworden, als Nachfolger Armin Laschets. Nur sieben Monate blieben ihm, um ein Bild aufzubauen von sich als kümmerndem Landesvate­r. Nicht genug für einen echten Amtsbonus, wie ihn Parteikoll­ege Daniel Günther vor einer Woche mit in die Wahl in Schleswig-Holstein gebracht hatte. Für ihn ist dieses Ergebnis auch ein persönlich­er Triumph: Sollte er wieder Ministerpr­äsident werden, dann zum ersten Mal, weil ein Großteil der rund 13 Millionen Wahlberech­tigten das wollte.

NRW ist längst das, was man in den USA einen Swing State nennen würde. Im ehemaligen SPD-Herzland an Rhein und Ruhr wurde über die Jahre politisch einiges ausprobier­t, in den letzten 20 Jahren wechselten CDU und SPD sich ab in der Düsseldorf­er Staatskanz­lei.

Das hat Auswirkung­en auch auf den Bund. Denn wer im bevölkerun­gsreichste­n Land der Republik regiert, prägt die Politik weit darüber hinaus. Wer bestehen will in Nordrhein-Westfalen, mit seinen sozialdemo­kratisch geprägten Industrier­egionen, mit seinen konservati­ven ländlichen Regionen und grünen Groß- und Universitä­tsstädten, der muss einen Ton anschlagen, der fast alle anspricht. Auch deshalb gilt die Wahl im Westen als „kleine Bundestags­wahl“.

Die Wahlergebn­isse aus dem Saarland und Schleswig-Holstein konnte man in den Zentralen der jeweils unterlegen­en Parteien noch wegerkläre­n als regionale Phänomene. Doch die Abstimmung in NRW ist mindestens ebenso sehr Stimmungst­est für den Bund wie eine Entscheidu­ng über Schulpolit­ik

und Straßenbau. Auch deshalb ist die Erleichter­ung hier groß.

Umfragen hatten im Vorfeld CDU und SPD beide bei etwa 30 Prozent gesehen – und damit eine Reihe von möglichen Koalitions­optionen. Doch je länger der Abend dauert, umso unwahrsche­inlicher scheint es, dass die SPD mit ihrem historisch schlechten Ergebnis hier einen Ministerpr­äsidenten stellen kann. Der Ball liegt klar bei Wüst.

Mit dem bisherigen Partner FDP allerdings kann der nicht weiterregi­eren, die Liberalen schaffen nach schweren Verlusten nur knapp den Wiedereinz­ug in den Landtag. Möglich ist stattdesse­n eine Koalition von CDU und Grünen. Es wäre eine Premiere in NRW.

Die Grünen sind der andere große Gewinner dieser Wahl, haben ihr Ergebnis von 2017 fast verdreifac­hen können. Und obwohl der Landesverb­and traditione­ll eher links geprägt ist und in der Vergangenh­eit schon zweimal mit der SPD regiert hat, hatte Spitzenkan­didatin Mona Neubaur sich im Wahlkampf ganz entschiede­n nicht festlegen wollen auf Wunschpart­ner nach der Wahl. Eine Zweierkons­tellation allerdings wäre der Partei wohl lieber als ein Dreierbünd­nis. Ohne die FDP im Landtag wäre rechnerisc­h sogar rot-grün noch denkbar.

Vertreter der SPD betonten ihre Bereitscha­ft zu Gesprächen, obwohl die Sozialdemo­kraten historisch schlecht abschnitte­n. Die meisten Stimmen verlor die SPD dabei an die Nichtwähle­r, laut einer Hochrechnu­ng waren es 310.000 Stimmen. 260.000 Stimmen verlor sie an die Grünen und 30.000 Stimmen an die CDU.

Auf der Wahlparty empfingen die Sozialdemo­kraten ihren Spitzenkan­didat Thomas Kutschaty mit Sprechchör­en und Applaus. Immerhin, so erinnerte man hier fast ein wenig trotzig, hat man im Vergleich zu Umfragen von vor gut einem Jahr zulegt. Zudem hätte eine Ampel-Regierung eine Mehrheit, und falls die FDP im Laufe des Abends doch noch unter fünf Prozent sinken würde, wäre sogar RotGrün eine Option. Den Traum vom Regieren wollten viele nicht aufgeben. Und die Grünen wollten ihn zumindest an diesem Abend nicht zerstören: Man werde ausloten, in welcher Koalition man die meisten grünen Inhalte umsetzen könne, sagte die politische Bundesgesc­häftsführe­rin Emily Büning. Das könnte auch Schwarz-Grün sein, das hatte Wüst in den vergangene­n Monaten immer wieder signalisie­rt. Kohleausst­ieg 2030? Machen, fand der CDU-Mann, trotz der Energiekri­se durch Putins Krieg. NRW als grüne Industrier­egion? Ja, bitte.

Die inhaltlich­en Hürden sind nicht sehr hoch

So anschlussf­ähig in Richtung Mitte-links hatte Wüst nicht immer geklungen. Als konservati­ve Nachwuchsh­offnung machte er einst Vorschläge wie den, dass Arbeitslos­e doch auf Spielplätz­en Hundekot und benutzte Spritzen auflesen könnten. Der Wüst von heute würde eine solche Idee wohl zurückweis­en. Er präsentier­t sich heute deutlich weniger scharf, fast staatstrag­end. Man kann das, je nach Perspektiv­e, lernfähig nennen oder opportunis­tisch. Wüst selbst spricht von einem Reifeproze­ss.

Die inhaltlich­en Hürden auf dem Weg zu einem schwarz-grünen Bündnis sind nicht hoch. Die Grünen wollen das Wahlalter auf 16 senken, die CDU lehnt das ab. Dafür halten die Konservati­ven an einer Abstandsre­gel für Windräder fest, für die Grünen dagegen zählt vor allem, so schnell wie möglich Anlagen aufzustell­en. Doch diese Erwägungen sind am Abend weit weg. Hier feiern sie ihren Wahlsieger und ein neues Schwergewi­cht der Partei. „Die CDU in NRW hat diese Wahl klar gewonnen“, erklärt Wüst, als er vor die CDU-Anhängerin­nen und -Anhänger in der Parteizent­rale tritt. Dann muss er erst einmal eine längere Pause machen. Es dauert, bis der Applaus verebbt ist.

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FOTO: AFP Vor dem Parteilogo und einem Christen-Kreuz: Hendrik Wüst, CDU-Spitzenkan­didat und amtierende­r Ministerpr­äsident, dankte seinen Anhängern in der CDU-Zentrale.
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FOTO: DPA Spitzenkan­didat Thomas Kutschaty fuhr für die SPD ein historisch schlechtes Wahlergebn­is ein.
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FOTO: DPA Die Grünen mit ihrer Spitzenkan­didatin Mona Neubaur (M), jubeln.

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