Der Krieg erreicht den ESC
Bomben auf die Ukraine als Reaktion auf den Sieg? Die Musikparty lädt sich politisch auf
Turin. Ein Kriegsland als Gewinner und eine Band, die in ein Krisengebiet zurückkehrt, anstatt für PromoAuftritte nach London, Paris oder Madrid zu jetten: Das gab es noch nie beim Eurovision Song Contest. In der Nacht zu Sonntag sicherte sich die Ukraine in Turin mit dem Kalush Orchestra und dem FolkRap-Song „Stefania“einen deutlichen Sieg – und ganz Europa jubelte.
Es war ein hochpolitischer ESC, der politische Äußerungen eigentlich verbietet. Für Frontmann Oleh Psiuk war es jedoch nicht die Nacht für Regeln, sondern für einen Appell. „Wir haben in diesen Tagen große Trauer in der Ukraine, weil unsere Leute von allen Seiten blockiert sind und nicht aus dem AsowStahlwerk rauskommen“, sagte der Rapper am frühen Sonntagmorgen.
Das Stahlwerk in Mariupol steht unter russischem Beschuss. Psiuk: „Wir brauchen Hilfe, um diese Menschen freizubekommen.“Noch in derselben Nacht spitzte sich die Lage in der Ukraine zu. Nach Angaben des Mariupoler Stadtratsabgeordneten Petro Andruschtschenko wurde das Stahlwerk mit Phosphorbomben beschossen. Er zeigte dazu Videos, auf denen Feuerregen zu sehen war. Auf den mutmaßlichen Bomben war demnach auf Russisch zu lesen: „Kalusha, wie gewünscht! Auf Asow-Stahl“, und auf Englisch: „Helft Mariupol – helft Asow-Stahl, jetzt!“Eine zynische Anspielung auf den Appell des ESC-Gewinners? Die Angaben ließen sich zunächst nicht überprüfen. Sicher ist: Die Auswirkungen dieses ESC auf die weltpolitische Lage sind noch nicht abzusehen. Russland war von dem Wettbewerb ausgeschlossen worden. In dem Land wurde zwar über den Sieg des Nachbarn berichtet, übertragen wurde die Show jedoch erstmals nicht.
Rapper Psiuk: „Wir kämpfen bis zum Ende“
Auch in Turin war die Lage in der Nacht bis aufs Äußerste angespannt: Die italienische Polizei hat nach eigenen Angaben Hackerangriffe auf das Finale verhindert. Cyberkriminelle hätten versucht, in der Eröffnungsnacht am Dienstag und während des Finales von Samstag auf Sonntag in die Systeme einzudringen. Sondereinheiten hätten die Angriffe auf die russische Hackergruppe Killnet zurückgeführt. Die Polizei registrierte zudem sogenannte DDoS-Angriffe während der Abstimmung. Damit versuchen Hacker mit einer Flut von Anfragen ein System lahmzulegen.