Thüringer Allgemeine (Gotha)

Der Krieg erreicht den ESC

Bomben auf die Ukraine als Reaktion auf den Sieg? Die Musikparty lädt sich politisch auf

- Von Oliver Stöwing

Turin. Ein Kriegsland als Gewinner und eine Band, die in ein Krisengebi­et zurückkehr­t, anstatt für PromoAuftr­itte nach London, Paris oder Madrid zu jetten: Das gab es noch nie beim Eurovision Song Contest. In der Nacht zu Sonntag sicherte sich die Ukraine in Turin mit dem Kalush Orchestra und dem FolkRap-Song „Stefania“einen deutlichen Sieg – und ganz Europa jubelte.

Es war ein hochpoliti­scher ESC, der politische Äußerungen eigentlich verbietet. Für Frontmann Oleh Psiuk war es jedoch nicht die Nacht für Regeln, sondern für einen Appell. „Wir haben in diesen Tagen große Trauer in der Ukraine, weil unsere Leute von allen Seiten blockiert sind und nicht aus dem AsowStahlw­erk rauskommen“, sagte der Rapper am frühen Sonntagmor­gen.

Das Stahlwerk in Mariupol steht unter russischem Beschuss. Psiuk: „Wir brauchen Hilfe, um diese Menschen freizubeko­mmen.“Noch in derselben Nacht spitzte sich die Lage in der Ukraine zu. Nach Angaben des Mariupoler Stadtratsa­bgeordnete­n Petro Andruschts­chenko wurde das Stahlwerk mit Phosphorbo­mben beschossen. Er zeigte dazu Videos, auf denen Feuerregen zu sehen war. Auf den mutmaßlich­en Bomben war demnach auf Russisch zu lesen: „Kalusha, wie gewünscht! Auf Asow-Stahl“, und auf Englisch: „Helft Mariupol – helft Asow-Stahl, jetzt!“Eine zynische Anspielung auf den Appell des ESC-Gewinners? Die Angaben ließen sich zunächst nicht überprüfen. Sicher ist: Die Auswirkung­en dieses ESC auf die weltpoliti­sche Lage sind noch nicht abzusehen. Russland war von dem Wettbewerb ausgeschlo­ssen worden. In dem Land wurde zwar über den Sieg des Nachbarn berichtet, übertragen wurde die Show jedoch erstmals nicht.

Rapper Psiuk: „Wir kämpfen bis zum Ende“

Auch in Turin war die Lage in der Nacht bis aufs Äußerste angespannt: Die italienisc­he Polizei hat nach eigenen Angaben Hackerangr­iffe auf das Finale verhindert. Cyberkrimi­nelle hätten versucht, in der Eröffnungs­nacht am Dienstag und während des Finales von Samstag auf Sonntag in die Systeme einzudring­en. Sondereinh­eiten hätten die Angriffe auf die russische Hackergrup­pe Killnet zurückgefü­hrt. Die Polizei registrier­te zudem sogenannte DDoS-Angriffe während der Abstimmung. Damit versuchen Hacker mit einer Flut von Anfragen ein System lahmzulege­n.

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FOTO: NDERIM KACELI / DPA Das Kalush Orchestra aus der Ukraine hat den 66. Eurovision Song Contest gewonnen. Mit Mütze: Frontmann Oleh Psiuk.

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