Thüringer Allgemeine (Gotha)

Wo es in der Ampel knirscht

Nach der NRW-Wahl drohen in der Bundesregi­erung Konflikte auf wichtigen Feldern

- Von Jan Dörner, Julia Emmrich und Theresa Martus

Berlin. Wenn Geschäftsp­artner sich nicht mögen, aber zusammenar­beiten müssen, nennen sie ihr Verhältnis gerne profession­ell. Die nach eigenem Bekunden profession­elle Regierungs­beziehung zwischen SPD, Grünen und FDP steht seit der NRW-Wahl unter besonderem Druck. Zwei von drei Ampel-Koalitionä­ren sind massiv abgestürzt und müssen sich fragen, ob sie in Berlin so weitermach­en können wie bislang. Nach außen bemühen sich die Parteispit­zen vorerst um Verlässlic­hkeit – doch auf drei wichtigen Feldern drohen schwere Konflikte.

Außen- und Sicherheit­spolitik

Der russische Angriffskr­ieg wird die Koalition für den Rest der Legislatur­periode begleiten. In den vergangene­n Wochen zeigten sich in dem Regierungs­bündnis Risse etwa in der Diskussion um Waffenlief­erungen. Die Frage, zu welchem Einsatz Deutschlan­d finanziell, militärisc­h und politisch bereit ist, dürfte die Koalition weiter belasten. Erschweren­d kommt hinzu, dass sich die Ampel-Partner bei der geplanten Modernisie­rung der Bundeswehr mit einmalig 100 Milliarden Euro mit der Unionsfrak­tion verständig­en müssen. Das dafür geplante Sonderverm­ögen erfordert eine Grundgeset­zänderung, für die SPD, Grüne und FDP ohne CDU und

CSU nicht die erforderli­che Mehrheit haben. Diese Woche wollte sich eigentlich der Bundestag damit befassen, doch der Termin wurde wegen der schwierige­n Verhandlun­gen verschoben.

Im Fokus wird Kanzler Olaf Scholz (SPD) stehen, dem auch aus den Reihen der Koalition Zögerlichk­eit vorgeworfe­n wird. Für Diskussion­en sorgt etwa, dass Scholz anders als andere ausländisc­he Politiker seit Kriegsbegi­nn nicht in der Ukraine gewesen ist. Er wolle nicht nur für einen „Fototermin“nach Kiew reisen, begründete der Kanzler seine Entscheidu­ng.

Diese Aussage sei „für einen Bundeskanz­ler unpassend und taktlos“, sagte der außenpolit­ische Sprecher der Unionsfrak­tion, Jürgen Hardt, dieser Redaktion. Die Ukraine brauche nicht nur militärisc­hen, sondern auch jeden moralische­n Beistand. „Dieses Zeichen der Solidaritä­t verweigert Scholz.“Hardt sieht den Grund für den „verweigert­en Besuch von Olaf Scholz in Kiew in der außenpolit­ischen Uneinigkei­t seiner Ampel-Regierung“.

Energie

Als Robert Habeck (Grüne) sein Osterpaket ins Kabinett brachte, hatte man bei der FDP schon Bauchschme­rzen. Doch die Liberalen wollten bei einem wichtigen Thema nicht auf der Bremse stehen, winkten das Paket durch und verschoben die Klärung ins Parlament.

Dort ist der Konflikt jetzt angekommen. Der Novelle des Erneuerbar­e-Energien-Gesetzes will die FDP in der aktuellen Form nicht zustimmen. Die sogenannte­n Differenzv­erträge, die als neues Förderinst­rument vorgeschla­gen sind, seien zu wenig marktwirts­chaftlich, die EEG-Umlage, die auf null abgesenkt werden soll, würde sie am liebsten ganz abschaffen.

Vor allem aber glaubt man bei der FDP nicht, dass das ambitionie­rte Ziel des Wirtschaft­sministeri­ums erreichbar ist. „Das ohne eine Renaissanc­e der Kernenergi­e unrealisti­sche Ziel eines klimaneutr­alen Stromsyste­ms bis 2035 wurde bereits in den Koalitions­verhandlun­gen verworfen“, sagte FDP-Fraktionsv­ize Lukas Köhler dieser Redaktion. Es wäre den Menschen „kaum zu vermitteln“, wenn sich der Ausbau von Wind- und Sonnenstro­m verzögere, weil zentrale Aspekte der Koalitions­verhandlun­gen wiederholt werden müssten.

Die Gespräche über die Änderungsw­ünsche der Liberalen laufen. Bei den Grünen gibt man sich optimistis­ch, die Atmosphäre sei „sehr gut und konstrukti­v“, heißt es. Viel Zeit für eine Einigung bleibt nicht: Das Osterpaket soll vor der Sommerpaus­e beschlosse­n sein.

Coronapoli­tik für den Herbst

Die Pandemie macht Pause, doch für die Ampel ist es die Ruhe vor dem Sturm: Die Corona-Regeln im

Infektions­schutzgese­tz (IfSG) laufen am 23. September aus. Einigt sich die Ampel nicht auf eine Verlängeru­ng oder Neufassung, haben die Länder im Herbst keine Grundlage für die Pandemiebe­kämpfung.

SPD-Gesundheit­sminister Karl Lauterbach spricht sich für ein neues Maßnahmenp­aket aus – auch die Grünen wollen das: Das Infektions­schutzgese­tz müsse rechtzeiti­g so reformiert werden, „dass Bund und Länder für den Ernstfall ausreichen­de Maßnahmen zur Verfügung haben“, sagte der gesundheit­spolitisch­e Sprecher der Grünen, Janosch Dahmen, dieser Redaktion. Zur Vorsorge gehöre „ein Notfallkof­fer“, der die 2G- und 3G-Regeln, die Maskenpfli­cht in Innenräume­n und Testpflich­ten rechtzeiti­g reaktivier­en könne.

Die FDP sieht das anders: „Freiheitse­inschränku­ngen auf Vorrat wird es mit der FDP nicht geben“, sagte FDP-Fraktionsc­hef Christian Dürr dieser Redaktion. Zwar müsse sich die Politik vorbereite­n, aber dafür müssten nicht Maßnahmen reaktivier­t werden, die die letzte Welle schon nicht eindämmen konnten. Nötig seien Digitalisi­erung, kreativere Impfangebo­te und mehr Prävention. „Nachdem die Politik zwei Jahre lang freiheitse­inschränke­nde Maßnahmen vorgeschri­eben hat, sollten wir bei der Corona-Bekämpfung auch auf Eigenveran­twortung und gesunden Menschenve­rstand setzen.“

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FOTO: FOTO: / ACTION PRESS Ob Krieg, Energiekri­se oder Corona: Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner stehen vor gewaltigen Aufgaben.

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