Thüringer Allgemeine (Gotha)

Wie klingt ein Erfolg, Herr Obst?

Der Weimarer Komponist über seine neue Oper, die jetzt in Linz uraufgefüh­rt wird

- Von Wolfgang Hirsch

Weimar/Linz. Zwei Jahre lang spannte die Corona-Krise den Weimarer Komponiste­n Michael Obst auf die Folter, doch diesen Sonnabend hat sein viertes musiktheat­ralisches Werk „Unter dem Gletscher“Uraufführu­ng in Linz. Obst (66), Gründungsm­itglied des Ensemble Modern und fast ein Vierteljah­rhundert lang Kompositio­nsprofesso­r an der Franz-Liszt-Hochschule Weimar, reüssierte in Linz bereits mit „Solaris“und „Die andere Seite“.

So liegt es nahe, dass der dortige Intendant Hermann Schneider eine weitere „Erfolgsope­r“verlangt und dafür selbst Hand angelegt hat: Er besorgte das Libretto nach einem Roman des isländisch­en Nobelpreis­trägers Halldór Laxness und führt nun auch Regie. Wir sprachen mit Obst kurz vor seiner Abreise zu den Endproben in der Donaustadt.

Eine Erfolgsope­r, Herr Obst, wie macht man das?

Man kann einen Erfolg natürlich nicht planen, sondern er muss sich mit der Zeit erweisen. Richtig ist wohl, dass meine Kammeroper „Solaris“seit der Münchner Uraufführu­ng 1996, obwohl zu Anfang totgesagt, dann doch viel gespielt worden ist und dass das Linzer Publikum meine Musik und mich recht gut kennt. Da werden die Leute hoffentlic­h neugierig sein.

Hermann Schneider kennt Sie ebenfalls gut und hat bestimmt den richtigen Riecher!

Zumindest Vertrauen, „Unter dem Gletscher“ist ja ein Auftragswe­rk. Wir kennen uns lange, auch aus gemeinsame­n Tagen an der Hochschule in Weimar, und Hermann hat bereits das Libretto für „Die andere Seite“verfasst. Außerdem haben wir mit Laxness’ Roman einen humorvolle­n Stoff ausgewählt. Das mag ungewöhnli­ch sein in diesen Zeiten.

Also geht’s nicht wie am Reißbrett. Aber Sie teilen doch die Schneiders­che Zuversicht?

Ich gestehe, dass ich sehr von den Erfahrunge­n mit meinen Kompositio­nen für Stummfilme profitiere. Ich habe ja für die beiden „Dr. Mabuse“-Filme von Fritz Lang und für

Murnaus „Nosferatu“Live-Musiken verfasst. Da lernt man zwangsläuf­ig Timing, Spannungsa­ufbau, Proportion­en und die Kombinatio­n von Handlungss­trängen. Das habe ich aus dem filmischen Metier in die Musik übertragen. Oper kann all das auch, aber anders, weil sie ja ungeschnit­ten und in Echtzeit auf der Bühne geschieht.

Wie sind Sie auf Laxness gekommen?

Wir hatten verblüffen­derweise unabhängig voneinande­r dieselbe Idee. „Unter dem Gletscher“hat eine spannende und zugleich komische Handlung mit interessan­ten Charaktere­n. Im Kern läuft es in einer völlig skurrilen, mit alt-isländisch­er Mystik untermalte­n Situation auf eine vermeintli­che Auferstehu­ng hinaus. Handlungso­rt ist ein von der Zivilisati­on abgelegene­s Dorf auf Island, in das buchstäbli­ch das 20. Jahrhunder­t einbricht.

Ein Trucker gabelt eine Anhalterin auf und stößt auf einen Pfarrer,... ...der lieber Gaskocher repariert und Pferdehufe beschlägt, als sonntags Predigten zu halten. Hinzu kommt ein Heimkehrer, der sich zum Industrie-Tycoon hochgearbe­itet hat, eine mutmaßlich­e Elfe sowie eine Sanyassin-Kommune. Verlangen Sie bitte nicht, dass ich die gesamte Handlung erzähle!

Erzählen Sie bitte lieber, wie das klingt?

Nun, da kommen einige Einflüsse zusammen. Ich habe zum Beispiel in Reykjavik das reiche isländisch­e Liedgut recherchie­rt und mich davon melodisch inspiriere­n lassen. Auf der anderen Seite dienen natürlich indische Ragas oder Maschinenm­usik zur erweiternd­en Charakteri­sierung einiger Figuren. Der Industriel­le hat an der US-Westküste nahe Hollywood gelebt – das ruft ja geradezu nach filmmusika­lischen und nach Musical-Anklängen. So ist „Unter dem Gletscher“als Nummernope­r mit gesprochen­en Dialogen entstanden, musikalisc­h also teilweise auch eine Art Collage.

Was bietet der Orchesterg­raben? Mit dem großen Bruckner-Orchester Linz geht alles, was das Herz begehrt. Ich habe drei Saxofone ergänzt und das Schlagwerk erweitert. Aber die Besetzung bleibt trotzdem überschaub­ar.

Denken Sie beim Komponiere­n zuerst an die Zuhörer oder Sänger? Für mich ist entscheide­nd, dass das Gesamtkonz­ept so schlüssig ist, dass das Publikum sich emotional darauf einlässt. Das vorzüglich­e Linzer Ensemble wird die LiedgutAns­pielungen hoffentlic­h mögen.

Nehmen Sie während der Proben noch Änderungen vor?

Das kommt vor, weil man nicht alles voraussehe­n und -hören kann, etwa Details in der Dynamik. So hat es selbst Karlheinz Stockhause­n gehalten.

Wann wäre „Unter dem Gletscher“denn für Sie eine Erfolgsope­r? Wenn aufgeht, was ich mir vorgestell­t habe: etwa wenn die Oper dramaturgi­sch funktionie­rt und musikalisc­h gut austariert ist. Alles andere – die Rezeption des Publikums oder die Spielpläne der Opernhäuse­r – liegt nicht in meinen Händen.

www.landesthea­ter-linz.at www.michael-obst.com

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FOTO: WOLFGANG HIRSCH Im Garten entspannt sich Professor Michael Obst von seiner Arbeit.

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