Kims Corona-Desaster
Lange Zeit hatte sich das isolierte Land abgeschottet – doch nun breitet sich die Pandemie wie ein Lauffeuer aus
Das Regime hat die Zeit der Isolation nicht dafür genutzt, seine knapp 26 Millionen Bürgerinnen und Bürger gegen Sars-CoV-2 zu impfen. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist Nordkorea neben Eritrea sogar der einzige Staat, der überhaupt noch nicht mit einer Impfkampagne begonnen hat.
Pjöngjang hat bislang auf keine der internationalen Hilfsangebote reagiert. Vergangenes Jahr lehnte Nordkorea ein Angebot über drei Millionen Dosen eines chinesischen Covid-19-Impfstoffs mit der Begründung ab, diese sollten lieber an „bedürftigere Länder“abgegeben werden. Seit letztem Jahr bereits versucht die Covax-Initiative zudem vergeblich, Vakzine ins Land zu entsenden.
Doch auch aktuell stehen viele Länder bereits Schlange, um mit medizinischem Gerät und Impfstoffen auszuhelfen – darunter auch Südkorea, das seit Kurzem vom konservativen Hardliner Yoon Seok-yeol regiert wird. „Ich habe wiederholt gesagt, dass ich immer offen für humanitäre Hilfe bin – ganz gleich ob der militärischen Probleme, die zwischen Nord- und
Südkorea liegen“, sagte Yoon vor der Nationalversammlung in Seoul.
Kim ist bislang nicht darauf eingegangen. Laut dem südkoreanischen Vereinigungsministerium habe man über den einzig betriebsfähigen Gesprächskanal ein Fax gen Norden geschickt, aber keine Antwort erhalten. Das hat auch mit dem Gründungsmythos der Kim-Dynastie zu tun: Die Diktatorenfamilie behauptet von sich, eine Welt voller Gegner von der eigenen Bevölkerung fernzuhalten. Dass man sich von Südkorea, dem „Hund der US-Imperialisten“, aushelfen lässt, würde da nicht so recht ins Bild passen.
Der Aufbau von Feindbildern gehört zur Idee des Machterhalts. Nach dem nordkoreanischen Propagandanarrativ lauern die äußeren Feinde vor allem in Amerika und Südkorea. Innen hat Kim jetzt die „faulen Beamten“als Auslöser der Corona-Krise ausgemacht. Der 38-Jährige versucht, sich hingegen als alldominanten Beschützer der Bevölkerung zu inszenieren.
Diese grellen Gemälde sollen von der Schwäche des Regimes ablenken. Die Wirtschaft liegt darnieder, das Gesundheitssystem ist marode, weite Teile der Bevölkerung sind unterernährt. In einigen Regionen herrscht Hunger. Doch die Gefahr eines Aufstandes hat Kim nicht zu fürchten. Die Herrscherfamilie hat ihre Macht seit Jahrzehnten in einem totalitären System zementiert. Es gilt nur das Wort des „Führers“, der die Medien zu einem publizistischen Begleitkommando gleichgeschaltet hat.
Trotz allem hoben am Montag drei nordkoreanische Cargo-Flieger ab, um in der nordostchinesischen Stadt Shenyang Fracht aufzuladen. Ob darunter auch Impfstoffe waren, ist bislang nicht bekannt. Noch am selben Tag flogen die Maschinen wieder zurück, wie die südkoreanische Zeitung „Kyunghyang Shinmun“meldete.
Peking selbst hat starkes Interesse, seinem kleinen Nachbarn zu helfen – allein schon aus Selbstschutz: Beide Länder teilen nämlich eine 1.400 Kilometer lange, poröse Grenze. Auch wenn die Volksrepublik China in den letzten Jahren flächendeckend Zäune errichtet hat, besteht weiterhin die Gefahr, dass nordkoreanische Flüchtlinge das Virus über die Grenze schleppen könnten.
Doch an Nordkoreas elementaren Problemen wird sich mittelfristig wenig ändern. Denn weiterhin steckt das Regime seine spärlichen Ressourcen vor allem in sein Militär. Derzeit deuten Satellitenbilder darauf hin, dass Kim den Test einer Interkontinentalrakete plant – möglicherweise gar einer Atomrakete. Am Wochenende wäre dafür aus Sicht Pjöngjangs der perfekte Zeitpunkt: Dann wird nämlich USPräsident Joe Biden zum Staatsbesuch in Seoul erwartet.