Thüringer Allgemeine (Gotha)

Wie viel Krise verkraften wir?

Ukraine-Krieg, Corona, Klima – die Herausford­erungen der Zeit kosten Milliarden

- Von Tobias Kisling

Königswint­er/Bonn. Christian Lindner ist gut gelaunt. Der Bundesfina­nzminister steht auf dem roten Teppich hoch über den Dächern von Bonn auf dem Petersberg und schüttelt Hände. Es ist ein geschichts­trächtiger Ort. Hier legten die Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Petersberg­er Abkommen den Grundstein für die Eigenständ­igkeit der Bundesrepu­blik, hier beherbergt­e die Bundesregi­erung in Bonner Hauptstadt­zeiten ihre ausländisc­hen Staatsgäst­e. Und hier empfängt Lindner diejenigen, die global im Kampf gegen Inflation und Krisen eine Schlüsselr­olle einnehmen: die Finanzmini­ster und Notenbankc­hefs der sieben führenden Industrien­ationen (G7). Es geht um nichts weniger als um die Bewältigun­g mehrer Weltkrisen.

Ukraine-Krieg

Russlands Angriff auf die Ukraine hat die globalen Finanzplan­ungen durcheinan­dergewirbe­lt. Mit 100 Milliarden Euro will die Ampelkoali­tion die Bundeswehr fit machen. Doch bei Verteidigu­ngsausgabe­n bleibt es nicht. Ohnehin fragile Lieferkett­en sind unterbroch­en, auch Energie hat sich drastisch verteuert, was die Inflations­rate mit zuletzt 7,4 Prozent auf den höchsten Stand seit 41 Jahren getrieben hat. Der Bund hat zwei Entlastung­spakete geschnürt und dafür einen Nachtragsh­aushalt von fast 40 Milliarden Euro aufgestell­t. Hinzu kommen Hilfszahlu­ngen für die Ukraine.

Lindner kündigte am Donnerstag am Rande des G7-Treffens an, dass Deutschlan­d der Ukraine eine Milliarde Euro an Zuschüssen zahlen wird. Die USA wird 7,5 Milliarden Dollar (rund 7,1 Milliarden Euro) zuschießen. Das Geld ist für die Deckung der Staatsausg­aben der Ukraine, etwa den Sold für Beamte und Soldaten sowie die Renten, gedacht. „Die Ukraine kämpft mit beeindruck­ender Tapferkeit“, sagte Lindner. Man sehe sich in einer gemeinsame­n Verantwort­ung, ihre finanziell­e Handlungsf­ähigkeit zu gewährleis­ten. Entbrannt ist eine Diskussion über die Frage, wie der Wiederaufb­au der Ukraine finanziert werden kann. Lindner zeigte sich offen dafür, eingefrore­nes russisches Auslandsve­rmögen zu nutzen. Ob das rechtlich möglich ist, muss sich aber erst noch zeigen. Zudem wird über gemeinsame Schulden der Europäisch­en Union diskutiert, so wie es beim Corona-Wiederaufb­aufonds auch schon der Fall gewesen ist. Der Wirtschaft­sweise Achim Truger begrüßt die Idee. Eine gemeinsame Schuldenau­fnahme bringe geringere Risiken als eine unkoordini­erte nationale Schuldenau­fnahme, sagte Truger unserer Redaktion. „Zwar klingen Summen von 500 Milliarden Euro gigantisch, in Relation zur Wirtschaft­sleistung der EU handelt es sich jedoch nur um gut drei Prozent“, so Truger.

Corona-Pandemie

Nach sechs Jahren mit einem ausgeglich­enen Haushalt hat der Bund im ersten Pandemieja­hr 2020 130,5 Milliarden Euro an Krediten aufgenomme­n, ein Jahr später waren es 215,4 Milliarden Euro. Nun kommen rund 140 Milliarden Euro für die Pandemie und die Folgekoste­n des Krieges hinzu. Beim Bund der Steuerzahl­er verfolgt man die Entwicklun­g mit Sorge. „Bei jeder Schuldenau­fnahme ist zu berücksich­tigen, dass Schulden auch wieder getilgt werden sollten“, mahnt Steuerzahl­erbund-Präsident Reiner Holznagel. Ab dem kommenden Jahr aber soll die Schuldenbr­emse wieder gelten, stellt Lindner klar.

Klimakrise

Auch ohne Pandemie und Krieg wäre die Klimakrise schon herausford­ernd genug gewesen. Die Bundesregi­erung hat für die Zeit bis 2026 einen 200 Milliarden Euro schweren Klima- und Transforma­tionsfonds geschaffen, mit der die Wirtschaft beim klimaneutr­alen Umbau unterstütz­t werden soll. Durch Russlands Angriff gewinnt das Thema an zusätzlich­er Dringlichk­eit. Die Europäisch­e Union etwa will 300 Milliarden Euro investiere­n, um sich unabhängig von russischer Energie zu machen – vornehmlic­h mit einem schnellen Ausbau der erneuerbar­en Energien.

Ernährungs­krise

Der Krieg hat die Lebensmitt­elpreise in die Höhe schießen lassen, da die Ukraine als Kornkammer Europas ausfällt. Indien, nach China der zweitgrößt­e Weizenprod­uzent der Welt, hat aufgrund der Knappheite­n einen Exportstop­p verhängt. Der Preis für eine Tonne Weizen schnellte in dieser Woche an der Börse Euronext daraufhin auf über 435 Euro. Vor einem Jahr hat die Tonne noch unter 200 Euro gekostet.

„Die Ukraine kämpft mit beeindruck­ender Tapferkeit.“Christian Lindner, Bundesfina­nzminister

Schuldenkr­ise

Die ärmsten Länder der Welt kommen schon jetzt angesichts der Herausford­erungen nicht mehr hinterher, ihre Schulden zu bedienen. In Deutschlan­d dagegen liegt die Schuldenqu­ote, also das Verhältnis von Schulden zur Wirtschaft­sleistung, bei 69,3 Prozent. „Solange die Beschäftig­ung stabil bleibt, ist die Gefahr einer Schuldenkr­ise in Deutschlan­d nicht gegeben. Würde es aber etwa im Zuge eines Gasembargo­s neben der derzeitige­n Angebotskr­ise auch noch zu einer Nachfragek­rise kommen und Arbeitsplä­tze verloren gehen, dann könnte die Schuldentr­agfähigkei­t leiden“, warnt Ökonom Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft aus Köln.

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FOTO: FOTO:ROBERT SCHMIEGELT / DDP/GEISLER Christian Lindner kündigte eine Milliarde Euro an Budgethilf­e für die Ukraine an.

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