Strampeln bis zum Nordkap
Sandra Butscheike und Steffen Mender aus Waltershausen leben vom Reisen. Freiheit stellen sie über Luxus
Waltershausen. Die Taschen sind gepackt, die Räder stehen bereit für die Tour gen Norden. „Wir sind es gewohnt um jedes Gramm zu feilschen“, sagt Steffen Mender. Alles, worauf er und Sandra Butscheike verzichten können, lassen sie zu Hause in Waltershausen. Ihr Ziel ist das Nordkap, der nördlichste vom Festland aus auf Straßen erreichbare Punkt Europas. Was sie dabei erleben, teilen sie deutschlandweit bei Reisevorträgen. Ihr aktuelles Projekt nennen sie „Nordwärts“.
Eine letzte Sache auf der Checkliste haben die beiden am Mittwoch im Waltershäuser Rathaus erledigt.
Erst das Sabbatjahr, dann die Kündigung
„Es ist jetzt langsam mal Zeit, nach 22 Jahren zusammen“, sagt Mender. Das Paar hat sich das Jawort gegeben – recht spontan, wie Sandra Butscheike verrät. Familie und Freunde erfuhren erst kurz zuvor davon. Gefeiert wird, nachdem das Paar im Herbst von seiner Reise zurückgekehrt ist.
Am Sonntagvormittag geht es los. Vom Markt in Waltershausen starten die Reisenden, die sich diesmal ganz bewusst für ein anderes Fortbewegungsmittel entschieden haben. Waren sie sonst mit dem Van, in Kanus oder zu Fuß unterwegs, wollen sie den Weg nun auf zwei Rädern bestreiten. „Wir sitzen viel zu oft im Auto“, sagt Sandra Butscheike.
Zuletzt bereisten sie mit dem Bulli Island. Dort trafen sie unter anderem einen Pferdezüchter. „Wir erhoffen und noch mehr Begegnungen auf dem Fahrrad“, sagt Butscheike. E-Bikes waren keine Option. Sie vertrauen auf ihre Muskelkraft,
wissen aber auch um den Aufwand, den elektrisch angetriebene Räder mit sich bringen. Selbst in Skandinavien gebe es nicht genügend Möglichkeiten zum Aufladen, und Ersatzakkus bedeuten Extragewicht.
30 Kilogramm wiegt das Gepäck auf den Rücken der Waltershäuser. Einen Großteil macht das Kameraequipment aus. Im Fotografieren und Filmen sind Mender und Butscheike Autodidakten. Wie sie ihre Reiseeindrücke am besten einfangen können, war ein Lernprozess für beide. 2008 bewilligten die jeweiligen Arbeitgeber ihnen ein halbes Sabbatjahr. Sie tourten durch Patagonien, Neuseeland, Thailand und Nepal.
„Zurück in Deutschland sind wir nie wieder richtig angekommen“, erinnert sich Sandra Butscheike. Die Erfahrung gab ihnen den Mut, sich selbstständig zu machen. Reich werde man damit nicht, stellt Steffen Mender klar. Doch das Paar hat die Freiheit in seiner Tätigkeit gefunden, die es in seinen vorherigen Jobs vermisst hat.
Ihre Reisen führten sie seither nach Südamerika, die britischen Inseln und Skandinavien. Wenngleich
die Bilder diesen Anschein machen, nicht immer erwischt das Paar gutes Wetter. Und nicht jedes Treffen mit Gesprächspartnern gelingt auf Anhieb. „Manche Stationen haben wir drei-, viermal bereist, bis wir es im Kasten hatten“, sagt Sandra Butscheike.
Viel Freizeit bleibt dabei nicht. Auf monatelanges Reisen folgt monatelanges Bearbeiten des Materials und die Organisation der 70 bis 100 Vorträge, die sie im Jahr geben. Allein damit verdienen sie das Geld, das sie dann nahezu vollständig in Reisen reinvestieren.
Reisebegeisterten wird vom Nachahmen abgeraten
Corona machte diesem Konzept einen Strich durch die Rechnung. Die Zeit des ersten Lockdowns nutzten sie noch für Büroarbeit. Große Probleme bereiteten ihnen die unterschiedlichen Regelungen in der Zeit, als Veranstaltungen wieder möglich waren. Auch jetzt spüre man die Folgen noch. Die Veranstaltungsorte sind rar und teuer geworden.
Nachahmern würde er davon abraten, sich mit einer ähnlichen Idee selbstständig zu machen, sagt Steffen Mender. „Wir können jetzt davon leben, weil wir uns damals eine solide Basis erarbeitet haben.“Nun, mit wachsender Konkurrenz und der kränkelnden Kulturbranche, gestalte sich der Einstieg schwieriger.
Mit den Rädern geht es Sonntag Richtung Hamburg und entlang der dänischen Nordseeküste, von wo sie mit der Fähre nach Bergen übersetzen. Im Herbst stehen wieder Vortragstermine an. „Unser Ziel haben wir erreicht, wenn die Besucher mit Gänsehaut hinausgehen“, sagt Steffen Mender.