Thüringer Allgemeine (Gotha)

Strampeln bis zum Nordkap

Sandra Butscheike und Steffen Mender aus Waltershau­sen leben vom Reisen. Freiheit stellen sie über Luxus

- Von Victoria Augener

Waltershau­sen. Die Taschen sind gepackt, die Räder stehen bereit für die Tour gen Norden. „Wir sind es gewohnt um jedes Gramm zu feilschen“, sagt Steffen Mender. Alles, worauf er und Sandra Butscheike verzichten können, lassen sie zu Hause in Waltershau­sen. Ihr Ziel ist das Nordkap, der nördlichst­e vom Festland aus auf Straßen erreichbar­e Punkt Europas. Was sie dabei erleben, teilen sie deutschlan­dweit bei Reisevortr­ägen. Ihr aktuelles Projekt nennen sie „Nordwärts“.

Eine letzte Sache auf der Checkliste haben die beiden am Mittwoch im Waltershäu­ser Rathaus erledigt.

Erst das Sabbatjahr, dann die Kündigung

„Es ist jetzt langsam mal Zeit, nach 22 Jahren zusammen“, sagt Mender. Das Paar hat sich das Jawort gegeben – recht spontan, wie Sandra Butscheike verrät. Familie und Freunde erfuhren erst kurz zuvor davon. Gefeiert wird, nachdem das Paar im Herbst von seiner Reise zurückgeke­hrt ist.

Am Sonntagvor­mittag geht es los. Vom Markt in Waltershau­sen starten die Reisenden, die sich diesmal ganz bewusst für ein anderes Fortbewegu­ngsmittel entschiede­n haben. Waren sie sonst mit dem Van, in Kanus oder zu Fuß unterwegs, wollen sie den Weg nun auf zwei Rädern bestreiten. „Wir sitzen viel zu oft im Auto“, sagt Sandra Butscheike.

Zuletzt bereisten sie mit dem Bulli Island. Dort trafen sie unter anderem einen Pferdezüch­ter. „Wir erhoffen und noch mehr Begegnunge­n auf dem Fahrrad“, sagt Butscheike. E-Bikes waren keine Option. Sie vertrauen auf ihre Muskelkraf­t,

wissen aber auch um den Aufwand, den elektrisch angetriebe­ne Räder mit sich bringen. Selbst in Skandinavi­en gebe es nicht genügend Möglichkei­ten zum Aufladen, und Ersatzakku­s bedeuten Extragewic­ht.

30 Kilogramm wiegt das Gepäck auf den Rücken der Waltershäu­ser. Einen Großteil macht das Kameraequi­pment aus. Im Fotografie­ren und Filmen sind Mender und Butscheike Autodidakt­en. Wie sie ihre Reiseeindr­ücke am besten einfangen können, war ein Lernprozes­s für beide. 2008 bewilligte­n die jeweiligen Arbeitgebe­r ihnen ein halbes Sabbatjahr. Sie tourten durch Patagonien, Neuseeland, Thailand und Nepal.

„Zurück in Deutschlan­d sind wir nie wieder richtig angekommen“, erinnert sich Sandra Butscheike. Die Erfahrung gab ihnen den Mut, sich selbststän­dig zu machen. Reich werde man damit nicht, stellt Steffen Mender klar. Doch das Paar hat die Freiheit in seiner Tätigkeit gefunden, die es in seinen vorherigen Jobs vermisst hat.

Ihre Reisen führten sie seither nach Südamerika, die britischen Inseln und Skandinavi­en. Wenngleich

die Bilder diesen Anschein machen, nicht immer erwischt das Paar gutes Wetter. Und nicht jedes Treffen mit Gesprächsp­artnern gelingt auf Anhieb. „Manche Stationen haben wir drei-, viermal bereist, bis wir es im Kasten hatten“, sagt Sandra Butscheike.

Viel Freizeit bleibt dabei nicht. Auf monatelang­es Reisen folgt monatelang­es Bearbeiten des Materials und die Organisati­on der 70 bis 100 Vorträge, die sie im Jahr geben. Allein damit verdienen sie das Geld, das sie dann nahezu vollständi­g in Reisen reinvestie­ren.

Reisebegei­sterten wird vom Nachahmen abgeraten

Corona machte diesem Konzept einen Strich durch die Rechnung. Die Zeit des ersten Lockdowns nutzten sie noch für Büroarbeit. Große Probleme bereiteten ihnen die unterschie­dlichen Regelungen in der Zeit, als Veranstalt­ungen wieder möglich waren. Auch jetzt spüre man die Folgen noch. Die Veranstalt­ungsorte sind rar und teuer geworden.

Nachahmern würde er davon abraten, sich mit einer ähnlichen Idee selbststän­dig zu machen, sagt Steffen Mender. „Wir können jetzt davon leben, weil wir uns damals eine solide Basis erarbeitet haben.“Nun, mit wachsender Konkurrenz und der kränkelnde­n Kulturbran­che, gestalte sich der Einstieg schwierige­r.

Mit den Rädern geht es Sonntag Richtung Hamburg und entlang der dänischen Nordseeküs­te, von wo sie mit der Fähre nach Bergen übersetzen. Im Herbst stehen wieder Vortragste­rmine an. „Unser Ziel haben wir erreicht, wenn die Besucher mit Gänsehaut hinausgehe­n“, sagt Steffen Mender.

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FOTO: SUSANNE RUGE Kurz bevor sie zu ihrer Radreise aufbrechen, haben Steffen Mender und Sandra Butscheike in Waltershau­sen geheiratet.

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