Thüringer Allgemeine (Gotha)

„Ich habe panische Angst gehabt“

Amokalarm und Schüsse in Bremerhave­ner Gymnasium – Mitarbeite­rin schwer verletzt

- Von Jonas Erlenkämpe­r

Bremerhave­n. Das Gymnasium war leerer als sonst. Etwa 200 Oberstufen­schüler hielten sich im Gebäude auf, sie mussten Abi-Nachprüfun­gen ablegen. Als plötzlich Schüsse fallen, spielen Zensuren keine Rolle mehr. Den Mädchen und Jungen sowie ihren Lehrern wird an diesem Donnerstag­morgen klar: Es geht um Leben und Tod.

Gegen 9.15 Uhr drang ein Mann mit mindestens einer Schusswaff­e ins Bremerhave­ner Lloyd-Gymnasium ein und verletzte eine Mitarbeite­rin der Schule schwer. Dem regionalen Nachrichte­nportal „Nord24“zufolge hatte eine Schülerin, die gerade auf der Toilette war, die Schüsse gehört und die Polizei gerufen. Das Gymnasium rief den Notfall aus: Schülerinn­en und Schüler sowie Lehrkräfte schlossen sich in den Klassenzim­mern ein, wo sie ausharrten, bis die Polizei Stunden später Entwarnung gab.

Der mutmaßlich­e Täter wurde festgenomm­en. In sozialen Netzwerken kursiert ein Video, das angeblich die Festnahme zeigt. Zu sehen ist ein junger Mann, der sich neben einer Ampel auf den Bürgerstei­g setzt – neben ihm liegt ein

Gegenstand, der eine Armbrust sein könnte. Dann halten mehrere Polizeifah­rzeuge, Beamte stürmen heraus und nehmen den Mann anscheinen­d widerstand­slos fest. Der Polizei liegt das Video vor, dessen Echtheit ließ sich jedoch nicht überprüfen. Der Schütze sei ein 21-Jähriger, möglicherw­eise mit einer „psychologi­schen Dispositio­n“, teilte die Staatsanwa­ltschaft mit.

Gegen 13.30 Uhr war der Schrecken für Schüler und Lehrer im Gebäude endlich vorbei. Nach rund vier Stunden des Ausharrens konnten sie die Schule verlassen. Einige lachten, andere hatten verweinte Augen. „Ich habe bis eben panische Angst gehabt“, berichtete ein 16Jähriger, der die zehnte Klasse besucht. Er habe gerade Kunst gehabt, als über die Lautsprech­er der CodeSatz

für einen Amoklauf mehrfach durchgesag­t wurde. „Das war ein Schock für mich“, sagte der Schüler. Seine Lehrerin habe die Tür abgeschlos­sen. Erst habe sie angefangen zu weinen, dann einige seiner Mitschüler. Alle hätten sich auf den Boden gelegt. „Ich saß zwei Stunden unter dem Tisch.“Seelsorger und Schulpsych­ologen nahmen die Jugendlich­en und ihre Lehrkräfte in Empfang. Die schwer verletzte Mitarbeite­rin des Gymnasiums wurde ins Krankenhau­s gebracht. Sie sei noch nicht vernehmbar.

Amokeinsat­z auch in Leipzig:

Student festgenomm­en

Wieder ist also eine Schule ins Visier eines Attentäter­s geraten. In Sachsen gab es ebenfalls am Donnerstag einen weiteren Amokverdac­ht: Ein Spezialein­satzkomman­do nahm in Leipzig einen 21 Jahre alten Studenten in dessen Wohnung fest. Der junge Mann habe über das soziale Netzwerk Snapchat eine mögliche Gewalttat in einer Schule angekündig­t, sagte ein Sprecher der Leipziger Polizei. Der Student hatte offenbar ein verdächtig­es Video veröffentl­icht. „Auf Grundlage des Videos hatten wir eine ernste Gefahrenpr­ognose und mussten handeln“, so der Sprecher. Erst vergangene Woche hatte die Polizei in Essen eine Attacke an einer Schule verhindert: Ein 16-jähriger Gymnasiast soll einen rechtsextr­em motivierte­n Anschlag geplant haben.

Wie kommt es zu dieser auffällige­n Häufung? Experten beobachten seit Jahren einen Nachahmung­seffekt unter Amokläufer­n. Die Universitä­t Würzburg hat das Phänomen zusammen mit einer US-Uni untersucht. Mit dem Ergebnis, dass „in der Regel nach einem Zeitraum von zehn Tagen nach einem Amoklauf ein weiterer stattfinde­t“, wie Professor Armin Schmidtke vom Lehrstuhl für Psychologi­e berichtet. Sobald Medien über eine solche Tat berichtete­n, begännen Jugendlich­e darüber nachzudenk­en, dass auch sie sich für empfundene­s Unrecht rächen könnten.

„Das ist das schlimmstm­ögliche Ereignis, das passieren kann“, sagte Bremerhave­ns Schuldezer­nent Michael Frost. „So etwas ist überall möglich, das bestätigt sich heute.“Die Schule sei immerhin sehr gut auf einen solchen Fall vorbereite­t gewesen. „Wenn es heute eine gute Nachricht gibt, dann ist es diese.“

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FOTO: DPA Einsatzkrä­fte von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdi­ensten geleiten die Schülerinn­en und Schüler aus dem Gebäude.
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SCREENSHOT:PRIVAT Ein Video zeigt offenbar den Schützen mit Waffe.

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