Thüringer Allgemeine (Gotha)

„Wir assoziiere­n Männlichke­it mit Macht und Stärke. Verletzlic­hkeit und Opferrolle­n passen da nicht ins Bild.“

- Von Leon Grupe

Björn Süfke, Psychother­apeut

Berlin. In dem Moment, als Konrad (*) begreift, dass er nicht mehr kann, liegt er im Bett und krümmt sich. Schmerz durchfährt seinen Rücken. Seine Freundin ist ausgeflipp­t. Sie ist ihm mit beiden Knien in den Rücken gesprungen, hat ihm ins linke Ohr gebissen. Die Attacke kam völlig unerwartet. Er hatte geschlafen, als sie ihn überfiel. Immer wieder wird er in seiner Beziehung misshandel­t. Er ist das Opfer, sie die Täterin.

Auf den ersten Blick könnte man meinen, Konrads Geschichte dreht sich um ein Randproble­m. Doch das ist es nicht. Es ist viel größer. Jede fünfte Gewalttat in einer Beziehung trifft einen Mann. Nur: Darüber wird kaum gesprochen. Dabei steigen die Übergriffe seit Jahren.

2020 wurden laut Bundeskrim­inalamt (BKA) 148.031 Menschen in Deutschlan­d Opfer von Partnersch­aftsgewalt. Hauptsächl­ich richtet sich die Gewalt gegen Frauen. 119.164 der Betroffene­n waren weiblich. Unter den Männern registrier­te das BKA 28.867 Opfer. Ein Anstieg von etwas über sieben Prozent gegenüber 2019. Ob die Pandemie die Lage verschärft hat, lässt sich aus der Bka-statistik nicht ohne Weiteres ablesen. Der Weiße Ring berichtet hingegen von einem sprunghaft­en Anstieg nach den Lockdowns.

Konrad hat sein Büro als Treffpunkt vorgeschla­gen, hier will er seine Geschichte erzählen. Etwas, das die meisten Männer aus Scham nie tun würden. Die in der Gesellscha­ft vorherrsch­enden Männerklis­chees machen aus einer Hemmschwel­le eine riesige Hürde. Viele haben Angst vor Spott und Häme. Konrad kann inzwischen darüber sprechen, doch auch er hat lange gebraucht. Und auch wenn das Ende der gewalttäti­gen Beziehung schon Jahre zurücklieg­t, holen ihn die Erlebnisse immer wieder ein.

Der 51-Jährige ist leicht untersetzt, hat schütteres Haar, trägt eine blaue Strickjack­e und schwarze Jeans. Seine Partnerin, die in diesem Text Anja heißen soll, lernt er 2007 kennen. Konrad, der ursprüngli­ch Psychologi­e studiert hat, arbeitet als Steinbildh­auer und spielt hobbymäßig in einer Rockband, Anja ist in

Eine Gruppenthe­rapie half Konrad, die Gewalt zu verarbeite­n. Doch die Erinnerung­en holen ihn nach wie vor ein.

der Veranstalt­ungsbranch­e tätig. Sie hat ein Event-magazin gegründet, darin will er eine Annonce für ein Konzert aufgeben. Dann geht alles schnell. Sie kommen zusammen, sie ziehen zusammen.

Es ist eine rauschhaft­e Zeit, die beiden haben nur Augen füreinande­r, doch irgendwann bekommt die rosarote Brille der ersten Verliebthe­it einen Sprung. Konrad erkennt, wie Anja ihre starken Emotionen kaum unter Kontrolle halten kann.

Anja beißt, Anja schlägt,

Anja demütigt

Vergisst Konrad seine Jacke aufzuhänge­n, brüllt sie ihn an. Will er die Wohnung verlassen, stellt sie sich ihm in den Weg. Manchmal schiebt er Anja zur Seite, dann kommt es zur Eskalation und sie streiten. Manchmal vermeidet er die Konfrontat­ion, dann bleibt er zu Hause.

Nachts habe sie ihn ständig geweckt, um lautstark über irgendetwa­s zu diskutiere­n, an das er sich nicht mehr erinnern kann. „Weil es nichts zu diskutiere­n gab“, sagt er. Er beschreibt ihr Verhalten als „Wutanfall“. Ihre Attacken werden zunehmend physischer – und heftiger.

Als sie in einem Café sind, schüttet sie ihm unvermitte­lt ein Glas Wasser über den Kopf, wie „ein begossener Pudel“sitzt er ihr gegenüber. Sie wirft mit einer Küchensche­re

nach ihm, die glückliche­rweise so stumpf ist, dass sie ihn nicht schwer verletzt. Sie schlägt mit einer Weinflasch­e auf ihn ein. An seinen Armen sieht man später Hämatome. Während ihrer Gewaltausb­rüche gehen in der Wohnung die einfach verglasten Kastenfens­ter und die Badezimmer­tür zu Bruch. Anja beißt, schlägt, demütigt. Konrad sagt, er ärgert sich, dass er die Verletzung­en nicht dokumentie­rt und die Polizei informiert hat. Vielleicht hätte es aber auch nichts gebracht. „Dass ich von meiner Freundin verprügelt wurde, hätte mir doch eh niemand geglaubt.“Es ist ein Satz, den Konrad im Gespräch mehrmals so oder ähnlich wiederholt. Er sagt auch: „Ich habe mir eingeredet, dass ich die Gewalt ertragen müsse.“Die Schuld für Anjas Verhalten hat er bei sich gesucht.

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