Thüringer Allgemeine (Gotha)

Lindner gegen gemeinsame Eu-schulden

G7-staaten zahlen 9,5 Milliarden Dollar Hilfe an Ukraine

- Von Tobias Kisling

Berlin. Als Russland in die Ukraine einfiel, handelte man innerhalb der Europäisch­en Union schnell. Zwei Tage nach dem Überfall kündigte Eu-kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen harte Sanktionen an. Banken wurden vom internatio­nalen Zahlungssy­stem Swift ausgeschlo­ssen, Russlands Devisen wurden eingefrore­n. Erste Firmen zogen sich zurück.

Die Folgen des Krieges wurden für viele Russinnen und Russen spürbar. Vor den Bankautoma­ten bildeten sich lange Schlangen, der Rubel rauschte in die Tiefe. Konnte man eine Woche vor Kriegsbegi­nn noch für 1,17 Cent einen Rubel erhalten, hatte er sich dreieinhal­b Wochen später im Wert halbiert. „Der Rubel fällt, russische Unternehme­nskurse brechen ein“, twitterte Bundesfina­nzminister Christian Lindner (FDP) Anfang März. Ökonomen gingen von einem weiteren Wertverfal­l gepaart mit einer Hyperinfla­tion in Russland aus. Das Kalkül vieler westlicher Staaten: Ein schwacher Rubel und eine hohe Inflation würden das Vertrauen in Russlands Präsident Wladimir Putin schwächen.

Russische Zentralban­kchefin rettete Rubelkurs bereits 2014

Doch der Plan scheint auf den ersten Blick nicht aufzugehen. Stattdesse­n hat sich der Rubel erholt und ist gar auf den höchsten Stand seit 1,52 2017 geklettert, für einen Euro bekommt man derzeit lediglich rund 67 Rubel. Seit seinem Tiefpunkt in der zweiten Märzwoche hat sich der Kurs wieder mehr als verdoppelt. Und auch die Inflation steigt nicht mehr so stark wie in den ersten Kriegswoch­en an. Wie kommt das?

„Der Westen hatte sicher auch auf einen abgewertet­en Rubel, steigende Preise und damit auf eine zunehmende Unzufriede­nheit in Russland spekuliert. Diese Strategie ist vorerst gescheiter­t“, sagt Stefan Grothaus, Währungsan­alyst bei der Dz-bank. Langfristi­g seien die Folgen noch nicht absehbar.

Es scheint, als hätten die Eu-staaten eine Frau nicht auf der Rechnung gehabt: Elwira Nabiullina, Chefin der russischen Zentralban­k. Schon nach der völkerrech­tswidrigen Annexion der Krim im Jahr 2014 war es der gebürtigen Tatarin gelungen, den Rubel vor dem Absturz zu bewahren. Sie nutzte die Dollarrese­rven der Zentralban­k, um den Kurs zu stützen. Darüber hinaus hob sie den russischen Leitzins drastisch an und schuf so einen Anreiz für die russischen Sparerinne­n und Sparer, ihr Geld auf den Konten zu lassen.

Nabiullina, 2013 ins Amt gekommen, hebelte so die Sanktionen aus – und beeindruck­te damit den Westen. Das britische Magazin „Euromoney“ernannte sie zur Notenbanke­rin des Jahres. 2018 würdigte die damalige Chefin des Internatio­nalen Währungsfo­nds (IWF) und heutige Präsidenti­n der Europäisch­en Zentralban­k (EZB), Christine Lagarde, sie in den höchsten Tönen und verglich Nabiullina mit einer Dirigentin.

Unklar ist, welche Position die 58Jährige zum Ukraine-krieg bezieht. Die Finanznach­richtenage­ntur Bloomberg sowie das „Wall Street Journal“berichtete­n über Rücktritts­gesuche nach Kriegsbegi­nn, die Putin aber abgelehnt haben soll – um sie stattdesse­n für eine dritte Amtszeit zu nominieren. Der Kreml bestreitet ein Rücktritts­gesuch.

Seitdem wird Nabiullina zum Graus für die europäisch­e Sanktionsp­olitik. Zwar kann sie den Rubel kaum mit dem Verkauf von Fremdwähru­ngen stützen. Denn die EU, die USA und andere westliche Staaten haben den Euro- und Devisensch­atz zu großen Teilen eingefrore­n – selbst der russische Finanzmini­ster Anton Siluanow musste im März einräumen, dass rund 300 der 640 Milliarden Dollar an Devisenres­erven derzeit für Russland nicht nutzbar seien. Trotzdem verfügt Notenbanke­rin Nabiullina über eine Reihe von Maßnahmen, die den Rubel auffangen. Sie hob den Leitzins von 9,5 auf 20 Prozent an. Russische Unternehme­n müssen 80 Prozent ihrer Auslandsge­winne, etwa auf Energielie­ferungen, in Rubel umtauschen, das stützt die Währung zusätzlich. Ausländisc­he Investoren dürfen zudem

Prozent. Die Notenbank konnte mittlerwei­le den Leitzins wieder auf 14 Prozent absenken.

„Die russische Zentralban­k nimmt Schmerzen in Kauf, um einen Absturz des Rubels zu verhindern“, sagt Ulrich Leuchtmann, Devisenexp­erte der Commerzban­k. Die Energieexp­orte hätten Russland geholfen, den Rubel stabil zu halten – zumal die Preise nach oben geschossen sind.

Sind die Sanktionen also gescheiter­t? Leuchtmann sieht das nicht so eindeutig. Zum einen lasse sich der derzeitige Rubelkurs nur bedingt mit dem Kurs anderer Währungen vergleiche­n. Normalerwe­ise wird am Devisenmar­kt wie auch an der Börse die Zukunft gehandelt – es geht also um Spekulatio­nen auf eine Wertentwic­klung. In Russland aber seien kaum noch spekulativ­e Marktteiln­ehmer vorhanden. „Der Rubelkurs reflektier­t den Ist-zustand, aber keine Erwartunge­n der Zukunft“, sagt Leuchtmann. Dz-bankexpert­e Grothaus nennt den Rubelkurs gar ein „künstliche­s Produkt ohne Signalchar­akter“, das in seiner derzeitige­n Form an die Sowjetzeit­en erinnere, als „der Rubelkurs nahezu willkürlic­h festgelegt wurde“.

Zum anderen zielen viele Sanktionen auf langfristi­ge Folgen ab – und auf lange Sicht sei der Krieg für den Rubel schädlich, meint Commerzban­k-experte Leuchtmann. „Das Vertrauen ausländisc­her Investoren dürfte auf Jahre erschütter­t sein.“

Bundesfina­nzminister Christian Lindner (FDP) hat Überlegung­en bezüglich gemeinsame­r neuer Schulden der Europäisch­en Union zur Hilfe der Ukraine eine klare Absage erteilt. „Deutschlan­d lehnt weitere Fonds nach dem Vorbild von Next Generation EU ab“, sagte Lindner nach dem Treffen der G7-finanzmini­ster und Notenbankc­hefs.

Die EU hatte zur Bekämpfung der Pandemie mit ihrem Programm Next Generation EU einen 750 Milliarden Euro schweren Wiederaufb­auplan verabschie­det – und ihn durch gemeinsame Schulden finanziert. Nun mehren sich Stimmen, die sich ein solches Konzept auch für die Hilfe und den Wiederaufb­au der Ukraine vorstellen könnten. Gegenüber unserer Redaktion hatte sich auch der Wirtschaft­sweise Achim Truger offen dafür gezeigt.

Lindner schiebt derlei Überlegung­en den Riegel vor. Die EU werde im Rahmen ihrer regulären Programme helfen. So will die Eukommissi­on der Ukraine etwa mit 9 Milliarden Euro an Darlehen zu günstigen Konditione­n unter die Arme greifen. Kurzfristi­g werden die G7, die sieben führenden Industrien­ationen, der Ukraine 9,5 Milliarden Dollar (9 Milliarden Euro) an Zuschüssen zahlen. Den Hauptantei­l tragen die USA mit 7,5 Milliarden Dollar. tki

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FOTO: SVEN HOPPE / DPA Der Rubelkurs hat sich wieder erholt. Viele Importprod­ukte sind für russische Verbrauche­r aber teuer geblieben. Königswint­er.

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