Uniformen und Gefängnisse riechen überall ähnlich
Annett Gröschner präsentiert das Projekt „Geruch der Diktatur“zu Parallelen und Verflechtungen von Diktaturerfahrung in der DDR und in Syrien
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Erfurt. Sie kommen aus Deutschland, Syrien, Algerien. Autorinnen mit Erfahrungen aus der Zeit des Sed-system in der DDR oder aus dem Assad-regime schreiben gemeinsam am Projekt „Geruch der Diktatur“. Vorgestellt wurde es jetzt von der Berliner Autorin und Initiatorin Annett Gröschner im Haus Dacheröden. Dazu eingeladen hatte der Forschungsverbund Diktaturerfahrung und Transformation der Erfurter Universität.
Den Anstoß lieferten der Syrienkrieg und die Flüchtlingswelle von 2015. Aus Angela Merkels „Wir schaffen das“wird die Autorinneninitiative „Wir machen das“. Viele Unterprojekte folgen. Im literarischen Projekt „Weiter Schreiben“können Kreative aus Kriegs- und Krisengebieten weiter veröffentlichen und sich mit in Deutschland ansässigen Kolleginnen vernetzen.
Gröschner erzählt von einem gemeinsamen Besuch mit der syrischen Schriftstellerin Dima Albitar Kalaji im Stasimuseum Berlin. Dabei
sei beiden die Ähnlichkeiten ihrer Erinnerungen an Erfahrungen in der Diktatur selbst über Zeitunterschiede hinweg bewusst geworden. Wie sich Erinnerungen an Gerüche von Uniformen im Regen oder von gebohnerten Fluren in Behörden oder Gefängnissen in Körper und Bewusstsein eingeschrieben hätten, böte viele Parallelen.
Die Idee für „Der Geruch der Diktatur“war geboren. Seitdem sammeln Gröschner und Kalaji Geschichten von Menschen, die in Diktaturen leben oder gelebt haben.
Coronabedingt entstand zunächst das gleichnamige Internetportal mit inzwischen 35 Texten sowie Podcasts und Fotos von 20 Autoren.
Da berichtet Dima Al-bitar Kalaji in „Die Farbpalette der Diktatur“ von ihrem Buntstifte-kasten in Syrien. Alle hätten die gleiche Box gehabt, aus der einzigen Fabrik, die sie herstellte. Die gleichen Farben hätten sich in Schulbüchern oder Reklame wiedergefunden. „Die Diktatur überzieht die Farben mit einer feinen Schicht Trockenheit, so wie die Depression eine transparente Folie der Traurigkeit über das Leben derer legt, die unter ihr leiden und durch diese Folie hindurch leben müssen“, schreibt die Syrierin.
Ihre Landsfrau Noura Chalati berichtet in „Der Geruch des Archivs“ vom Verhältnis zwischen der Stasi und den syrischen Geheimdiensten. In einem der Podcasts spricht die nach einem Fluchtversuch eingesperrte Anne Hahn über Geräusche und Gerüche im Gefängnis.
Ermöglicht wurde der „Der Geruch der Diktatur“durch eine Förderung der Stiftung Aufarbeitung. Inzwischen stocke das Projekt. Um Texte, Fotos, Übersetzungen und Lektorat weiter bezahlen zu können, benötige man ca. 20.000 Euro.
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