Thüringer Allgemeine (Gotha)

„Manche Erlebnisse können Ursache für Blockaden oder Probleme wie Präsentati­onsangst, Minderwert­igkeitsgef­ühle oder Lampenfieb­er sein.“

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Struktur geben. Ein weiterer Rat: die eigenen Grenzen erkennen und Hilfe annehmen. Dabei muss es jedoch nicht immer ein Gefühl von Hilflosigk­eit, Scham oder Angst sein, das Auswirkung­en bis ins Berufslebe­n hat. „Das eine sind die negativen Bewertunge­n, die unser Denken und Verhalten steuern“, sagt die Hamburger Karrierebe­raterin und Arbeitspsy­chologin Ragnhild Struss. „Das andere sind bestimmte Talente, Fähigkeite­n und Interessen, die man als Kind hatte, die aber in Vergessenh­eit geraten sind.“Und die gar nicht zutage kamen, weil es für sie keine Noten oder Leitungsst­ruktur gibt.

Ausgeprägt­e soziale Fähigkeite­n zum Beispiel oder Spontaneit­ät. „Wer in der Schule erfahren hat, dass es immer ‘richtig’ und ‘falsch’ gibt und gerügt wurde, wenn eine Antwort nicht der Vorstellun­g der Lehrkraft entsproche­n hat, wird sich abgewöhnen, spontan und frei zu äußern, was in ihm oder ihr vorgeht“, sagt Struss.

Das könne so weit gehen, dass man auch später als Erwachsene­r im Job nicht den Mut habe, in Brainstorm­ing-prozessen

seine Ideen vorzubring­en, die Initiative zu ergreifen oder selbstbewu­sst seine Meinung zu vertreten.

Auch allgemeine Vorurteile und persönlich­e Zuschreibu­ngen können das Selbstbild prägen und die weitere Entwicklun­g beeinfluss­en. Wer „schon immer gut in Mathe“war, muss natürlich Ingenieur werden, und ein „Arztkind“natürlich ebenfalls Ärztin.

„Solche frühen Erfahrunge­n können dazu führen, dass die Zuschreibu­ngen gar nicht mehr hinterfrag­t werden, sondern man annimmt, was einem übergestül­pt wurde“, sagt die Arbeitspsy­chologin. So verlerne man, auf sich selbst zu hören und der eigenen Stimme zu vertrauen.

Sich auch an das Positive in der Schulzeit erinnern

Wer Zuschreibu­ngen aus der Schule nicht reflektier­t, schränkt sich womöglich selbst ein: „Sie verhindern die freie Entwicklun­g eines eigenen Selbstbild­es und Flexibilit­ät“, sagt Struss. Und sie können kleinhalte­n und dafür sorgen, dass man sich so verhält, wie es von einem erwartet wird, „statt Träume zu verfolgen und Pläne zu verwirklic­hen, zu denen man das Potenzial hätte.“

In ihren Beratungen versucht Ragnhild Struss, vergessene Ressourcen zu heben und die Klienten zu motivieren, sich an vergangene Stärken und Potenziale zu erinnern, die verschütte­t wurden. Wichtig ist, sich darüber bewusst zu werden, dass aktuelle und akute Schwierigk­eiten nicht für alle Ewigkeiten bleiben müssen. „Man muss sich klarmachen, dass man heute neue Verhaltens­muster ausprobier­en kann, weil man erwachsen ist.“

Die Beraterin empfiehlt, den Blick auf das zu lenken, was positiv war: „Es gibt immer den einen Lehrer, die eine Lehrerin, die etwas in einem gesehen hat. Die Bezugspers­on, die das Potenzial und die Persönlich­keit erkannt hat, gefördert und ermutigt hat.“Der man nacheifern wollte, die einen an das eigene Potenzial glauben ließ und das Selbstwert­gefühl gestärkt hat. Sicher eine tröstende Erkenntnis: Denn nicht nur negative, auch positive Erfahrunge­n können prägend für das spätere Berufslebe­n sein.

Auf der anderen Seite sollte man die Rolle der Schulzeit allerdings auch nicht überschätz­en. So hatte wohl jeder Lehrerinne­n und Lehrer, mit denen es besser oder auch schlechter klappte. Die Erfahrunge­n gleichen sich also aus. Und so ähnlich ist es bei den meisten später im Berufslebe­n mit den Kollegen ja auch. Insofern bereitet die Schule vielleicht auch nur genau darauf vor, was einem Menschen im weiteren Leben noch erwartet.

Mira Mühlenhof, Sozialpsyc­hologin

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FOTO: IMGORTHAND / GETTY IMAGES Eine Situation, von der manche noch Jahre später Alpträume bekommen: Matheaufga­ben im Unterricht lösen.

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