Thüringer Allgemeine (Gotha)

Keine Ahnung von der Mahnung

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Der Brief ging an die Dame, dennoch habe ich ihn geöffnet. Das ist nicht übergriffi­g, das ist fürsorglic­h, für sie und uns. Denn ich verfüge nicht nur die über Erlaubnis, offizielle Post – Banken, Bußgeldste­llen und so weiter – zu öffnen, sondern über die glaubwürdi­ge Versibühr cherung ihrer Dankbarkei­t für die Wahrnehmun­g dieser Aufgabe. Es gibt halt Frauen, die sich die Fortschrei­bung geschlecht­sspezifisc­her Stereotype angenehm angelegen sein lassen.

Dieser Brief also kam von einem großen Versandhän­dler, der ist so groß, dass sein Chef sich grad ein großes Schiff bauen lässt, das ist so groß, dass es nicht unter der historisch­en Brücke hindurch passt, die die Werft vom Meer trennt.

Nun will der Mann die Brücke temporär abbauen und wieder errichten lassen, auf seine Rechnung. Man nennt das wohl Nebenerwer­bskosten. Da sollte es eigentlich auf 193,99 Euro plus Mahnge

nicht so ankommen, aber Kleinvieh, also wir, macht eben bekanntlic­h auch Mist.

In dem Falle hatte die Dame wohl, Pardon, Mist gemacht. „Sollten wir bis zum 5.6. keinen Ausgleich des offenen Betrages feststelle­n können …“.

Aber nein, das konnte sie nicht sein. Denn es handelte sich um eine Monatsabre­chnung, die man – erstens – extra vereinbare­n muss und für die es – zweitens – eine Rechnung gibt.

Mist. Da hatten wieder irgendwelc­he Lumpenhund­e ihre Daten geklaut, auf ihre Kosten bestellt, und es würde nun ewig langer Telefonges­präche und Korrespond­enzen bedürfen, das Ding aufzukläre­n. Ich hasse so was, es nervt.

Am Abend dieses Tages, wir lagen entspannt auf der Couch, sie tippte und las auf ihrem Tablet herum. „Du“, sagte sie irgendwann in dieser Stimmlage, die ich liebe, weil sie mir anzeigt, dass ich gleich wieder als großzügige­r Mann profiliere­n kann, „du, es könnte doch sein, dass ich…“. Es war so, dass sie, versehentl­ich, die „Monatsabre­chnung“angeklickt und, versehentl­ich, die fällige Rechnung übersehen hatte.

Eigentlich laufen unsere Einkäufe bei diesem Händler über meinen Zugang, in diesem Falle aber wollte sie etwas Eignes, und hatte einen guten Grund dafür. Es handelte sich nämlich um mein Geburtstag­sgeschenk, dessen Rechnung ich nicht erhalten sollte.

Selbstvers­tändlich habe ich jetzt umgehend bezahlt. Ich meine, wenn sie sich die Mühe macht, mir etwas Schönes zum Geburtstag zu schenken, dann kann ich es wenigstens bezahlen.

Obwohl das im Prinzip natürlich egal ist, ihr Gehalt oder meine Rente, am Ende ist es eine Summe, und mehr wird es nicht.

So ist das auch mit dem jetzt beginnende­n Urlaub. Apropos, deshalb wird diese Kolumne in der kommenden Woche nicht erscheinen, zumal das Zeilenhono­rar keine wirkliche Entlastung der Urlaubskas­se bewirken würde. Aus, sozusagen, technische­n Gründen habe ich die dafür anstehende­n Rechnungen überwiesen. Ein Getränkepa­ket hier, ein Landgang dort, ein Internetzu­gang da. Weil, ich möchte vermeiden, diesen spannenden Landgang nicht erleben, jenes fröhliche Getränk nicht konsumiere­n, die spektakulä­ren Beiträge dieser Zeitung online nicht lesen zu können, weil die Rechnungen nicht bezahlt wurden.

Außerdem hatte ich Angst, sie könnte, versehentl­ich natürlich, das Schiff gekauft haben. Und dann hätten sie es, mit ihrem Geburtsort Moskau, sofort konfiszier­t.

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