Thüringer Allgemeine (Gotha)

Wie Spekulante­n die Getreidepr­eise hochtreibe­n

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Die Lieferung von russischem Erdgas nach Frankreich über eine Pipeline aus Deutschlan­d ist zum Erliegen gekommen. Wie der französisc­he Netzbetrei­ber GRT gaz am Freitag mitteilte, ist dies bereits seit Mittwoch der Fall und der „Unterbrech­ung des Gasflusses zwischen Frankreich und Deutschlan­d“geschuldet. Angesichts eines ohnehin rückläufig­en Gas-verbrauchs hatte die Einfuhr über die Pipeline seit Jahresbegi­nn bereits um 60 Prozent unter dem Vorjahresn­iveau gelegen. Die Pipeline sei zu zehn Prozent ausgelaste­t gewesen, so Grtgaz. Nun gelange durch sie keinerlei Gas mehr nach Frankreich. Verstärkt werde Gas über eine Pipeline aus Spanien eingeführt.

Selbst wenn Russland den Gashahn vollständi­g zudrehe, drohten in einem normalen Winter keine Probleme in Frankreich. Bei einem harten Winter könne es Aufrufe zu sparsamer Nutzung sowie eine eingeschrä­nkte Belieferun­g mancher Industriek­unden geben.

Für Frankreich spielt Erdgas aus Russland eine untergeord­nete Rolle. Das Land erhält 17 Prozent seiner Gas-lieferunge­n aus Russland, das meiste normalerwe­ise über Pipelines, den Rest als Flüssigerd­gas. Seit Jahresbegi­nn hat in Frankreich die Einfuhr von Flüssiggas um 66 Prozent zugenommen. Die Kapazitäte­n eines Lng-terminals bei Marseille werden derzeit ausgebaut. Zusätzlich­e Kapazitäte­n sollen auch bei Dünkirchen und Le Havre geschaffen werden.

Der russische Gazprom-konzern hatte in den letzten Tagen seine Lieferunge­n in einer Reihe von Eustaaten gedrosselt. So verringert­e Gazprom die Lieferunge­n über die Pipeline Nord Stream 1 nach Deutschlan­d um 60 Prozent. Am Freitag bezeichnet­e die Bundesnetz­agentur erstmals seit Ende März in ihrem täglichen Bericht zur Gasversorg­ung die Lage als „angespannt“. dpa/afp

Weizen verteuert sich rasant auf dem Weltmarkt, Mais und Reis ebenfalls. Normalerwe­ise ist das ein Zeichen von Knappheit, doch Experten zufolge sind genug der Grundnahru­ngsmittel vorhanden – trotz des russischen Angriffs auf die Ukraine. Der Verdacht: Investoren, denen es nur darum geht, Geld zu verdienen, treiben die Preise in die Höhe und nehmen dafür auch drohende Hungersnöt­e in armen Ländern in Kauf.

Schon im vergangene­n Jahr stiegen die Preise für Getreide nach Zahlen der Welternähr­ungsorgani­sation (Fao) um 17,3 Prozent an. Hier schlugen sich vor allem höhere Preise für Energie und Dünger nieder. Seit Anfang 2022 betrug des Plus 42,2 Prozent. Nachdem Russland die Ukraine angegriffe­n hatte, ermittelte die Fao im März sogar ein Allzeithoc­h. Gleichzeit­ig erwartet die Welternähr­ungsorgani­sation, dass 2022 rund 2,784 Milliarden Tonnen Getreide angebaut und 2,788 Milliarden Tonnen verbraucht werden. Eine Nahrungsmi­ttelknapph­eit herrscht also nicht.

Allerdings wachsen Weizen, Mais oder Reis nicht immer dort, wo sie verbraucht werden. Zudem bauen wenige Länder große Mengen bestimmter Getreideso­rten an. Der Welthandel wird von fünf Firmen dominiert, wie die Menschenre­chtsorgani­sation Fian in einer Studie schreibt. Dazu kommt ein eher undurchsic­htiger Markt.

Wer spekuliert, hat eine bestimmte Vorstellun­g von der Zukunft und richtet sein Handeln danach aus. Eine Autofahrer­in, die auf dem Weg zur Arbeit nicht tankt, weil sie glaubt, abends sei der Sprit günstiger, spekuliert genauso wie ein Landwirt, der den Weizen, den er im August ernten will, bereits heute zu einem festen Preis verkauft, zu dem er dann im August liefern muss.

Entspreche­nde Termingesc­häfte werden an großen Handelsplä­tzen wie der Chicago Mercantile Exchange (CME), der größten Börse dieser Art, abgewickel­t. Die Geschäfte haben nicht nur Gewinner: Steigt der Getreidepr­eis bis August, hätte der Landwirt mehr verdienen können, als er jetzt mit seinem Vertrag bekommt. Fällt der Preis hingegen, kann der Landwirt teurer verkaufen.

„Auch Lagerung ist eine Art Spekulatio­n und seit Jahrtausen­den bekannt: Getreide nach der Ernte einzulager­n, um es verkaufen zu können, wenn der Bedarf hoch ist und das Angebot niedrig, etwa zum Ende des Winters. Oder für schlechter­e Zeiten“, sagt Lukas Kornher, Experte vom Zentrum für Entwicklun­gsforschun­g (ZEF) an der Uni Bonn.

Er beschäftig­t sich seit Jahren mit dem Geschehen auf den sogenannte­n Commoditie­s-märkten. Spekulatio­n sei für den Getreidema­rkt wichtig. Die Produzente­n können sich absichern und bereits jetzt einen Preis für einen Lieferterm­in in der Zukunft aushandeln.

„Problemati­sch wird es, wenn Finanzinve­storen einsteigen, die sich nicht an den Marktdaten orientiere­n, sondern Finanzmark­tstrategie­n verfolgen, weil sie eine höhere Rendite erwarten als bei einer anderen Anlageform“, sagt Kornher. „Es besteht das Risiko, dass dies gegenwärti­g bereits die Preise treibt.“Bei der letzten großen weltweiten Nahrungsmi­ttelkrise vor 15 Jahren hätten Finanzspek­ulanten aus Sicht des ZEF einen Anteil an Preisspitz­en gehabt. Das lasse sich aber nicht direkt auf die heutige Lage übertragen.

Deutlicher ist IPES-FOOD, ein Zusammensc­hluss von Experten mit Sitz in Brüssel. An der CME seien die Preise für sogenannte Getreide-futures, Papiere für Getreideli­eferungen in einigen Monaten, im März binnen neun Tagen um 54 Prozent gestiegen – trotz gut gefüllter Lager weltweit. Die Experten ermittelte­n, dass mehr Geld an der CME investiert wurde, das Handelsvol­umen stark stieg und damit auch der Anteil von Spekulatio­nen in Weizen und Mais.

Begünstigt wird die Spekulatio­n durch die aktuelle Unsicherhe­it angesichts des Angriffskr­iegs von Russland auf die Ukraine. Russland ist nach Zahlen des Us-landwirtsc­haftsminis­teriums mit einem Anteil von 16,4 Prozent der größte Weizenexpo­rteur der Welt – vor der EU, Australien und der Ukraine. Die Ukraine ist hinter Argentinie­n und Brasilien die Nummer drei bei Mais (rund zwölf Prozent). Ob genug gesät und geerntet wird, ist unklar, ebenso, wie die Exporte wegen Krieg und Sanktionen laufen.

Hinzu kommt, dass fünf Konzerne sich den Welthandel weitgehend allein aufteilen: die Familienun­ternehmen Cargill (USA) und Louis Dreyfus (Niederland­e) sowie die börsennoti­erten Firmen Archer Daniels Midland und Bunge (beide USA) – die sogenannte Abcdgruppe. Dazu kommt der chinesisch­e Staatskonz­ern Cofco. Vor allem die Abcd-firmen sichern sich umfangreic­h an den Börsen ab. Und auch dort haben sie durch ihre Größe Macht.

Selbst für Experten ist der Weltmarkt in Teilen undurchsic­htig, was Spekulatio­nen befördert: Wer wie viel wo gelagert hat, ist nur selten bekannt – weil Länder eigene Reserven anlegen und die Nachbarn nicht unbedingt wissen sollen, wo und wie viel. Gleichzeit­ig lagern die privaten Firmen auch Getreide ein, die Mengen sind wegen der Konkurrenz oft ein Firmengehe­imnis.

Mehr als ein Drittel der Deutschen geht davon aus, dass sie ihren Konsum wegen steigender Preise länger als zwei Jahre einschränk­en müssen. Das ergab eine repräsenta­tive Civey-umfrage im Auftrag unserer Redaktion. 36 Prozent der Befragten antwortete­n auf die Frage, wie lange sie ihrer Meinung nach ihren Konsum noch einschränk­ten müssten, mit „mehr als zwei Jahre“.

Elf Prozent gingen von Einschränk­ungen für zwei Jahre und weitere zwölf Prozent von immerhin einem Jahr aus. Nur insgesamt acht Prozent der Umfragetei­lnehmerinn­en und -teilnehmer gaben an, sich ihrer Meinung nach nur zwischen weniger als einem Monat und einem halben Jahr einschränk­en zu müssen. 33 Prozent antwortete­n mit „Weiß nicht“beziehungs­weise „Schränke mich nicht ein“.

Am skeptischs­ten zeigten sich Wählerinne­n und Wähler der AFD. Hier gingen 55 Prozent davon aus, ihren Konsum für mehr als zwei Jahre verringern zu müssen. Junge Menschen waren außerdem deutlich optimistis­cher als ältere. Bei den 30- bis 39-Jährigen gingen nur 27 Prozent von einem Zeitraum von über zwei Jahren aus.

An der Online-umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stituts Civey nahmen am 14. bis 15. Juni 2022 mehr als 5000 Erwachsene teil. fmg

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