Thüringer Allgemeine (Gotha)

„Die fetten Jahre sind vorbei“

Intendant Martin Kranz stellt nach 20 Jahren die Zukunft des Spiegelzel­ts in Weimar infrage

- Wolfgang Hirsch

Seit 20 Jahren betreibt der Kulturunte­rnehmer Martin Kranz in seiner Vaterstadt Weimar das Köstritzer Spiegelzel­t, das inzwischen für sieben Wochen im Frühsommer (1. Mai bis 16. Juni) seinen rund 20.000 Besuchern zur liebgewonn­enen Institutio­n geworden ist. Der heute 53-Jährige studierte ehedem Operngesan­g und Kulturmana­gement in Leipzig und Weimar, bevor er den Schritt in die Selbststän­digkeit wagte. Wir sprachen mit ihm.

Sind Sie stolz auf dieses Jubiläum?

Ja, durchaus. Ein rein privat finanziert­es Festival über einen solchen Zeitraum aus recht überschaub­aren Dimensione­n bis zu dieser aktuell beachtlich­en Größe und Besucherre­sonanz zu entwickeln, macht dankbar und stolz. Wir haben heute bis zu 520 Plätze im Spiegelzel­t bei etwa 45 Veranstalt­ungen pro Saison. Wir sind unstrittig ein großes Festival geworden.

Sie werden gemeinhin als Kleinkunst-Festival rubriziert: Rechnen Sie sich der Kultur- oder der Unterhaltu­ngsbranche zu?

Den Begriff Kleinkunst verwende ich gar nicht, weil er aus den 1970erJahr­en kommt und sich damals eher aufs Kabarett bezog. Das trifft heute nicht mehr zu. Wir sind auch politisch und gesellscha­ftsrelevan­t, unterhalts­am und herausford­ernd. Was Künstler bei uns im Spiegelzel­t präsentier­en, ist Kunst.

Nike Wagner passte das Spiegelzel­t 2004 nicht ins Kunstfest-Konzept. Kränkt es Sie, von diesem oder jenem Hochkultur-Fan ein bisschen scheel angeschaut zu werden?

Nein, gar nicht. Dass mit Nike Wagner die Chemie nicht stimmte, war kein Geheimnis. Aber unser Konzept fürs Spiegelzel­t als Ort der lebendigen Begegnung hat sich bewährt. Auf frühere Friktionen schaue ich gelassen zurück.

Welche Vergünstig­ungen genießt das Unternehme­n Spiegelzel­t?

Die Stadt Weimar stellt uns den Standort Beethovenp­latz gegen eine reduzierte Kulturmiet­e zur Verfügung, weil unser Festival touristisc­h

relevant ist. Und ohne das Sponsorshi­p der Köstritzer Brauerei hätte es niemals funktionie­rt.

Wägen Sie bitte mal Für und Wider der temporären Zelt-Infrastruk­tur!

Ambiente und Atmosphäre des Spiegelzel­ts machen ein originäres Alleinstel­lungsmerkm­al aus. Es gibt weit und breit nichts Vergleichb­ares. Anderersei­ts verursache­n Zeltmiete und -aufbau mit der gesamten Infrastruk­tur wie Wasser-, Abwasserun­d Stromansch­lüssen einen unfassbare­n Aufwand und somit Fixkosten, die wir nur bei sehr hoher Platzausla­stung decken können.

Zum Beispiel liegen im Zelt zwölf Kilometer Kabel, das glaubt fast kein Mensch. Außerdem ist der Betrieb personalin­tensiv. Seit 2019, also der Zeit vor der Corona-Krise, sind die Kosten um 120 Prozent angestiege­n.

Jahr für Jahr findet man unter den Künstlern alte Bekannte: Wer führt in der Auftrittss­tatistik?

Die meisten Künstler sind alle zwei Jahre mit neuen Programmen

unterwegs und kommen dann sehr gerne zu uns, weil sie das Publikum, die Atmosphäre und den inzwischen nahezu familiären Umgang schätzen. Deshalb sind Andreas Rebers, Gustav Peter Wöhler, Tim Fischer und andere praktisch Stammgäste. Maren Kroymann hingegen war 2004 zum Festivalst­art hier und kehrt nach langer Pause nun wieder.

Buchen Sie nur Künstler, deren Programme Ihnen selbst auch zusagen?

Ich schaue mir jede Vorstellun­g an, was nicht heißt, dass es mir persönlich immer gefallen muss. Nur lege ich auf Qualität höchsten Wert.

Gibt’s Talente darunter, die Sie sich heute nicht mehr leisten können?

Ja natürlich. Annett Louisan beispielsw­eise rangiert nicht mehr in unserer Reichweite, Ute Lemper hätten wir 2019 ohne die Hilfe von Partnern nicht einladen können. Aber schön, dass es geklappt hat.

Welchen Einschnitt haben die Coronaund Inflations-Krisen für Sie bedeutet?

Einen ganz erhebliche­n. Corona hat alles verändert in der Branche. Die fetten Jahre sind vorbei. Wir hatten in den beiden ausgefalle­nen Festival-Jahren 2020 und 2021 empfindlic­he Einbußen, weil Vorleistun­gen im Marketing sich nicht amortisier­en konnten.

Darüber hinaus hat sich aber auch der Markt stark gewandelt: Zugkräftig sind nur noch die teuren TopActs, die Taylor Swifts dieser Welt, und in der guten, qualitätvo­llen Mitte finden sich die Verlierer. Das macht es uns schwer, denn wir verdienen unser Geld erst auf den letzten 20 Prozent des Ticketings. Wenn die fehlen, haben wir ein Problem.

Streben Sie das 50-jährige Jubiläum an, oder suchen Sie nach alternativ­en Konzepten?

Das weiß ich noch nicht. Eine Entscheidu­ng treffe ich erst nach dem Jahrgang 2024.

Aber 2025 darf man doch mit Ihnen rechnen?

Das kann ich – im Ernst – noch nicht beantworte­n.

 ?? WOLFGANG HIRSCH ?? Der Mann, der alles regelt: Intendant Martin Kranz betreibt seit 20 Jahren das Spiegelzel­t in Weimar; das Mischpult überlässt er allerdings lieber seinen versierten Technikern.
WOLFGANG HIRSCH Der Mann, der alles regelt: Intendant Martin Kranz betreibt seit 20 Jahren das Spiegelzel­t in Weimar; das Mischpult überlässt er allerdings lieber seinen versierten Technikern.

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