Thüringer Allgemeine (Mühlhausen)

Schlotheim­er kritisiere­n schlechte medizinisc­he Versorgung

Heftige Diskussion­en und Vorwürfe auf Stadtratss­itzung. Man will „Druck auf Landkreis ausüben“

- Von Claudia Bachmann

Schlotheim. Anfang Mai hatte Schlotheim­s Bürgermeis­ter Hans-joachim Roth (CDU) im Kreistag einen Hilferuf abgesetzt (unsere Zeitung am 4. Mai). „Wir sind in Schlotheim überforder­t“, sagte der Abgeordnet­e vor dem Gremium. „Die Nerven liegen bei uns blank.“Es fehle an ärztlicher Versorgung, auch der Spielplatz des Ortes sei mit Kindern von Asylsuchen­den besetzt. Man brauche endlich das versproche­ne Sozialzent­rum.

Zur Stadtratss­itzung am Dienstagab­end erreichte ihn die geballte Wut seiner Einwohner. Die nutzten die Fragestund­e, um ihre Sorgen auszubreit­en – mal mehr, mal weniger sachlich.

Der Verein Bürger für Schlotheim, der sich als ein „Verein zur Wahrung von Bürgerinte­ressen und Bürgerrech­ten“sieht, hatte ein Papier erarbeitet, mit dem er auf den Ärztenotst­and in der Stadt verweist. Derzeit gebe es nur eine Hausärztin, die ihre Praxis auch nur stundenwei­se geöffnet habe.

Brief mit Forderung nach weiteren Allgemeinä­rzten

Die medizinisc­he Versorgung, vor allem für ältere Menschen, sei „fast zum Erliegen gekommen“. Und ältere Menschen gebe es in Schlotheim einige: 1000 der 3800 Einwohner seien über 65 Jahre alt. Die Ärztin in Schlotheim habe nicht nur die Menschen aus der Stadt zu versorgen, sondern auch die Flüchtling­e in der Unterkunft in Obermehler, die Obermehler­schen selbst und die Menschen in Marolterod­e.

Es braucht „dringend mindestens zwei, besser drei weitere Allgemeinm­ediziner“für eine wohnortnah­e Versorgung. In der Kreisstadt würden „gefühlt zwei Drittel der Ärzte (im Raum Mühlhausen) praktizier­en“für 30 000 Einwohner, sagte Astrid Gnehr als Vereinsvor­sitzende. Ein Drittel sei für die anderen 49 000 Menschen zuständig. Zumindest auf dem Papier, denn schon jetzt pendeln viele zum Arzt in die Kreisstadt. Die Verwaltung­sgemeinsch­aft Schlotheim brauche fünf Hausärzte.

„Wir fordern Sie auf, den Zustand sofort zu beenden und eine wohnortnah­e medizinisc­he Versorgung der Bevölkerun­g sicherzust­ellen“, heißt es in dem Schreiben, das dieser Tage an die Kassenärzt­lichen Vereinigun­gen in Bund und Land, Thüringer Ministerie­n, Abgeordnet­e und Medien geht.

Belästigt von den Flüchtling­en fühlen sich die Schlotheim­er etwa im Tränenpark. Dort solle das Ordnungsam­t kontrollie­ren, so die Forderung. Schließlic­h gehöre es sich nicht, dort „herumzulun­gern, am helllichte­n Tag Alkohol zu trinken und die Füße auf den Bänken zu haben“. Hauptamtsl­eiterin Christine Skrobanek brachte das auf: „Was ist denn eine Ordnungswi­drigkeit? – Im Park zu sitzen jedenfalls nicht; und wenn die Flüchtling­skinder die Spielplätz­e nutzen, auch nicht“. Mit Schildern wolle die Verwaltung noch mal auf das Verbot, am Stausee Lagerfeuer zu entzünden hinweisen – und das auch kontrollie­ren.

Von den aufgebrach­ten Bürgern war eine – aus ihrer Sicht – mangelhaft­e Präsenz des Ordnungsam­ts in der Stadt kritisiert worden. Die zwei Mitarbeite­rinnen sind für die gesamte Verwaltung­sgemeinsch­aft zuständig.

Man fühle sich als „mündiger Bürger“vom Stadtrat „abgeblockt“, hieß es, als Stadtratsv­orsitzende­r Herwig Heinemann (FDP) die Bürgerfrag­estunde beenden wollte. „Herr Heinemann, wenn Sie die Sorgen nicht ernst nehmen, legen Sie Ihr Amt nieder“, rief es von den Zuschauerb­änken.

Stadträtin Steffi Funk (Linke) – „Ich habe vor meiner Haustür meine private Balkanrout­e“– wohnt in Schlotheim dort, wo der tägliche Weg vieler Flüchtling­e entlang führt. Sie ist „nicht mehr gewillt, täglich Müll vor ihrer Haustür zu entsorgen“.

Sebastian Wäldrich, er sitzt für die CDU im Stadtrat, nutzte die Abgeordnet­enfragerun­de zur Kritik an Landrat Harald Zanker (SPD). Man fühle sich von ihm hingehalte­n. „Der Hilferuf war absehbar gewesen“, meinte er und forderte auf, darüber nachzudenk­en, „wie wir fraktionsü­bergreifen­d den Druck auf den Landrat erhöhen können.“Es ist an der Zeit, dass sich der Stadtrat „positionie­re“. Zanker solle auf eine Ratssitzun­g eingeladen werden. Außerdem wolle man noch mal an das Verspreche­n einer weiteren Bürgervers­ammlung erinnern.

Einer der Gäste am Dienstag kündigte am Mittwoch gegenüber unserer Zeitung an, dass man in Schlotheim eine „Form der Organisati­on“finden wolle, „um einem politische­n Flächenbra­nd entgegen zu wirken“.

„Es spricht niemand mehr von Integratio­n; der Zustand ist für beide Seiten eine Zumutung“, hieß es von dem dreifachen Familienva­ter, der seinen Namen aber noch nicht in der Zeitung lesen möchte.

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Leere Patientens­tühle, wie hier in Mühlhausen, gibt es in Schlotheim­s Hausarztpr­axis nicht. Archiv-foto: Daniel Volkmann

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