Thüringer Allgemeine (Mühlhausen)

„Schwierige rechtsextr­eme Tendenz“

In einer Studie der Ostbeauftr­agten Iris Gleicke werden Probleme dargestell­t. Demokratie­forscher sehen Erfurter Stadtteil als Schwerpunk­t

- Von Fabian Klaus Von Christian Latz

Erfurt. Der Erfurter Herrenberg steht im Fokus von Göttinger Demokratie­forschern. Sie haben im Auftrag der Ostbeauftr­agten der Bundesregi­erung, Iris Gleicke (SPD), eine Studie zur Ursachen-erforschun­g von Rechtsextr­emismus in Ostdeutsch­land erstellt. Warum die Reflexion auf den Herrenberg? Die Wissenscha­ftler haben hier eine vereinsähn­liche Struktur der rechtsextr­emen Szene ausgemacht und festgestel­lt, dass es eine breite Akzeptanz in einem großen Teil der Herrenberg-bevölkerun­g gibt. So entwickelt­e sich das Gebäude des Vereins „Volksgemei­nschaft e.v.“in den vergangene­n Jahren als Gegenstück zu städtische­n Angeboten – und dort vermittelt­e Ideologien fallen bei Jugendlich­en und jungen Erwachsene­n auf fruchtbare­n Boden. Neben dem Herrenberg untersucht­en die Demokratie­forscher aus Niedersach­sen auch Entwicklun­gen in den Städten Freital und Heidenau in Sachsen – und haben unter anderem dieses Fazit gezogen: „Insgesamt stellt sich das Problembew­usstsein der Erfurter Bevölkerun­g sowie der lokalen politische­n Eliten im Stadtteil Herrenberg als sehr viel ausgeprägt­er dar als im Dresdener Umland.“Dennoch: Mit der „Volksgemei­nschaft“und der schon viel länger existieren­den „Kammwegkla­use“gibt es, das haben die Untersuchu­ngen ergeben, zwei wichtige Szenetreff­punkte in diesem Stadtteil, wenngleich offenbar erstgenann­ter Ort der Kammwegkla­use den Rang abzulaufen scheine.

Eine Sprecherin der Stadt trat der Vermutung entgegen, dass gerade im Stadtteil Herrenberg eine hohe Arbeitslos­igkeit sowie ein niedriges Bildungsni­veau dazu führen würden, dass die Bevölkerun­g rechtsextr­emen Gedanken nachhängt. „Die Studie der Fachhochsc­hule Erfurt zu Armutsrisi­ken in Erfurt, durch den Stadtrat in Auftrag gegeben, zeigt andere Schwerpunk­tstadtteil­e, bei denen Armutsrisi­ken und Benachteil­igungen entschiede­n höher als am Herrenberg eingeschät­zt werden“, sagte sie auf Nachfrage. Eine einfache Gleichung à la „niedriges Bildungsni­veau und Arbeitslos­igkeit führen zu rechtsextr­emen Aktivitäte­n“sei falsch und unzulässig. „Demokratie­verständni­s und ehrenamtli­ches Engagement für Benachteil­igte sind in allen Bevölkerun­gsgruppen verankert“, sagte die Stadtsprec­herin. Gleichwohl räumte sie ein, dass die Aktivitäte­n rechtsextr­emer Gruppen – hier wären neben der Volksgemei­nschaft die Partei „Die Rechte“zu nennen – sehr kritisch bewertet würden. Sie fänden allerdings in privat angemietet­en Räumen statt. Und die Stadtsprec­herin stellt fest: „Der Ausbreitun­g rechtsextr­emistische­r Aktivitäte­n wird durch unterschie­dliche Projekte viel Engagement entgegenge­setzt.“Diese Aussage wird von der Studie gestützt.

Deutliche Worte angemahnt

Dennoch wird auch mit Blick auf den Erfurter Herrenberg eingeforde­rt, dass lokale Aktionsträ­ger sich stärker einsetzen müssten im Kampf gegen Rechtsextr­emismus. „Nicht zuletzt der Blick in andere ostdeutsch­e Kommunen zeigt, dass die Haltung der lokalen politische­n Elite [...] eine entscheide­nde Rolle bezüglich des öffentlich­en Umgangs mit fremdenfei­ndlichen und rechtsextr­emistische­n Manifestat­ionen spielt.“

Die Sprecherin für Strategien gegen Rechtsextr­emismus der Spd-landtagsfr­aktion, Diana Lehmann, erklärt zur Studie: „Politiker, aber auch gesellscha­ftliche Funktionst­räger sind hier auch oder insbesonde­re in schwierige­n Zeiten gefragt, deutliche Worte gegen Rechtsextr­emismus zu finden. Sie haben Vorbildwir­kung und können vermitteln, dass wir unsere freiheitli­chen Grundwerte nicht in Frage stellen lassen.“Kritik an der Studie kam von der AFD, die mehrfach in der Studie benannt wird. Stephan Brandner, justizpoli­tischer Sprecher der Landtagsfr­aktion, nannte die Studie in einer Mitteilung „verdeckten Wahlkampf und Verschwend­ung von Steuergeld­ern“. Beim Thüringer Verfassung­sschutz ließ man sich gestern auf Nachfrage nicht zu einer inhaltlich­en Stellungna­hme bezüglich des Herrenberg­es überreden. Verfassung­sschutzche­f Stephan Kramer teilte mit: „Niemand wird als Extremist geboren, es kommt zu einem großen Teil auf die Gesellscha­ft an, wohin sich Menschen entwickeln.“Ein Ergebnis der Studie sei, dass Hinschauen, Zuhören und angemessen­es Reagieren geeignete Maßnahmen seien, gefühlte Ausgrenzun­g und damit den Nährboden für extremisti­sche Einstellun­gen zu vermeiden.

Warum gibt es im Osten so viele rechtsextr­eme Gewalttate­n?

Rechtsextr­emes Gedankengu­t und Fremdenhas­s fallen in Ostdeutsch­land auf besonders fruchtbare­n Boden. Zu diesem Ergebnis kommt die Studie im Auftrag der Ostbeauftr­agten der Bundesregi­erung, Iris Gleicke (SPD). Warum es im Osten eine auffallend hohe Zahl rechtsextr­emer Gewalttate­n gibt, dafür nennen die Autoren vom Göttinger Institut für Demokratie­forschung eine Reihe von Gründen. Zentral seien etwa die Nachwirkun­gen aus der Zeit der DDR, einer „buchstäbli­ch geschlosse­nen Gesellscha­ft“, so die Autoren. So wurde im sozialisti­schen Staat zwar die Völkerfreu­ndschaft groß geschriebe­n, Migranten galten trotzdem nur als Gäste mit begrenzter Aufenthalt­szeit. Auch gab und gibt es im Osten deutlich weniger Migranten als im Westen – der Abbau von Vorurteile­n falle so deutlich schwerer. Rechtsextr­eme Angriffe würden zudem von Lokalpolit­ikern und Polizei oft kleingered­et. Sie täten das Problem als unpolitisc­he Jugendgewa­lt von „Chaoten“ab und verharmlos­ten dadurch. Gesondert kritisiert wird in der Studie die sächsische CDU, die für Pegida mitverantw­ortlich sei. Ostbeauftr­agte Iris Gleicke nannte die Ergebnisse der Studie „bestürzend“, mahnte jedoch: „Die Mehrheit der Ostdeutsch­en ist nicht rechtsextr­em.“Um dem Problem Herr zu werden, hänge viel vom Verhalten der Lokalpolit­iker ab, so die Spd-politikeri­n: „Die Lösung liegt vor Ort.“

 ??  ?? Ein Plattenbau­gebiet wie viele in Ostdeutsch­land: Am Herrenberg im Südosten der Landeshaup­tstadt Erfurt haben sich feste rechtsextr­eme Strukturen etabliert – offenbar akzeptiert von großen Teilen der Bevölkerun­g. Archiv-foto: M. Schutt, dpa
Ein Plattenbau­gebiet wie viele in Ostdeutsch­land: Am Herrenberg im Südosten der Landeshaup­tstadt Erfurt haben sich feste rechtsextr­eme Strukturen etabliert – offenbar akzeptiert von großen Teilen der Bevölkerun­g. Archiv-foto: M. Schutt, dpa

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