Thüringer Allgemeine (Mühlhausen)
Fehlfarben an Flowerpower
Mit ihrer Inszenierung von Verdis „Otello“am DNT Weimar sorgt Nina Gühlstorff reichlich für Diskussionsstoff
Weimar. Dieser Otello ist kein Moor von Venedig, nicht im Entferntesten ein „Wilder mit wulstigen Lippen“, wie Jago ihn hinterrücks schimpft. Sondern ein distinguiert auftretender Großbürger, der sich bloß mal zu martialischen Zwecken mit grüner Tarnfarbe beschmiert. So inszeniert Nina Gühlstorff am DNT Weimar Verdis Oper ohne Rassendiskriminierung (und ohne Rassisten?) – also unter Verzicht auf das maßgebliche Merkmal, das den Statthalter auf Zypern als Außenseiter in einer bigotten Gesellschaft stigmatisiert. Hat sie damit das Thema verfehlt?
Zum einen reiht Gühlstorff sich ein in die leidige Debatte politisch korrekter Theatermacher, die schon das „Blackpainting“als Form der Diskriminierung erkennen; dabei wird missachtet, dass Theater grundsätzlich nur „spielt“– das heißt: Alsob-situationen erzeugt – und sich dazu erdenklicher Scheinbarkeiten mittels Maske, Kostümen, Kulissen bedient. Zum anderen versucht die Regisseurin, dem Shakespeareschen Stoff eine andere, neuartige Lesart aufzupfropfen: Feministisch engagiert will sie, wie sie im Interview mit unserer Zeitung erklärte, Otello als einen Kriegstraumatisierten vorstellen – und Desdemona als seine Therapeutin.
Also nimmt das Unheil seinen Lauf. An der Hafenmole begrüßt auf einer aus aufgestapelten Paletten improvisierten Tribüne das Volk die siegreiche Flotte mit venezianischen Winkelementen und Blumengirlanden, und während die zurückgelassen gewesenen Bräute ihre Helden umarmen, entsorgen eilfertige Putzfrauen deren Kriegsgerät in Müllsäcken. Dass Jago mit seinem Trinklied den Cassio (Jaesig Lee) zum rasanten Degenduell gegen Roderigo (Artjom Korotkov) aufstachelt, verhindert zwar keine helfende (weibliche) Hand, doch wenigstens wischt Desdemona ihrem Otello fürsorglich die Farbe aus dem Gesicht.
Sein eleganter Straßenanzug soll den Hünen von den Trägern hellblauer Fantasieuniformen (Bühne, Kostüme: Marouscha Levy) unterscheiden, doch weit auffälliger hebt sich Desdemonas Entourage vom übrigen Volk ab: Ein grellbunter Neptun samt Kinderchor veranstaltet ein florales Hawaii-happening, um für eine „Desdemona Foundation“zu sammeln. Nur wer weiß, wie‘s gemeint ist, erkennt darin, dass die ihrem Gatten gegenüber recht devote Heldin mit feministischer Flowerpower gegen die Kriegstreiberei zu Felde zieht. Aus der Inszenierung und dem Ablauf der (bekannten) Handlung erklärt sich diese Sichtweise ebenso wenig wie Jagos Motivation, durch die legendäre Taschentuch-intrige Otellos Eifersucht und Jähzorn gegen die Gemahlin zu provozieren. Doch so bieder der Fehlfarben-otello auch äußerlich scheint, rumort‘s doch derart in seinem Innern, dass er im finalen Akt Kampfmontur und -bemalung anlegt, um Krieg im eigenen Schlafzimmer zu führen.
Er trifft Desdemona in einer gegenüber den drei Akten zuvor kaum veränderten Kulisse an, hinter einem Blumenvorhang rückseitig der Hafentribüne. Sinnigerweise erwürgt er sie mit einer Blumengirlande, doch entbehrt dieser Mord jeglicher Intimität. Denn Desdemona hat ein paar Chordamen im Schlepptau (womöglich aus einem zyprischen Frauenhaus) und Otello eine Kompanie in bunten Harlekin-uniformen. (Vielleicht hat die Blumenoffensive den Common sense in der Militaristengesellschaft ja schon gewandelt). So wird Otellos private Tragödie zeitgeistgemäß zu einer öffentlichen gemacht. Logisch, plausibel und dramaturgisch korrekt ist all das gewiss nicht. Desdemonas wahre Größe bleibt von vielen im Publikum sträflich verkannt, was eine Ursache auch in Gühlstorffs unpräziser Personenführung haben mag. Doch zumindest musikalisch kommen sogar idealismusresistente Verdi-traditionalisten auf ihre Kosten. Larissa Krokhina fasziniert nicht nur mit ihrer empathischen Preghiera, und Alexey Kosarev, der keine überschwengliche Selbstliebe im Stil eines Tenore eroico zelebriert, singt seine Partie mit Disziplin, seidigem Glanz und höhensicherer Eleganz.
In seinem Rollendebüt als Jago beweist Alik Abdukayumov großes Talent. Man merkt ihm seine anfängliche Nervosität durchaus an, erst mit dem Credo gewinnt er an Selbstsicherheit. So ist sein Auftritt vorerst mehr Verheißung als schon Erfüllung; in vier, fünf Jahren wird er sicherlich die Spielarten der Boshaftigkeit psychologisch noch virtuoser zu variieren vermögen. In Oleg Caetani am Dirigentenpult und einer gut aufgelegten Staatskapelle findet er an diesem Abend moderate und (etwas zu) routinierte Begleiter. Für Caetani ist diese Produktion eine Art Heimkehr. Zu Ddr-zeiten agierte der Rumäne offiziell nur als „ständiger Gastdirigent“in Weimar, weil man ihm als Ausländer den Gmd-titel verwehrte. Aber das wäre eine andere Geschichte. Träumen wir uns doch einen Opernabend lang die Welt, wie sie uns gefällt! – Für die trübe Erkenntnis, wie beharrlich dieser perfide Plot sich selbst gegen sanftmütige Verbiegungen sperrt, ist auch später noch Zeit. Großer Beifall, keine Blumen.
Otellos private Tragödie wird zu einer öffentlichen
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