Thüringer Allgemeine (Mühlhausen)
Plädoyers im Nsu-prozess vertagt
Prozessbeteiligte streiten um die Aufzeichnung des Vortrags der Bundesanwaltschaft. Zweiter Anlauf am Dienstag
München. Richter Manfred Götzl hat sich in den vergangenen vier Jahren als souveräner Verhandlungsführer bewährt. Den Vorsitzenden des Staatsschutzsenats am Oberlandesgericht in München überraschte augenscheinlich nur wenig im Nsu-prozess. Immer wenn es juristisch knifflig wurde, nahmen sich die fünf Richter die Zeit, genau zu prüfen und abzuwägen. So auch gestern.
Der Auftakt zum Plädoyer der Bundesanwaltschaft war für den 374. Verhandlungstag angekündigt worden, die Zuschauertribüne voll besetzt. Doch die Verteidiger von Ralf Wohlleben und der Hauptangeklagten Beate Zschäpe hatten am Dienstag Tonaufnahmen dieser Ausführungen gefordert. Immerhin kündigte Bundesanwalt Herbert Diemer dafür die Dauer von 22 Stunden an. Das Gericht lehnte gestern zu Beginn der Verhandlung dieses Ansinnen ab. Ein solches Vorgehen verstoße gegen die Persönlichkeitsrechte der Staatsanwälte, begründete Manfred Götzl unter anderem diese Entscheidung. Zudem verweis er darauf, dass die Verteidiger erfahrene Anwälte seien und es zu ihrem Berufsbild gehöre, mündliche Vorträge zu erfassen und strukturieren zu können.
Diese Argumente trafen auf heftigen Widerspruch fast aller Verteidiger. Nur die Anwälte des Angeklagten Carsten S. schwiegen in der Debatte, die das Gericht fünfeinhalb Stunden beschäftigte. Am Nachmittag war klar, die Ankläger können frühestens nächsten Dienstag plädieren. Denn die Anwälte des früheren Thüringer Npdfunktionärs Wohlleben reagierten auf die Ablehnung mit einer sogenannten Gegenvorstellung.
Tonaufnahmen könnten in diesem Fall gar keine Persönlichkeitsrechte verletzen, da die Staatsanwälte zur Objektivität verpflichtet seien. Es gehe ja nicht um heimlich mitgeschnittene Aufnahmen, welche die Persönlichkeit des Betroffenen widerspiegeln würden, argumentierte Verteidiger Olaf Klemke. Er forderte, die Manuskripte der Ankläger zu bekommen, wenn kein Mitschnitt möglich sei. Als Alternative schlug der Anwalt vor, Stenotypisten einzusetzen, um das Plädoyer mitschreiben zu lassen. Bundesanwalt Herbert Diemer wehrte sich vehement dagegen, keine Persönlichkeitsrechte zu besitzen. Entschieden lehnte er die Herausgabe der Manuskripte ab. Dutzende Demonstranten forderten derweil vor dem Gerichtsgebäude, keinen Schlussstrich unter die Nsu-aufklärung zu ziehen. Stefan Hachmeister, Anwalt des Angeklagten Holger G., betonte, sein Mandant sei nicht in der Lage, die 22 Stunden Vortrag mitzuschreiben und anschließend aufzuarbeiten.
Die Wohlleben-verteidiger verweisen ebenso wie die von Beate Zschäpe darauf, dass ihre Mandanten nach einer Untersuchungshaft von fünf Jahren und acht Monaten nicht mehr in der Lage seien, über Tage konzentriert den Ausführungen der Ankläger zu folgen. Bundesanwalt Herbert Diemer beharrte dagegen darauf, dass die Strafprozessordnung ein Aufzeichnen nicht vorsehe.
Die Verteidiger konterten, dass diese aber auch nicht ausdrücklich ausgeschlossen sei. An dieser Stelle unterbrach Manfred Götzl gestern die Verhandlung. Das Gericht müsse über die Gegenvorstellung beraten, begründete er die weitere Verzögerung bei den Plädoyers.
Am Dienstag hatten die Richter die Beweisaufnahme geschlossen und für gestern das Plädoyer der Bundesanwaltschaft angekündigt. Das Gericht ist offenkundig bestrebt, dass die Bundesanwaltschaft vor der Sommerpause ab 2. August ihr Plädoyer abgeschlossen hat.
Gericht sieht Gefahr für Persönlichkeitsrechte
Angeklagte überfordert Plädoyer von 22 Stunden