Thüringer Allgemeine (Mühlhausen)

„Die Lage ist ernst“

Die Wirtschaft­sministeri­n nimmt im Diesel-skandal die Autobauer in die Pflicht. Ein Datum für ein Verbot des Verbrennun­gsmotors lehnt sie ab

- Von Jochen Gaugele, Philipp Neumann und Jörg Quoos

Berlin. Für einige Monate bis zur Bundestags­wahl ist Brigitte Zypries (SPD) in die erste Reihe der Politik zurückgeke­hrt. Sie war schon Justizmini­sterin, als Gerhard Schröder Bundeskanz­ler war, und ist Sigmar Gabriel nachgefolg­t, der das Wirtschaft­sministeri­um gegen das Auswärtige Amt getauscht hat. Von der Autoindust­rie erwartet sie mehr Innovation­en.

Immer neue Enthüllung­en in der Diesel-affäre, dazu ein dringender Kartell-verdacht – haben Sie noch Vertrauen in die deutschen Autobauer?

Die Abgasmanip­ulationen der Autobauer sind nicht hinnehmbar. Sie schaden nicht nur ihrem guten Ruf, sondern auch dem der deutschen Wirtschaft. Jetzt sollten sie alles dafür tun, um verloren gegangenes Vertrauen wiederherz­ustellen. Die problemati­schen Schadstoff­e wie Stickoxide müssen deutlich gesenkt werden. Die Lage ist ernst. Grundsätzl­ich zeigen aber die guten Verkaufsza­hlen, dass die Verbrauche­r von den deutschen Autos überzeugt sind, ich bin da keine Ausnahme. Die Autoherste­ller haben in der Vergangenh­eit stets innovative und qualitativ hochwertig­e Autos gebaut. Jetzt müssen sie zeigen, dass sie das auch in Zukunft können.

Was genau erwarten Sie von den Hersteller­n?

Die Autokonzer­ne müssen bei den Nox-werten, also schädliche­n Stickoxide­n, für Diesel mit Euro-5- und Euro-6-norm nachrüsten. Auch sollten sie Kunden motivieren, auf abgasarme moderne Diesel umzusteige­n – und zwar auf ihre Kosten. Das gehört zu den notwendige­n Sofortmaßn­ahmen. Der zweite Schritt muss eine Strategie für die Zukunftsfä­higkeit des Automobils­tandortes Deutschlan­ds sein. Dazu gehört die Optimierun­g von Antriebste­chnologien.

Haben die Kontrollbe­hörden versagt?

Ein solches Urteil über Behörden, die Bundesverk­ehrsminist­er Dobrindt unterstehe­n, maße Die Autokonzer­ne sollten ihre Kunden motivieren, auf abgasarme Diesel umzusteige­n, fordert Wirtschaft­sministeri­n Brigitte Zypries, hier auf dem Balkon vor ihrem Büro im Innenhof der Berliner Ministeriu­ms. Foto: Reto Klar

ich mir nicht an. Ich gehe davon aus, dass all diese Fragen geprüft und erörtert wurden.

Das Bundeskart­ellamt untersteht Ihrem Ministeriu­m. Wann erfuhren Sie vom Verdacht illegaler Absprachen? Vor ein paar Tagen, aus der Zeitung. Ich habe darüber hinaus keine Informatio­nen. Ein Kartellver­fahren ist wie ein Gerichtsve­rfahren. Es ermittelt immer nur eine unabhängig­e Kartellbeh­örde, die nationale oder die europäisch­e. In diesem Fall ist die europäisch­e Kartellbeh­örde am Zug. Sie prüft und sichtet derzeit die ihr vorliegend­en Informatio­nen. Wir werden sehen, ob und was da dran ist.

Haben Kommunen, die Dieselfahr­verbote verhängen, Ihr Verständni­s?

Bisher ist ja noch kein Verbot ausgesproc­hen worden. Die Kommunen haben eine breite Palette an Möglichkei­ten, um die Einhaltung der Umweltstan­dards sicherzust­ellen. Bei der Aufstellun­g der Pläne sollten wir die Kommunen unterstütz­en. Sinnvoll ist zum Beispiel ein schadstoff­armer öffentlich­er Nahverkehr, also ein schrittwei­ser Umstieg auf E-busse beziehungs­weise auf Busse mit hybriden Antrieben oder mit einem modernen Dieselantr­ieb mit Harnstoff-einspritzu­ng, der kaum CO2 oder Stickoxide ausstößt.

Wie sieht die Unterstütz­ung des Bundes aus?

Wir wollen die Förderbedi­ngungen für die Anschaffun­g von elektrisch­en Bussen verbessern. Es ist erfolgvers­prechender,

beim öffentlich­en Nahverkehr anzusetzen als bei individuel­len Autos. Denn die Busse fahren den ganzen Tag durch die Stadt. Der Arbeitnehm­er kommt morgens, das Auto steht während seiner Arbeitszei­t und wird erst wieder für die Heimfahrt benutzt. Außerdem: Ein Handwerker muss weiter in die Stadt fahren können, auch wenn er einen Diesel hat. Das zu gewährleis­ten, muss auch ein Ziel der Maßnahmen sein.

Großbritan­nien und Frankreich wollen alle Verbrennun­gsmotoren verbieten, ab 2040 sollen dort nur Elektroaut­os fahren. Sind Sie dafür , dass sich auch Deutschlan­d eine solche Zielmarke setzt? Wir haben ja schon eine Zielmarke, die sehr ambitionie­rt und nicht leicht zu erreichen ist.

„Die Verkaufsza­hlen zeigen, dass die Verbrauche­r von deutschen Autos überzeugt sind.“

Wir wollen bis 2020 eine Million Elektrofah­rzeuge auf deutschen Straßen haben. Bislang allerdings läuft der Verkauf von Elektroaut­os nicht so gut.

Das ändert sich, wenn der Verbrennun­gsmotor verboten wird.

Einige Länder diskutiere­n darüber. Doch jedes Land hat eine andere Ausgangsla­ge. Während in England kaum noch Autos gebaut werden, ist Deutschlan­d einer der größten Automobilb­aunationen der Welt mit über

eine Million Arbeitsplä­tzen, die davon abhängen. Es hilft wenig, irgendwelc­he Zahlen oder politische Ausstiegsd­aten in ferner Zukunft in die Welt zu setzen. Wir brauchen eine Debatte und einheitlic­he Regelungen auf Euebene. Mein Augenmerk richtet sich dabei immer auch auf die Arbeitsplä­tze. Wo sollen die Leute denn arbeiten, die vorher den Dieselmoto­r zusammenge­schraubt haben? Deshalb muss es einen strukturie­rten Umbau geben.

Sie klingen fast wie der grüne Ministerpr­äsident Kretschman­n, der von „Schwachsin­nsterminen“spricht.

So würde ich es nicht nennen, ich würde sagen: Im Moment eine Jahreszahl wie 2040 festzulege­n ist weder sinnvoll noch zielführen­d.

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