Thüringer Allgemeine (Mühlhausen)

Fatale Fehleinsch­ätzung

Attentäter war Islamist und vor allem psychisch labil. Ein Freund hatte die Behörden gewarnt

- Von Oliver Schirg

Hamburg. Er hatte ein Toastbrot gekauft und den Edekasuper­markt schon wieder verlassen. Dann aber kehrte der Mann unvermitte­lt zurück und ging mit einem großen Küchenmess­er auf andere Kunden los. So nahm am Freitag das Drama seinen Lauf, das Hamburg erschütter­te: Ein 26-jähriger, in den Vereinigte­n Arabischen Emiraten geborener Palästinen­ser soll bei einem Angriff im Stadtteil Barmbek einen Mann getötet und sechs Menschen teils schwer verletzt haben. Der Flüchtling, er soll Ahmad A. heißen, war ausreisepf­lichtig, islamistis­ch motiviert und psychisch labil, wie die Sicherheit­sbehörden mitteilten. Dem Landeskrim­inalamt zufolge tötete der abgelehnte Asylbewerb­er in dem Supermarkt einen 50-jährigen Mann. Anschließe­nd verletzte er zwei Frauen und vier Männer. Alle Verletzten sind außer Lebensgefa­hr.

Unterdesse­n forderten Politiker am Wochenende Konsequenz­en. „Der verfahrens­technische Teufelskre­is bei Abschiebun­gen muss beendet werden“, so Csu-generalsek­retär Andreas Scheuer in der „Bild am Sonntag“. Im Hamburger Fall muss nach Ansicht von Spd-innenexper­te Burkhard Lischka geprüft werden, ob die Behörden Instrument­arien wie Meldeaufla­gen, Aufenthalt­sbeschränk­ungen oder Abschiebeh­aft genutzt haben, „um die Handlungss­pielräume des Attentäter­s einzuschrä­nken“.

Rückblick: Wie die stellvertr­etende Hamburger Lka-chefin Kathrin Hennings schilderte, kam der Mann kurz vor 15 Uhr in den Edeka-markt, um ein Toastbrot zu kaufen. Danach verließ er das Geschäft und stieg um 15.08 Uhr in einen Bus ein. Allerdings habe er diesen noch vor Abfahrt wieder verlassen. Anschließe­nd sei er in den Supermarkt zurückgeke­hrt und habe aus einem Verkaufsre­gal ein großes Küchenmess­er herausgeno­mmen, aus der Verpackung gelöst und damit den 50jährigen Mann hinterrück­s attackiert, danach einen weiteren Kunden schwer verletzt. Dann sei der Flüchtling in den Supermarkt zurückgega­ngen und habe dort auf einen 19-Jährigen eingestoch­en. Danach verließ der Täter den Laden und lief zwei Passanten über den Weg. Er ging auf beide los, einen verletzte er mit dem Messer. Im Anschluss daran sei der Mann die Fuhlbüttel­er Straße hinunterge­laufen und habe einen 64-Jährigen schwer verletzt. Inzwischen hatten couragiert­e Bürger die Verfolgung aufgenomme­n und versucht, den Tatverdäch­tigen zu stellen. Dennoch gelang es ihm, noch eine Frau zu verletzen, bevor mehrere Zielfahnde­r eintrafen.

Eine Überprüfun­g ergab, dass der Flüchtling im März 2015 von Norwegen nach Deutschlan­d kam und sich in Dortmund meldete. Von dort sei er nach Hamburg verteilt worden, wo er im Mai 2015 einen Asylantrag gestellt habe, wie Innenstaat­srat Bernd Krösser sagte. Der Flüchtling habe sich in Deutschlan­d bessere Perspektiv­en erhofft. Die Norweger hatten ihm klargemach­t, dass er dort keine Chance auf Asyl habe. Seine Identität war geklärt. Der Mann hatte seine Geburtsurk­unde vorgelegt. Nach den Worten von Krösser war das Asylverfah­ren geradezu „idealtypis­ch“: Der Bewerber habe sich daran aktiv beteiligt und sei kooperativ gewesen. Der Tatverdäch­tige war auch den Sicherheit­sbehörden bekannt. Es gab Hinweise auf eine Radikalisi­erung. Man habe jedoch nicht geglaubt, dass von ihm eine Gefährdung ausgehe. Er sei „als Islamist, aber nicht als Dschihadis­t“in die Datenbanke­n aufgenomme­n worden.

Der Chef des Verfassung­sschutzes, Torsten Voß, ergänzte, dass der Beschuldig­te einer von 800 in Hamburg gespeicher­ten Islamisten sei. Polizeiprä­sident Meyer erklärte, zu einer Einstufung des Mannes als islamistis­cher Gefährder habe es nicht gereicht, zumal er wiederholt seine Ausreisewi­lligkeit betonte.

Laut Voß hatte sich im September 2016 ein Freund des Palästinen­sers bei der Polizei gemeldet und erklärt, er habe bei dem 26-Jährigen eine Radikalisi­erung bemerkt. Bei einem Gespräch habe er den Eindruck vermittelt, eine „destabilis­ierte und verunsiche­rte Persönlich­keit“zu sein, so Voß. Allerdings habe man eine unmittelba­re Gefährdung ausgeschlo­ssen. Unklar blieb, warum der Mann nicht in psychiatri­scher Behandlung war. Gegen ihn ist Haftbefehl erlassen worden.

Von Norwegen kam der Mann nach Deutschlan­d

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Foto: Screenshot Youtube Passanten konnten den Attentäter (rechts) im Hamburger Stadtteil Barmbek stellen und überwältig­en.
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Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen in Gao. Foto: dpa

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