Thüringer Allgemeine (Mühlhausen)
Fatale Fehleinschätzung
Attentäter war Islamist und vor allem psychisch labil. Ein Freund hatte die Behörden gewarnt
Hamburg. Er hatte ein Toastbrot gekauft und den Edekasupermarkt schon wieder verlassen. Dann aber kehrte der Mann unvermittelt zurück und ging mit einem großen Küchenmesser auf andere Kunden los. So nahm am Freitag das Drama seinen Lauf, das Hamburg erschütterte: Ein 26-jähriger, in den Vereinigten Arabischen Emiraten geborener Palästinenser soll bei einem Angriff im Stadtteil Barmbek einen Mann getötet und sechs Menschen teils schwer verletzt haben. Der Flüchtling, er soll Ahmad A. heißen, war ausreisepflichtig, islamistisch motiviert und psychisch labil, wie die Sicherheitsbehörden mitteilten. Dem Landeskriminalamt zufolge tötete der abgelehnte Asylbewerber in dem Supermarkt einen 50-jährigen Mann. Anschließend verletzte er zwei Frauen und vier Männer. Alle Verletzten sind außer Lebensgefahr.
Unterdessen forderten Politiker am Wochenende Konsequenzen. „Der verfahrenstechnische Teufelskreis bei Abschiebungen muss beendet werden“, so Csu-generalsekretär Andreas Scheuer in der „Bild am Sonntag“. Im Hamburger Fall muss nach Ansicht von Spd-innenexperte Burkhard Lischka geprüft werden, ob die Behörden Instrumentarien wie Meldeauflagen, Aufenthaltsbeschränkungen oder Abschiebehaft genutzt haben, „um die Handlungsspielräume des Attentäters einzuschränken“.
Rückblick: Wie die stellvertretende Hamburger Lka-chefin Kathrin Hennings schilderte, kam der Mann kurz vor 15 Uhr in den Edeka-markt, um ein Toastbrot zu kaufen. Danach verließ er das Geschäft und stieg um 15.08 Uhr in einen Bus ein. Allerdings habe er diesen noch vor Abfahrt wieder verlassen. Anschließend sei er in den Supermarkt zurückgekehrt und habe aus einem Verkaufsregal ein großes Küchenmesser herausgenommen, aus der Verpackung gelöst und damit den 50jährigen Mann hinterrücks attackiert, danach einen weiteren Kunden schwer verletzt. Dann sei der Flüchtling in den Supermarkt zurückgegangen und habe dort auf einen 19-Jährigen eingestochen. Danach verließ der Täter den Laden und lief zwei Passanten über den Weg. Er ging auf beide los, einen verletzte er mit dem Messer. Im Anschluss daran sei der Mann die Fuhlbütteler Straße hinuntergelaufen und habe einen 64-Jährigen schwer verletzt. Inzwischen hatten couragierte Bürger die Verfolgung aufgenommen und versucht, den Tatverdächtigen zu stellen. Dennoch gelang es ihm, noch eine Frau zu verletzen, bevor mehrere Zielfahnder eintrafen.
Eine Überprüfung ergab, dass der Flüchtling im März 2015 von Norwegen nach Deutschland kam und sich in Dortmund meldete. Von dort sei er nach Hamburg verteilt worden, wo er im Mai 2015 einen Asylantrag gestellt habe, wie Innenstaatsrat Bernd Krösser sagte. Der Flüchtling habe sich in Deutschland bessere Perspektiven erhofft. Die Norweger hatten ihm klargemacht, dass er dort keine Chance auf Asyl habe. Seine Identität war geklärt. Der Mann hatte seine Geburtsurkunde vorgelegt. Nach den Worten von Krösser war das Asylverfahren geradezu „idealtypisch“: Der Bewerber habe sich daran aktiv beteiligt und sei kooperativ gewesen. Der Tatverdächtige war auch den Sicherheitsbehörden bekannt. Es gab Hinweise auf eine Radikalisierung. Man habe jedoch nicht geglaubt, dass von ihm eine Gefährdung ausgehe. Er sei „als Islamist, aber nicht als Dschihadist“in die Datenbanken aufgenommen worden.
Der Chef des Verfassungsschutzes, Torsten Voß, ergänzte, dass der Beschuldigte einer von 800 in Hamburg gespeicherten Islamisten sei. Polizeipräsident Meyer erklärte, zu einer Einstufung des Mannes als islamistischer Gefährder habe es nicht gereicht, zumal er wiederholt seine Ausreisewilligkeit betonte.
Laut Voß hatte sich im September 2016 ein Freund des Palästinensers bei der Polizei gemeldet und erklärt, er habe bei dem 26-Jährigen eine Radikalisierung bemerkt. Bei einem Gespräch habe er den Eindruck vermittelt, eine „destabilisierte und verunsicherte Persönlichkeit“zu sein, so Voß. Allerdings habe man eine unmittelbare Gefährdung ausgeschlossen. Unklar blieb, warum der Mann nicht in psychiatrischer Behandlung war. Gegen ihn ist Haftbefehl erlassen worden.
Von Norwegen kam der Mann nach Deutschland