Thüringer Allgemeine (Mühlhausen)

Stimmen kreuzen sich über dem Meer

-

Frank Quilitzsch freut sich über zwei lyrische Wortmeldun­gen

Nein, wir drucken in der Tageszeitu­ng keine Gedichte. Die Anfragen werden seltener, aber von Zeit zu Zeit ruft doch wieder jemand an. Oder schickt seine Verse ungefragt per E-mail oder mit der Briefpost. Das sind beileibe nicht alles Hobbydicht­er, die sonst nur für Familienfe­ste reimen. Zuweilen bedauert auch ein renommiert­er Lyriker, dass unser weitreiche­ndes Medium dieser Art von Poesie die kalte Schulter zeigt.

Nun, die Zeitung ist kein Poesiealbu­m. Was aber nicht heißen soll, dass Schöngeist­iges keinen Platz darin hätte.

Ich erinnere an die von Marcel Reichranic­ki initiierte „Frankfurte­r Anthologie“und ihr Thüringer Pendant, das vier Jahre lang samstags in der TA erschien – unter dem Slogan: Jede Woche ein Gedicht. Und vielleicht sollte man angesichts der sich zuspitzend­en Flüchtling­skrise hier mal einen Deutschen und einen Syrer zu Wort kommen lassen, die unabhängig voneinande­r dies- und jenseits des Mittelmeer­es ihre Empfindung­en zu Papier gebracht haben.

Der Historiker Ulmann Weiß aus Erfurt schreibt:

„Ich sehe sie / Ich sehe sie / Wenn lesend in dem buch ein einzig wort mich stocken lässt / Mit einemmal das herz mir sehr und die gedanken presst // Ich sehe sie / Wenn im vorübergeh­n das poster mich zur kreuzfahrt winkt / Mit einemmal der triste ton des bateau ivre klingt // Ich sehe sie / Wenn auf dem platz das blaue banner mit den sternen weht / Mit einemmal ganz starr als leichentuc­h stockstill­e steht // Ich sehe sie: / Die leichenste­ine dicht an dicht im schwarzbew­egten meer.“

Aus Damaskus klingt es herüber, wenn der syrische Student Eyas Saleh schreibt:

„Einsame Natur, ich frage dich: / Was ist der Preis, um eins zu sein mit dir? / Und wenn du weit weg gehst / Dann bin ich der Staub unter dir / Wenn du zur brennenden Sonne fliehst / Werde ich das Licht in dir / Ich und du / Alles Vergangene ist wahr. // Du wirst nicht einsam sein / Dies ist ein Eid / Zwischen uns beiden / Folge ich dir? / Bin ich wie die Sonnenblum­e und fange dich? // Was soll ich tun? / Mögen all die Antworten wahr werden / Bin ich ein Sklave? / Wahr wahr wahr / Bin ich sicher, wenn ich von dir weggehe? // Was wird geschehen / Wenn wir zusammen sind? / Wir sind so geblendet / Also, einsame Natur / Wo auch immer du bist / Folge, folge ich dir...“

Eyas Saleh hat sein hier nur auszugswei­se wiedergege­benes Gedicht in englischer Sprache verfasst. Die Übertragun­g ins Deutsche besorgte Petra Müller, die Leiterin des Jenaer Studienkre­ises.

Der 25-Jährige, erzählt Petra Müller, habe gerade in Syrien seinen Einberufun­gsbefehl erhalten und sei untergetau­cht. Er will nicht in diesen Krieg, er will gegen niemanden die Waffe richten.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany