Thüringer Allgemeine (Mühlhausen)
Goethes Aktien am „neuen Johannes“
Eine Würzburger Auktion hat gestern ein Schlaglicht auf den Dichter als Staatsdiener und Bergwerks-aktivisten geworfen
Weimar. Die Nachricht, dass die Historisches Wertpapierhaus AG in Würzburg einen „Goethe-kux“zur Auktion anbiete, hat gestern in Weimar keinen Menschen erschüttert. Gemeint ist damit eine Aktie, die das Herzogtum Sachsen-weimar-eisenach anno 1795 als Anteilsschein an einem Ilmenauer Kupfer- und Silberbergwerk ausgab. Das Mindestgebot für das Dokument wurde immerhin bei 20 000 Euro angesetzt, da es die originalen Unterschriften Goethes sowie Johann Carl Wilhelm und Christian Gottlieb Voigts trägt.
„Haben wir Kuxe?“fragt der Direktor des Goethe- und Schiller-archivs, Bernhard Fischer, in die Runde, als ihn unser Anruf erreicht. Offenbar befindet er sich in dienstlichem Consilium und antwortet kurz angebunden, zumal er von seinen Fachleuten Bestätigung erfährt: „Ja, haben wir. Rufen Sie mal im Hauptstaatsarchiv an. Dort kümmert man sich um den ,amtlichen Goethe‘.“
Dessen Direktor Bernhard Post befindet sich zwar auf Dienstreise, nicht aber mit der Destination Würzburg. Gern sind seine Mitarbeiter behilflich: Ja, „Goethe-kuxe“bewahre das Archiv freilich, man biete gar ein Faksimile des mit Nummer 1 dem Herzog persönlich zugeeigneten Exemplars zur Abholung an. So hat sich ein Kulturredakteur ein Wertpapier der anderen Art ins Haus geholt. Es besitzt, ähnlich wie das feilgebotene Original mit der Nummer 66, für den, der es zu schätzen weiß, durchaus erheblichen ideellen Wert.
Das Ilmenauer Bergbau-projekt war hingegen – ökonomisch betrachtet
– eine ziemliche Pleite. Seit dem späten Mittelalter hatte man zwar in dieser
Gegend nach Kupfer geschürft; jedoch schienen die Minen erschöpft und ein Wassereinbruch anno 1739 hatte den Zugang zerstört. Weil man um den Silberanteil der Erze wusste, beschloss der junge Herzog Carl August, den Betrieb zu revitalisieren. Insgeheim hegte man wohl sogar die Hoffnung, aus den Erträgen die maroden Staatsfinanzen des Herzogtums zu sanieren.
Nicht nur an der Haushaltspolitik war Goethe beteiligt, er übernahm auch 1777 ein aufsichtsführendes Amt in der Bergwerkskommission, das er selbst nach seiner Italienreise, die ihn von so manchen unliebsamen Pflichten befreite, nicht abgab und bis 1814 inne behielt. Und wie hoffnungsvoll war man in Ilmenau damals gestartet! Zur feierlichen Wiedereröffnung des Bergwerks, des als „neuer Johannes“bezeichneten Schachts, hielt der Geheimrat am 24. Februar 1784 eine Rede im Posthaus.
Geholfen hat‘s nichts. Auch die alsbaldigen Anteilsschein-eigner dürften sich gegrämt und um die Rendite gebracht gefühlt haben, als anno 1812 die endgültige Stilllegung erfolgte. Die Kuxe, deren Gegenwert etwa dem Monatseinkommen eines soliden Handwerkers entsprach, waren wertlos geworden. Nur wer das Papier den Nachfahren vererbt hat, hat diesen mehr als zwei Jahrhunderte später – dem Autographen sei Dank – eine unverhoffte Rendite beschert. Etwa ein Dutzend Exemplare, so schätzt das Würzburger Auktionshaus, sind noch im Umlauf.
Johann Wolfgang von Goethe indes war ob der Pleite schließlich kein bisschen frustriert. Er nutzte seine Aufenthalte im Thüringer Wald für mineralogische und geologische Studien, die sich nach seiner Auffassung wie sämtliche Wissenschaften auf unmittelbare Anschauung zu stützen hatten. Und nebenbei, neben den Amtsgeschäften und Studien, fand er Gelegenheit, in der Umgebung sein dichterisches Genie inspirieren zu lassen. Untrennbar ist der Kickelhahn mit seinem Gedicht „Ein Gleiches“verbunden: „Warte nur balde...“– Rückblickend befand der Dichter und Staatsmann folglich anno 1824: „Ilmenau hat mir viel Zeit, Mühe und Geld gekostet; dafür habe ich aber auch etwas dabei gelernt und mir eine Anschauung der Natur erworben, die ich um keinen Preis umtauschen möchte.“
Wem und zu welchem Preis gestern in Würzburg der Zuschlag für die „Goethe-aktie“erteilt wurde, war nicht zu erfahren. Die heute an den Börsen der Welt gehandelten Bergbau-papiere erscheinen weitaus erschwinglicher. Fünf- oder gar sechsstellige Beträge kosten hingegen nur wenige Aktien: etwa an der Holding des Finanzmoguls Warren Buffett oder am Schoko-konzern Lindt & Sprüngli.