Thüringer Allgemeine (Mühlhausen)

„Thüringen wird zum Zentrum der Aufarbeitu­ng“

Der Thüringer Bundestags­abgeordnet­e Carsten Schneider (SPD) über 100 Jahre Weimarer Republik

- Von Martin Debes

Am 9. November 1918 wurde die „Deutsche Republik“in Berlin ausgerufen. Am 6. Februar 1919 konstituie­rte sich die Nationalve­rsammlung in Weimar. Wir sprachen darüber mit Carsten Schneider, dem Parlamenta­rischen Geschäftsf­ührer der SPD im Bundestag.

Herr Schneider, an diesem Freitag jährt sich die Novemberre­volution zum 100 Mal . . .

. . . die ja die Initialzün­dung für die erste echte Demokratie auf deutschen Boden war. Es gab die Versammlun­g in der Paulskirch­e 1848, es gab das Unionsparl­ament in Erfurt. Aber die Republik, die am 9. November 1918 ausgerufen wurde und später nach Weimar benannt wurde, hat erstmals erfolgreic­h die moderne Volksherrs­chaft etabliert und dabei die Frauen politisch gleichbere­chtigt.

Warum ist dann die Weimarer Republik oft negativ besetzt? Das hat mit ihrem Ende zu tun, mit Hindenburg und seiner Kamarilla und mit der Machtergre­ifung durch die Nazis. Dabei war die Verfassung für die damaligen Verhältnis­se sehr fortschrit­tlich. Und wenn man sich die Widerständ­e anschaut, mit denen diese Republik umgehen musste, dann muss man Respekt vor vielen haben, die damals politische Verantwort­ung trugen.

Also hat Weimar nicht zu Hitler geführt? Da gab es keinen Automatism­us. Die Republik war von Anfang von Feinden umstellt, von schwarzer Reichswehr, Putschiste­n, Kommuniste­n, Nationalso­zialisten. Dazu gab es die als ungerecht empfundene­n Reparation­szahlungen, die der Versailler Vertrag auferlegt hatte, die Depression, die Massenarbe­itslosigke­it, die Hyperinfla­tion. In diesem Durcheinan­der hat die Staatsordn­ung demokratis­che Grundfreih­eiten garantiert. Das war nicht wenig.

Das alles gibt es jetzt nicht, aber es gibt einige, die vergleiche­n die aktuelle Situation mit der Spätphase der Weimarer Republik. Was sagen Sie? Dass es natürlich Parallelen gibt. Das große Problem der Weimarer Republik war, dass die politische Mitte immer dünner wurde. Zum Schluss dominierte­n die Extreme. Auch heute wird der gesellscha­ftliche Grundkonse­ns zunehmend infrage gestellt, vor allem von rechts. Gerade im Osten stehen wir deshalb im nächsten Jahr bei den Landtagswa­hlen vor wichtigen Entscheidu­ngen. 100 Jahre nach der Weimarer Verfassung werden wir mitentsche­iden, in welcher Bundesrepu­blik wir bald leben.

Aber sind die Umstände nicht völlig andere?

Natürlich. Es herrscht, zumindest für die meisten, Wohlstand, Deutschlan­d ist in die EU fest integriert, auch die transatlan­tische Partnersch­aft hält, trotz allem. Aber das alles ist nicht selbstvers­tändlich, das lehren uns die Nachrichte­n, die uns täglich erreichen.

Jetzt die entscheide­nde Frage: Was interessie­rt das alles einen Thüringer Bundestags­abgeordnet­en der SPD?

Einmal abgesehen davon, dass ich ein geschichtl­ich stark interessie­rter Mensch bin, bin ich auch Abgeordnet­er für den Wahlkreis, in dem Weimar liegt. Deshalb haben Mitstreite­r und ich vor 5 Jahren den Verein „Weimarer Republik“gegründet. Und deshalb habe ich mich gemeinsam mit vielen anderen darum gekümmert, dass gegenüber dem Nationalth­eater, wo sich die Nationalve­rsammlung 1919 konstituie­rte, ein „Haus der Weimarer Republik“entsteht. Wir als Bund stellen drei Millionen Euro dafür zur Verfügung.

Wir, das ist doch der Steuerzahl­er, oder? Ja, aber als Gesetzgebe­r sind wir dafür verantwort­lich, wie es ausgegeben wird. Wichtiger noch als die Investitio­n ist, dass eine Million Euro im Jahr dauerhaft fließen werden. Ich habe mich dafür eingesetzt, dass im ehemaligen Bauhaus-museum ein Ort entsteht, wo sich vor allem junge Menschen darüber informiere­n können, wie fragil Demokratie ist und wie sie geschützt werden kann.

Am Dienstag ist Baubeginn . . .

. . . das wird ein wichtiger Tag. Zusammen mit der Forschungs­stelle an der Uni Jena und den vielen Veranstalt­ungen im Jubiläumsj­ahr wird Thüringen zum Zentrum der historisch­en und bildungspo­litischen Aufarbeitu­ng der Weimarer Republik.

 ??  ?? Carsten Schneider (SPD). Foto: dpa
Carsten Schneider (SPD). Foto: dpa

Newspapers in German

Newspapers from Germany