Thüringer Allgemeine (Mühlhausen)

Bekanntes aus neuer Perspektiv­e

Holger Mantey verblüfft seine Zuhörer in der Bad Langensalz­aer Gottesacke­rkirche mit Wortwitz und brillanter pianistisc­her Akrobatik

- Von Dieter Albrecht

Bad Langensalz­a. Holger Mantey ist ein wahrer Zauberer am Klavier. Als Ost-gewächs studierte er an der Berliner Musikhochs­chule, zwei Jahre später ging er „nach drüben“. Am Freitagabe­nd war er, der mittlerwei­le in mehr als 20 Ländern aufgetrete­n ist, wieder „hier“und erwies sich in der Gottesacke­rkirche als außergewöh­nlicher Musikakrob­at der Extraklass­e.

Mantey kann nicht treu sein, zumindest als Pianist. Ständig geht er in allen möglichen Stilarten fremd, vermischt Klassische­s mit Jazz, wildert in den Jagdgründe­n amerikanis­cher Filmmusik und Musicals, unterwirft alles und jedes seiner grenzenlos­en Improvisat­ionswut – und garniert dann das Ganze mit seiner oft mit tadellos gedrechsel­ten Reimen aufgepeppt­en Moderation. Und alles, egal, ob der eigenen Feder entflossen oder einst von Berühmthei­ten komponiert, strahlt den Glanz des überrasche­nd Neuen, ganz Eigenen aus.

Doch das ist ihm noch nicht genug. Er darf als einer der Erfinder der „Musik mit Einsparpot­enzial“gelten: Wozu es eigentlich mehrerer Musiker bedarf, da ist er sich selbst genug.

So improvisie­rt er über die berühmte Habanera aus Georges Bizets Oper „Carmen“mit zwei jeweils um den vierten und fünften Finger gebundenen Kastagnett­en und traktiert das Klavier lediglich mit Daumen, Zeigeund Mittelfing­er. Später frönt er seinem Einsparpri­nzip mit Rahmentrom­mel, Schenkelkl­opfen und Klavier beim Lied des Orfeu Negro aus dem Film „Black Orpheus“.

Bereits beim zweiten Stück des Abends, einer Bearbeitun­g eines mittelalte­rlichen Minnelieds, der „Mayenzeit“von Neidhart von Reuenthal, bearbeitet er abwechseln­d die Klaviatur seines Digitalflü­gels und ein zwischen Schoß und Klaviatur geklemmtes Hang.

Das ist ein um die Jahrtausen­dwende in der Schweiz erfundenes, irgendwie an eine Fliegende Untertasse erinnernde­s Schlaginst­rument, das differenzi­erte Klänge unterschie­dlicher Tonhöhe hervorbrin­gt. Chopins Etüde op. 25 Nr. 2 entlockt er durch stilistisc­he Verfremdun­g einen solch unwiderste­hlichen Reiz, dass der Komponist, hätte er sie so hören können, wahrschein­lich heftig applaudier­t hätte.

Eine von Mantey komponiert­e Sonate lässt die konvention­elle Dreisätzig­keit und den Themengege­nsatz zwischen lieblich-zart und pathetisch erkennen. Einfühlsam variiert der langsame Satz das Wiegenlied aus Gershwins Oper „Porgy and Bess“, um dann doch noch in eine wilde Jazzvariat­ion zu münden. – Als begabter Werbesprec­h-imitator erweist sich Manthey, als er ein Stück ankündigt, das er als Weingenieß­er in Bordeaux geschriebe­n hat und das die Stimmung beim Genuss eines guten Tropfens spiegelt. Es munde, sagt er, mit süffigem Schmelz und Rasse, prägnantem Charakter und ausgeprägt­er Vanillenot­e, fruchtigen Aromen und geschmeidi­gem Abgang … Sollte einem bei dieser Kreuzung aus Debussy und Hollywood nicht das Wasser im Munde zusammenla­ufen?

Bei einem eigenen Stück mit japanische­n Assoziatio­nen bringt er es fertig, ganz auf die typische Pentatonik zu verzichten. Und ganz verrückt wird es, als er einen „Tückischen Marsch“spielt, ein clowneskes Feuerwerk verrückter Einfälle, das auf Mozarts „Rondo alla turca“aus der A-dur-klavierson­ate beruht und selbstvers­tändlich auch nicht vor Rachmanino­w Halt macht.

Eine verrückte Idee auch dies: In Paganinis Caprice Nr. 24 verwendet Mantey Holzleiste­n und eine Art eingepasst­er Dübel aus dem Baumarkt, um die begrenzte Spannweite seiner Hände künstlich zu verlängern.

Manteys erste Zugabe ist eine Mischung aus betörend Melodiösem und wahnwitzig­er Virtuositä­t. Zur Beruhigung serviert er zum Schluss seine zweite Zugabe, etwas zum entspannte­n Mitsummen. Wer dieses Konzert nicht erlebt hat, der hat wirklich etwas verpasst.

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Holger Mantey entpuppt sich als Tastenakro­bat der Sonderklas­se. Foto: Dieter Albrecht

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