Thüringer Allgemeine (Mühlhausen)

Bei Schulverwe­igerung: Kinderheim

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Die strenge Schulpflic­ht in Deutschlan­d dürfen die Behörden auch mit drastische­n Maßnahmen erzwingen: Notfalls können Kinder vorübergeh­end zwangsweis­e in einem Heim untergebra­cht werden, wenn ihre Eltern den Schulbesuc­h systematis­ch verhindern. Das hat der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte in Straßburg bestätigt und damit die Beschwerde eines deutschen Ehepaares abgewiesen. Ein solcher Eingriff verstoße nicht gegen das Recht auf Privatund Familienle­ben, urteilten die Richter.

In dem Streit ging es um den Fall eines Ehepaares aus Oberramsta­dt bei Darmstadt, die ihre vier Kinder zu Hause unterricht­eten. Sie widersetzt­en sich Aufrufen der Behörden, die Schulpflic­ht einzuhalte­n. Als nach mehreren vorangegan­gen Verurteilu­ngen zu Geldstrafe­n das Familienge­richt Darmstadt eine Heimunterb­ringung der Kinder anordnete, schreckten die Behörden auch vor rigorosen Mitteln nicht zurück: Im Sommer 2013 erschienen nach Angaben des Ehepaares 40 Polizeibea­mte und Mitarbeite­r des Jugendamte­s an ihrer Haustür, um die Kinder abzuholen. Sie wurden für drei Wochen in einem Heim untergebra­cht, dann durften sie nach Hause zurück. Begründet wurde die Maßnahme damit, dass Hausunterr­icht die Schulpflic­ht nicht ersetze. Das Jugendamt warnte, ohne Schule würden die Kinder in einer „parallelen Welt“aufwachsen.

Die Eltern sahen durch die Entscheidu­ng aber ihr Menschenre­cht auf Privat- und Familienle­ben verletzt. Ein Berufungsg­ericht in Frankfurt bestätigte das Urteil, das Bundesverf­assungsger­icht nahm im Oktober 2014 eine Beschwerde der Eltern nicht an. Die Eltern wandten sich an den Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte. Doch auch dort blieb ihre Beschwerde erfolglos: Der vorübergeh­ende Teilentzug des Sorgerecht­s und die Unterbring­ung im Heim verstießen nicht gegen die Menschenre­chte, erklärten die Richter. Das Gericht folgte der Begründung der Behörden, die Kinder wären durch die Schulverwe­igerung isoliert gewesen und hätten keine Kontakte außerhalb der Familie gehabt. Weniger strenge Maßnahmen als die vorübergeh­ende Heimunterb­ringung hätten nicht mehr zur Verfügung gestanden.

Trotz der allgemeine­n Schulpflic­ht werden nach Schätzunge­n in Deutschlan­d etwa 500 bis 1000 Kindern zu Hause unterricht­et, oft aus religiösen Motiven, aber auch, weil die Eltern mit den Unterricht­smethoden nicht einverstan­den sind. Doch Ausnahmen von der Schulpflic­ht gibt es in Deutschlan­d kaum – anders als etwa in Österreich oder in den USA. Das Bundesverf­assungsger­icht hatte die strenge Schulpflic­ht bereits 2014 bestätigt.

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