Thüringer Allgemeine (Mühlhausen)
Lächeln und leiden
Handball-nationalspielerin Anne Hubinger vom THC muss ihre Karriere beenden – mit gerade einmal 25 Jahren
Erfurt. Anne Hubinger winkte lächelnd ins Publikum. Dabei hat sie über Monate gelitten. Mit blauem Shirt, Jeans und weißen Schuhen kündete die 25Jährigeoptischvonihremneuen Leben. Der Kampf um die Rückkehr auf das Spielfeld ist an einer der einst größten Hoffnungen des deutschen Frauen-handballs nicht spurlos vorüber gegangen. „Die Enttäuschung über mein Karriereende ist natürlich noch sehr groß. Je größer der Abstand ist, umso mehr wird mir klar, was mir der Handball gegeben hat“, sagt Hubinger, die nach dem Bundesligafinale des Thüringer HC im Kreise der Fans verabschiedet wurde.
„Dass Anne so früh aufhören muss, tut mir unheimlich weh“, sagt Thc-cheftrainer Herbert Müller, der im Herbst 2016 die damals noch beim HC Leipzig spielende Linkshänderin anrief und wenig später zum damaligen Meister lotste. Als sie zum Auftakt der Spielserie 2017/2018 gleich im ersten Bundesliga-duell gegen Göppingen mit 13 Toren glänzte, waren die Anhänger aus dem Häuschen.
Ein paar Tage später besiegelte ein Bruchteil einer Sekunde allerdings das spätere Karriereende von Hubinger. 24 Stunden vor dem Em-qualifikationsspiel der Nationalmannschaft in der Türkei war sie im Training auf dem Fuß einer Mitspielerin gelandet, knickte um und lag unter höllischen Schmerzen am Boden. Das rechte Sprunggelenk war ausgekugelt und musste noch vor Ort im Krankenhaus in Amasya unter Narkose wieder eingerenkt werden.
Es war keine normale Verletzung. „Das war für alle ein Schockmoment“, sagte der einstige Bundestrainer Michael Biegler damals. Thc-trainer Müller erinnert sich noch ganz genau, als er die Nachricht von ihrer Verletzung erhielt: „Unsere Kapitänin Kerstin Wohlbold hat mich angerufen. Ich war am Boden zerstört.“Eine Operation wenige Tage später in einer Sportklinik in München brachte die niederschmetternde Diagnose: Bruch des Mittelfußes, Absplitterungen im Fersenbereich, fast alle Bänder gerissen. Es war ihre erste größere Verletzung, die gleichzeitig das Aus bedeutete. Monatelang kämpfte Hubinger mit eisernem Willen für ihr Comeback – und schaffte tatsächlich die Rückkehr auf das Spielfeld.
Für sie war der Handball nicht irgendein Sport. Ihr war er sozusagen in die Wiege gelegt. Die Oma war Spielerin, der Vater Trainer. „Die haben mich schon mitgenommen, als ich noch im Kinderwagen saß“, erzählte sie einst.
Überall erhielt sie beim Kampf zurück auf die Handball-bühne die notwendige Unterstützung. Zum Beispiel beim Thüringer HC, der trotz ihrer schweren Verletzung den Vertrag um ein weiteres Jahr verlängerte. Oder bei der Nationalmannschaft, zu deren Kader sie bei einem Lehrgang im vergangenen September gehörte. Damals stand Hubinger sogar in drei Bundesliga-spielen für kurze Einsätze wieder auf dem Feld und erzielte vier Tore.
Aber die Schmerzen waren zu groß, um dauerhaft auf internationalem Niveau zu spielen. Nun verabschiedet sich Hubinger komplett vom Handball, was sie schon vor einem halben Jahr für sich selbst beschlossen hat. „Ich werde auch nicht in einer unteren Liga weiterspielen. Die Belastungen beim Laufen oder Springen sind zu groß“, sagt die 25-Jährige: „Im Alltag habe ich einen guten Weg gefunden.“
Dankbar ist Hubinger trotz des bitteren Karriereendes für die Zeit als Handballerin. Auch beim HC Leipzig, wo sie von 2011 bis 2017 spielte, erlebte sie aufgrund der Insolvenz des einstigen Branchenführers eine turbulente Zeit. „In Leipzig habe ich gelernt, auf wen man sich verlassen kann.“
Der deutschen Nationalmannschaft, für die sie in 62 Spielen 107 Tore warf, geht eine Führungsfigur verloren. „Ich finde es schade, dass ihre Karriere so endet. Das ist ein herber Verlust für den deutschen Frauenhandball, aber vor allem eine sehr traurige Entwicklung in ihrer vielversprechenden Karriere. Ich wünsche ihr, dass sie eine neue Leidenschaft findet, der sie mit viel Freude und Erfolg nachgehen kann“, sagt Bundestrainer Henk Groener.
Anne Hubinger wird ihrem Freund, dem Bundesliga-handballer Christoph Steinert, nach Magdeburg folgen. Sie selbst steht – auch ohne Handball – vor großen Aufgaben. Ihr Lehramtsstudium wird sie bald mit dem Staatsexamen abschließen.
Nach dem Absprung in einen neuen Alltag bleibt trotz all der Monate zwischen Hoffen und Bangen der Sport für sie präsenter denn je: „Er hat mir unheimlich viel gegeben. Ich habe Freunde fürs Leben gefunden.“