Thüringer Allgemeine (Mühlhausen)
Stolpersteine und steile Reize
Geher-legende Hartwig Gauder und Berglauf-ass Marcel Krieghoff über Läufe auf Schanzen und Vulkanen und den Wert guter Trainer
Erfurt. Jetzt musste er zum vierten Mal das Gehen lernen. Denn er habe das „Glück“gehabt, am ersten Weihnachtsfeiertag mit einer gebrochenen Hüfte dazuliegen. Mit den Brettern in der Skihalle in Oberhof ging alles gut. Aber später, nach einem Espresso im Cafe, übersah er eine Stufe.
Hartwig Gauder erzählt es und kann wieder lachen. Der Sport bedeutet ihm noch immer so viel. Der Erfurter hat alle Gipfel erreicht: den Olympiasieg, den Wm-titel, den Fuji. Den höchsten Berg Japans bestieg er 2003, zehn Jahre nach seiner Karriere und schon mit transplantiertem Herzen. Er hat in Deutschland das Walking populär gemacht hat und engagiert sich in Vereinen für die Organspende. Wenn der 64-Jährige die Höhen und Tiefen seines Lebens offenbart, fühlt sich auch Marcel Krieghoff euphorisiert. Der 35Jährige, einer der besten Thüringer Läufer, war noch gar nicht geboren, als Gauder 1980 im heißen Sommer von Moskau zum olympischen Gold ging. Beim „Sporttalk im Steigerwaldstadion“entspann sich im Gespräch mit den Moderatoren Gerald Müller und Marco Alles ein temporeicher Disput, weil gerade in der Leichtathletik vieles von dem, was war, noch immer gilt.
ALT UND JUNG
Leider werden unsere Erfahrungen oftmals gar nicht erfragt. Dabei hat sich von der Trainingsmethodik her ja nicht viel geändert. Das andere sind die psychologischen Aspekte, die im Sport sogar entscheidend sind, um am Ende gewinnen zu können. Da könnten wir den Jungen schon viel mitgeben, wenn sie es denn möchten.
THÜRINGEN UND BERGE
Vor einigen Jahren habe ich nach einem Rennsteiglauf die Berge für mich entdeckt. Ich habe mich dann spezialisiert und bin seit drei Jahren in der Berglauf-nationalmannschaft. Obwohl es ja zu Hause in Bad Langensalza eigentlich gar keine Berge gibt.
Das Kehltal bis zur Schmücke hoch, da kann man ganz schön einen rausdrücken. Wir sind immer hochgegangen, dann hat uns der Trainer mit dem Wartburg wieder hinuntergefahren. Und wir dann wieder rauf. Vier-, fünfmal.
In Brotterode habe ich kürzlich beim Schanzenlauf mitgemacht. 75 Prozent Steigung! Ich wollte einfach vor der Europameisterschaft noch einmal einen steilen Reiz setzen.
HITZE UND HÖHE
Ich finde das super, das Extreme bringt einen weiter. Man kann gut analysieren, was sich noch verbessern lässt. Auch bei uns waren Berge ein wesentliches Element. Durch den verstärkten Fußabdruck kräftigt es Waden- und Schienbeinmuskulatur. Die brauche ich besonders, weil beim Gehen die Flugphase des Laufens fehlt, in der sich die Muskeln erholen.
Ich habe im letzten halben Jahr immer mal versucht, fünf, sechs Kilometer am Stück im richtig steilen Gelände zu trainieren. In dieser Hinsicht hat das Trainingslager im Frühjahr beim Bundestrainer in Mittenwald viel gebracht.
Wir haben damals oft in 3000 bis 3600 Meter Höhe am Popocatepetl in Mexiko trainiert. Einmal bin ich am Nevado de Tuluca, einem erloschenen Vulkan, auf 4000 Meter Höhe 50 Kilometer gegangen. Das sind natürlich Extrembelastungen. Gerade in Hitze zu trainieren bringt aber auch noch mal etwas. Hitze und Höhe, damit ist der Körper noch besser Der Talk wird heute 18.20 Uhr erstmals ausgestrahlt und danach mehrere Male im Programm von Salve TV wiederholt.
Der regionale Fernsehsender Salve TV ist über Kabelanschluss in 70 Thüringer Orten empfangbar, darunter in Erfurt, Weimar, Jena und Eisenach. Im Internet ist die Sendung zu sehen unter: thueringer-allgemeine.de www.salve.tv www.thueringen24.de vorbereitet auf Wettkämpfe. Man muss natürlich viel trinken, weil sich der Flüssigkeitsbedarf auf fünf, sechs Liter verdoppelt.
ZENTREN UND TALENTE
Wer bereit ist, in Zentren zu trainieren, entwickelt sich auch weiter. Die Wintersportler sind gezwungen, dort zu trainieren, wo die Rennrodelbahn steht oder das Biathlonstadion. In der Leichtathletik war vieles verstreut, dadurch sind Talente verloren gegangen. Mit den Stützpunkten sind hervorragende Bedingungen geschaffen worden. Ich möchte behaupten, bessere als zu unserer Zeit, was Stadien, Hallen und physiotherapeutische Betreuung betrifft.
Ich kam vom Fußball, habe aus Spaß mal den Silvesterlauf mitgemacht, bin auf Anhieb 33 Minuten gelaufen. Dann hat mich Enrico Aßmus gefragt, ob ich nicht in seiner Gruppe mitmachen wolle. Klar, mir fehlt die Basis der Sportschule, als Quereinsteiger hat man Defizite, aber ich mache das ja immer neben der Arbeit. Da bin ich auch stolz drauf.
Große Bewunderung! Das ist ja extremer als jemand, der in der Sportfördergruppe ist. Wer Vollzeit arbeitet, kann auch die Erholung nicht so effektiv gestalten wie ein Profi.
TRAINER UND WEGE
Wir sollten die besten Trainer in den Nachwuchs stecken, damit der gut geführt wird. Das Erfurter LAC Top-team ist der richtige Weg, um Athleten zu motivieren. Auch für den Sponsor ist es leichter, sein Geld in den Topf eines Spitzenteams zu geben, als einen Einzelsportler zu fördern.
Manchmal habe ich das Gefühl, die richtig guten Trainer sind ausgestorben. Meine Jahre bei Dieter Hermann waren unheimlich prägend. Die haben mich enorm weitergebracht. Heute ist es in Thüringen schon schwierig, eine Truppe zu finden, um zusammen mal einen längeren Lauf zu machen.
KINDER UND SPORT
Es wird schon gesichtet, aber wir haben eine andere Zeit. Eine Zeit, in der der Gelenkknochen des Daumens beanspruchter ist als die Muskeln der Beine.
So können Sie die Sendung sehen
Ich finde es schade, dass sich Kinder nicht mehr quälen wollen. Oder überhaupt erst mal bewegen.
Dabei ist uns ja alles gegeben. Bitte ich ein Kleinkind: Hole mir mal das und das – was macht es? Es rennt los! Frage ich einen 10-Jährigen, kommt die Frage: Muss das sein? Deshalb behaupte ich: die Jugend, die sich nicht sportlich betätigt, wird nicht so alt werden wie wir.