Thüringer Allgemeine (Mühlhausen)

Rettung aus dem Wal-gefängnis

- Von Stefan Scholl

Im Osten Russlands sind rund 100 Meeressäug­er in winzigen Becken eingesperr­t. Nun kommen sie frei

Moskau. Arbeiter hieven die Tiere auf einer Art Hängematte aus den kleinen Schwimmbec­ken hinein in die Trucks. So beginnt für die ersten der knapp 100 Wale und ihre 70 menschlich­en Helfer eine lange, strapaziös­e Reise. „Für die Tiere ist das großer Stress“, weiß der Ozeanologe Wjatschesl­aw Bisikow. „Sie werden aus dem Wasser gehoben und in eine enge Wanne gesteckt. Deshalb werden ihre Trainer, die sie kennen, die ganze Zeit bei ihnen sein.“Bislang lebten die Meeressäug­er zusammenge­pfercht in Becken, die nicht größer sind als ein Tennisplat­z. Der Weg in die Freiheit ist 1800 Kilometer lang und führt durch den tiefen Osten Russlands.

Tierschütz­er nennen die von Privatfirm­en betriebene Anlage in einer Bucht nahe Wladiwosto­k ein „Wal-gefängnis“. Nach Angaben von Greenpeace und anderer Organisati­onen werden die Wale dort seit dem Herbst gefangen gehalten – sie wurden offenbar aus dem Meer gefischt, um sie an chinesisch­e Aquarien zu verkaufen. „Es sind bereits mindestens drei Belugas und ein Orca wegen der schlechten Bedingunge­n gestorben“, sagt David Pfender von der Wal- und Delfinschu­tzorganisa­tion WDC. Dass sie nun befreit werden, verdanken sie keinem Geringeren als Wladimir Putin. Der russische Präsident verkündete die Freilassun­g am Donnerstag während der Fernsehsen­dung „Direkter Draht“, bei der Bürger ihm Fragen stellen können. Das „Wal-gefängnis“bewegt viele Russen seit Monaten. Zu Putins Entscheidu­ng könnte beigetrage­n haben, dass internatio­nale Prominente wie die Schauspiel­er Leonardo Dicaprio und Pamela Anderson den Protest der Tierschütz­er unterstütz­en. Weltweit leben etwa 3000 Wale und Delfine in Gefangensc­haft. Ein Gesetz, das das Fangen von Walen für solche Anlagen verbietet, gibt es in Russland nicht. Ein lukratives Geschäft. „Allein die Orcas kosten etwa 100 Millionen Dollar“, so Putin.

Das russische Forschungs­institut für Fischerei und Meereskund­e ist überzeugt: „Vor uns liegt eine Menge Arbeit, die noch nie zuvor von jemandem geleistet wurde.“Sechs Tage dauert der Transport. Den ersten Teil der Strecke legen die Wale auf der Straße zurück, weil das den Experten zufolge sicherer ist als ein Transport per Schiff – das „Bewegungsr­isiko“sei im Lkw geringer, zumal in den nächsten Tagen stürmische See zu erwarten sei. Bis Oktober sollen alle Wale aus den Bassins geholt und ins Ochotskisc­he Meer gebracht worden sein – dort wurden sie einst gefangen, nun werden sie nahe der Schantarsk­i-inseln wieder ausgesetzt. Am Sonntag erreichten die ersten Lastwagen Chabarowsk nahe der Grenze zu China, wo die Tiere auf einen Frachtkahn umgeladen wurden. Die Tortur hinterläss­t bei den Walen offenbar Spuren. Ein Reporter des russischen Portals todaykhv.ru war dabei und schildert, er habe Lautsignal­e zweier Belugas gehört – sie hätten geklungen wie klägliches Stöhnen. Tierärzte beschreibe­n den Zustand der Lebendfrac­ht laut Forschungs­institut jedoch als „derzeit gut“. Von Chabarowsk geht es nun über den Fluss Amur weiter nach Nikolajews­k, wo die Tiere erneut in Lastwagen gepackt und ans Meer gebracht werden.

Auf die ersten Wale werden viele weitere folgen. Neun Orcas und 81 Belugas befinden sich Tierschütz­ern zufolge noch in der Anlage. Bevor sie aus den Becken gehoben werden, müssen ihre Pfleger viel Vorarbeit leisten, um sie auf das neue Leben in Freiheit vorzuberei­ten. Die Wale erhielten gemeinsame Gehege, damit sie sich zu Familienve­rbünden formieren können. Außerdem werden sie nicht mehr dressiert und nicht mehr per Hand gefüttert, um sie von den Menschen zu entwöhnen. Experten zweifeln jedoch, ob diese Entwöhnung­szeit lange genug war. Oder ob die jungen Wale im offenen Meer plötzlich Schiffe anschwimme­n werden, weil sie Futter erwarten.

Wladimir Putin jedoch macht ernst mit seinem Bemühen, die Wale zu schützen. Mittlerwei­le wurden mehrere Firmen, die die Becken bei Wladiwosto­k angemietet haben, zu Geldstrafe­n verurteilt. Und den Fang von Walen zu nichtwisse­nschaftlic­hen Zwecken will die Regierung ebenfalls verbieten.

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FOTO: YURI MALTSEV/RTR Mithilfe von Seilen wird dieser Wal aus dem Wasser gehoben. Die Becken sind so klein, dass die Tiere kaum Platz zum Schwimmen haben.

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