Thüringer Allgemeine (Mühlhausen)

Mal kurz den Wald retten

- Von Dominique Lattich und Marvin Reinhart

Früh für Umweltschu­tz sensibilis­ieren

22 Kinder der Marco-polo-grundschul­e zeigen im Saalfelder Wald, was jeder in einer Stunde gegen die Verschmutz­ung tun kann

Saalfeld. Vorsichtig greifen zarte Kinderhänd­e nach einem Stück Glas. „Sogar Flaschen“, sagt ein Mädchen kopfschütt­elnd, während ein Junge das Stück Glas in eine Tüte fallen lässt. Beide suchen die Reste der zerbrochen­en Glasflasch­e, die auf dem Waldboden verteilt sind, zusammen. Die Kinder gehören zur Klasse 3b der Grundschul­e „Marco Polo“in Saalfeld. Gemeinsam mit zwei Volontären unserer Zeitung räumen sie den Stadtwald am Walderlebn­ispfad auf und zeigen, dass bereits mit wenigen Handgriffe­n der Umwelt geholfen werden kann.

Um das Sammeln zu erleichter­n und neben Müll auch Unklarheit­en zu beseitigen, fragen wir, was alles in den Wald gehört. „Grünzeug“, „Tiere“, „Moos“. Mit Blick auf die Feengrotte­n ergänzt ein Junge: „Feen und Elfen.“Auf die Frage, was nicht in einen Wald gehört, sind sich die Kinder einig: Plastik. Eigentlich Müll aller Art.

„400 Hektar Grünfläche misst dieser Stadtwald an den Feengrotte­n“, sagt Frank Bock vom Grünfläche­namt in Saalfeld. Er begleitet die Tour. Das Gebiet sei Heimat vieler Tiere und Pflanzen, dennoch sei der primäre Zweck des Waldes die Erholung: „Weil der Wald stadtnah gelegen und als Erholungsw­ald ausgewiese­n ist, wird er auch bewirtscha­ftet und gepflegt“, sagt er. Doch dafür mangele es oftmals an Personal: „Gerade Umweltschu­tzorganisa­tionen wie dem Nabu fehlt der Nachwuchs“, beklagt Bock. Hans Schönewolf vom Nabu Thüringen präzisiert: „Es geht weniger um den Nachwuchs als um die Kontinuitä­t.“Problem sei es also, junge Mitglieder mit modernen Lebensverh­ältnissen – Mobilität, Studium, Wohnortwec­hsel – bei der Stange zu halten. Dazu zähle der Nabu sehr viele passive Mitgliedsc­haften.

Insekten, Vögel und Pflanzen können die Kinder bei der Wanderung schon gut zuordnen. „Du kannst nur schützen, was du kennst“, sagt Bock und verweist auf Schüler der Friday-forfuture-bewegung. „Die wissen gar nicht, was sie schützen“, problemati­siert er. Es sei eine Die 22 Kinder der Klasse 3b der Grundschul­e „Marco Polo“in Saalfeld haben fleißig gesammelt und innerhalb einer Stunde und einem Fußmarsch von etwa zwei Kilometer eine ganze Tüte voller Müll gesammelt.

Am Ende der Tour wird ausgewerte­t, was in der Kartontüte gelandet ist. Dies alles haben wichtige naturpädag­ogische Aufgabe, Kinder früh für den Wald, für Umweltschu­tz und für Nachhaltig­keit zu sensibilis­ieren. „Auch dafür fehlt uns aber qualifizie­rtes Personal, und auch in der Schule kommt das Thema oft zu kurz“, sagt Bock.

Mit gutem Beispiel will die Marco-polo-schule vorangehen. Wie Juliane Dietzel, eine Lehrerin der Schule, die an diesem Tag die Klasse begleitet, sagt, gilt die Einrichtun­g offiziell als „Bienenfreu­ndliche Grundschul­e“. Im kommenden Schuljahr steht für die Klasse unter anderem der Wald im Mittelpunk­t. „Außerdem haben wir eine noch recht junge Partnersch­aft mit dem Imkerverei­n der Stadt und den Saalfelder Feengrotte­n“, sagt Dietzel. Die Schule hat darüber hinaus einen großen Schulgarte­n.

Ein wichtiger Schritt in Richtung Sensibilis­ierung für Natur und Umwelt sei auch die Entscheidu­ng der Grundschul­e zu dieser Wanderung gewesen, findet Bock. Wenn auch in den Leitgedank­en zu den Thüringer Lehrplänen darauf hingewiese­n wird, dass Themen wie der Umgang mit Ressourcen, Klimaschut­z, Konsum- und Lebensstil­e oder natürliche Lebensgrun­dlagen in den Unterricht einzubring­en sind, liegt es grundsätzl­ich in der Verantwort­ung der Lehrkraft und der Schule, die einzelnen Themen wie Wald, Natur, Umwelt zu vermitteln, informiert das Bildungsmi­nisterium.

Hannes hat inzwischen die Tüte an sich genommen. Fast schon wie eine Trophäe wandert sie von einer Kinderhand zur nächsten, und immer wieder kommt ein Mitschüler angerannt, um einen neuen Papierschn­ipsel oder eine Folie von einer Zigaretten­schachtel darin zu versenken. Angewidert wird dazu auch der passende Zigaretten­stummel aufgehoben und schnell entsorgt. „Wir gucken hier drüben“, setzen sie auf Teamwork.

Die Mission verlieren die Kinder der Klasse 3b gelegentli­ch nur kurz aus den Augen. Anlass dazu geben zum Beispiel Kaulquappe­n, die sie in kleinen Pfützen neben dem Bach entdecken oder Brennnesse­ln, die als Hinderniss­e überwunden werden mussten. Das Jucken nehmen sie in Kauf. „Oh mein Gott!“– für besonders viel Aufsehen sorgt ein Feuersalam­ander am Bach. Minutenlan­g wird er von den Kindern beobachtet. „Komm hier her“, versuchen sie die Kinder gefunden:

Plastikfla­schen Scherben Schrauben Verpackung­en Luftballon­s Bierdeckel Taschentüc­her Zigaretten­stummel Haargummis ihn anzulocken, aber er möchte lieber seine Ruhe und verkrümelt sich in einer Nische aus Ästen und Steinen.

An einem kleinen Aussichtst­urm, kurz hinter dem Barfußpfad, wird die Gruppe noch einmal durchgezäh­lt. Ab hier geht es zurück. Auf dem Rückweg wird nur noch wenig Müll gefunden, der auf dem Weg nach oben übersehen wurde.

Müll sorgt bei den Kindern für Empörung

Inzwischen hat die neunjährig­e Emilia die Tüte, die immer schwerer wird. Sie schaut hinein. „Ach du Sch...“, entfährt es Emilia. Sie ist entsetzt darüber, was Menschen alles in den Wald werfen. „Das ist nicht schön“, meint Kate. „Erst recht, wenn Müll absichtlic­h weggeworfe­n wird.“Lotte versucht zu schlichten: „Vielleicht ist es auch mal ein Versehen, wenn man etwas verliert.“Lilly wirkt sehr erwachsen, als sie sagt: „Wer das absichtlic­h macht, hat keinen Respekt vor der Natur.“

Was das bedeutet, weiß Gesche Jürgens, Kampagnenl­eiterin für Wälder und Biodiversi­tät von Greenpeace Deutschlan­d. „Ich nehme selbst immer eine Tüte mit in den Wald und sammle Müll auf“, sagt sie. Ein guter Anfang sei das, doch der eigentlich­e Gegenspiel­er des Waldes sei nicht der Wanderer, der Müll verteilt, sondern vielmehr die Tierhaltun­g und Futtermitt­elindustri­e: „Das Bewusstsei­n für den Wald geht über das Müllsammel­n hinaus. Wer helfen möchte, sollte sich auch im Alltag überlegen, wo Waldzerstö­rung drin steckt – in Papier, Kaffee-bechern, Soja oder Palmöl.“Weiter sei auch Ruhestörun­g und Forstwirts­chaft mit schwerem Gerät Gift für den Wald: „Straßen und Jagd lösen bei den Tieren natürlich viel mehr Stress aus, als Wanderer, die auch ab und zu laut sind.

Josi hat eine halbe, leere Eierschale gefunden. Frank Bock schaut es sich genauer an. „Könnte von einer Taube stammen“, sagt er ein. „Ich hab’ es unter einem Baum gefunden. Es ist bestimmt auf den weichen Waldboden gefallen. Am Rand sieht es aus wie aufgepickt. Dann kam es bestimmt raus, ist noch ein Stück gehüpft“, sagt sie. Im Inneren der Schale sieht sie Federn und ein bisschen Blut. Wie einen Schatz trägt sie es – sicherlich bis nach Hause.

Was die Schüler in einer Stunde gesammelt haben

 ?? FOTOS (): MARVIN REINHART ?? Mit Handschuhe­n und Tüte ausgerüste­t, gehen die Schüler der Klasse b auf die Jagd nach Abfall, Müll und allem, was nicht in den Wald gehört – wie zum Beispiel diese Plastikfla­sche, die ein Mitschüler hier hochhält.
FOTOS (): MARVIN REINHART Mit Handschuhe­n und Tüte ausgerüste­t, gehen die Schüler der Klasse b auf die Jagd nach Abfall, Müll und allem, was nicht in den Wald gehört – wie zum Beispiel diese Plastikfla­sche, die ein Mitschüler hier hochhält.
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Wir zählen einmal durch und machen uns wieder auf den Rückweg.
 ??  ?? Frank Bock vom Grünfläche­namt erläutert den Kindern, was jeder für den Wald tun kann.
Frank Bock vom Grünfläche­namt erläutert den Kindern, was jeder für den Wald tun kann.
 ??  ?? Plastikfla­schen, Glasscherb­en, Metalle: Die Grundschül­er haben jede Menge Müll im Wald bei Saalfeld gesammelt.
Plastikfla­schen, Glasscherb­en, Metalle: Die Grundschül­er haben jede Menge Müll im Wald bei Saalfeld gesammelt.
 ??  ?? Ein Blick in die Mülltüte.
Ein Blick in die Mülltüte.

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