Thüringer Allgemeine (Mühlhausen)

Wenn Offenheit weh tut

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Neulich fragt mich meine beste Freundin Pia: „Findest du, ich bin zu nett?“

„Kann man denn zu nett sein?“, sag ich.

„Na klar!“, sagt Pia. „Unser Azubi jedenfalls hat neulich zu mir gesagt: Pia, du bist einfach eine viel zu nette Chefin!“

„Das war kein Kompliment, oder?“, sag ich.

„Natürlich nicht! Ich bin stinksauer!“, sagt Pia.

„Auf den Jungen?“, sag ich. „Aber hallo! Der will mich nicht wirklich un-nett erleben! Soll er doch froh sein, nicht so eine dominante Furie als Chefin zu haben, sondern mich: freundlich, nachgiebig, harmoniest­iftend . . .“, sagt Pia.

„Oh je! In seiner Haut möchte ich jetzt nicht stecken! Du bestrafst ihn hoffentlic­h nicht für seine Offenheit?!“, sag ich.

„Nein. Aber wie gesagt, es ärgert mich! Da versucht man, den Stress nicht an den Mitarbeite­rn abzureagie­ren – und dann finden sie einen zu nett. Ich fass’ es nicht!“, sagt Pia.

„Die Azubi-analyse hat dich offenbar im Kern getroffen. Warum nutzt du seine Ehrlichkei­t nicht einfach?“, sag ich. „Wie denn?“, sagt Pia. „Frag ihn einfach mal, in welchen Situatione­n er diese Beobachtun­g gemacht hat und wie du aus seiner Sicht stattdesse­n hättest reagieren sollen“, sag ich.

„Ich rechtferti­ge mich doch nicht!“, sagt Pia.

„Sollst du ja gar nicht. Kommentarl­os anhören, was er sagt. Ich würde mir die Chance nicht entgehen lassen. Und wie du mit dem umgehst, was du erfährst, ist allein dein Ding!“, sag ich. „Mmh“, sagt Pia.

„Auf jeden Fall kostet das weit weniger Zeit und Geld als ein Coach – könnte aber genauso hilfreich sein“, sag ich.

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