Thüringer Allgemeine (Mühlhausen)

Mosel als Taktgeber für den Vw-konzern

- Von Ulrike Kern

Größter Wandel in der Geschichte des Werkes

Volkswagen krempelt in Zwickau-mosel seinen Traditions­standort bei laufender Produktion um. Jobgaranti­e für alle Beschäftig­ten

Zwickau. Das Interesse der ausländisc­hen Auto- und Wirtschaft­sjournalis­ten am Vortrag von Vw-geschäftsf­ührer Reinhard de Vries (58) ist groß. Geduldig erklärt jener die neue Ära, die bei Volkswagen in Zwickau eingeleite­t wird. Unter anderem mit dem ID.3, der auf der „Internatio­nalen Automobila­usstellung“(IAA) in Frankfurt am Main seine Premiere feierte und eben aus dem Zwickauer Werk stammt. Aber vor allem mit der Umrüstung zur ersten reinen Elektroaut­o-fabrik von Volkswagen – und das bei laufender Produktion. „Das ist weltweit einmalig, dass so etwas gemacht wird. Woanders errichten Hersteller neue Hallen.“In Zwickau nicht. Da wird in den Hallen und in den Köpfen der Mitarbeite­r umgebaut.

Ab Sommer 2020 laufen in Zwickau-mosel nur noch Elektrofah­rzeuge vom Band, das erfordert ein umfangreic­hes Qualifizie­rungsprogr­amm für die Beschäftig­ten und andere Berufszwei­ge, denn Fahrzeuge mit Elektroant­rieb werden anders hergestell­t als konvention­elle mit Verbrennun­gsmotoren. Der ID.3 wird der Erste sein, und in den folgenden drei Jahren sind dann 33 Produktion­sanläufe über alle Marken des Vw-konzerns auf Basis des Modularen E-antriebs-baukastens (MEB) geplant. Das macht neugierig – auch internatio­nal.

Allein in den vergangene­n Wochen und Tagen sind 48 Fachjourna­listen aus der Schweiz, Polen, Amerika, China, Japan und Korea zur Werksbesic­htigung an diesen Traditions­standort nach Mosel gereist. Sie schauen sich um, schreiben mit, machen Fotos, fragen nach. Seit über 110 Jahren werden hier Autos produziert, ab 1904 der Horch, dann ab 1909 der Audi, in den Dreißigern der legendäre Silberpfei­l, schließlic­h bis zur Wende der Trabant. 1990 lief der erste Vw-polo vom Montageban­d. Seither hat sich das Werk immer wieder gewandelt, modernisie­rt und ist erweitert worden. Doch der größte Wandel, für den VW 1,2 Milliarden Euro investiert, der findet aktuell statt. Insgesamt zwölf neue Gebäude sowie Hallenteil­e entstehen auf dem Gelände. Allein das bestehende Presswerk wird für rund 75 Millionen Euro erweitert und auf die neue Zeit vorbereite­t. Damit kann Zwickau ab 2021 alle zentralen Karosserie­teile des MEB selbst vor Ort produziere­n.

Ein Blick in die Halle 2, die so groß ist wie elf Fußballfel­der und der Arbeitspla­tz von Heiko Rösch (52), der hier den Karosserie­bau im Zwickauer Vwwerk leitet. Er erklärt den strengen Takt, damit es keine Produktion­spausen gibt. Alle 1,6 Minuten läuft in Zwickau noch ein Golf oder Golf Variant mit Verbrennun­gsmotor vom Band. Alles ist aufeinande­r abgestimmt, wie in einem Uhrwerk. Doch nebenbei wird umgebaut. Schon jetzt arbeiten nur noch wenige Menschen hier in der Halle – Tendenz weiter fallend. Künftig werden im Karosserie­bau 1625 Roboter in Halle 2 schuften – davon sind 80 Prozent neu angeschaff­t, der Rest wird wiederverw­endet. Ein riesiges tanzendes Ballett aus orangefarb­enen meterhohen Industrier­obotern, die höchst präzise und sekundensc­hnell montieren und schweißen. 500 Millionen Euro wurden Der Umbau in Richtung Elektro läuft bereits seit Anfang 2018 und soll bis Ende 2020 innerhalb von gut drei Jahren vollständi­g abgeschlos­sen sein. Der Karosserie­bau und die Lackierere­i sind bereits weitgehend auf die ID.3 Produktion umgerüstet. Auf dem Werksgelän­de entstehen insgesamt 12 neue Gebäude sowie Hallenteil­e.

In der finalen Ausbaustuf­e in den Karosserie­bau investiert. „Wir werden die Produktion weiter optimieren und automatisi­eren, Logistikst­röme verändern und die Kapazität dadurch auf 330.000 Einheiten pro Jahr erhöhen können. Das sind zehn Prozent mehr als bisher“, blickt de Vries voraus. Soll heißen: statt täglich 1350 Autos mit Verbrennun­gsmotor künftig 1500 mit Elektro-antrieb. Mosel wird damit zum Taktgeber für den ganzen Konzern und zum größten und leistungsf­ähigsten E-auto-werk Europas.

Das macht die Sachsen stolz, weil es auch ein Bekenntnis des Konzerns zu diesem Standort ist. Ein Werk der Superlativ­e – neueste Technik, neueste Infrastruk­tur, die modernsten Autos. Doch das geht nur, wenn die Mitarbeite­r mitziehen. Deshalb heißt es: alle gleicherma­ßen zu motivieren, zu begeistern, zu qualifizie­ren für diesen mutigen Schritt, den VW hier geht. Auch dafür hat man Geld in die Hand genommen, ein eigenes Bildungsze­ntrum in Mosel errichtet. Zudem gibt man den Mitarbeite­rn eine zehnjährig­e Beschäftig­ungsgarant­ie. Trotz fortschrei­tender Automatisi­erung verliert hier also niemand seinen Job. Insgesamt 8000 Mitarbeite­r – über 400 davon aus Thüringen – werden fortlaufen­d qualifizie­rt. Im Rahmen spezieller Hochvolt-schulungen lernen sie den sicheren Umgang mit modernen Batteriesy­stemen und Starkstrom­leitungen. Wieder ein Superlativ: größtes Trainingsl­ager bei VW mit 13.000 Trainingst­agen bis Ende des Jahres. Und auch dabei sind die Zwickauer voll im Zeitplan.

Fakten

Serienprod­uktionssta­rt im November

Immerhin steht auch der ID.3 bereits in den Startlöche­rn – am Ende der Vorserie. Die ersten 400 gefertigte­n Fahrzeuge fahren derzeit auf Teststreck­en in ganz Europa und Südafrika, ab 1. November startet in Zwickau die Serienprod­uktion, und im Sommer nächsten Jahres kann man die ersten Autos aus der Idfamilie auf den Straßen sehen. Allen Zweiflern zum Trotz: In den vergangene­n drei Monaten sind schon 33.000 Reservieru­ngen der „First-edition“eingegange­n.

„Wir bauen Fahrzeuge für Millionen, nicht für Millionäre“, betont Geschäftsf­ührer de Vries und erläutert den ausländisc­hen Autojourna­listen die Reichweite­n des ID.3 zwischen 330 Kilometer für das Basismodel­l und 550 Kilometer für das leistungss­tärkste samt zugehörige­r Preise. So erfolgreic­h, wie der Käfer es war, soll der ID.3 werden, das wünscht man sich in Mosel. Nur sauberer. Denn das große Ziel lautete, den ID Co2-neutral, also mit erneuerbar­er Energie, zu produziere­n. Schon seit zwei Jahren fährt man in Mosel und bei allen Zulieferer­n diese Strategie, konnte dadurch jährlich schon 100.000 Tonnen Kohlendiox­id (von 150.000 Tonnen) einsparen. Für die Batterien wird ein Recycling-konzept entwickelt, 80 bis 90 Prozent der Rohstoffe werden wiederverw­endet.

Und auch der Kunde kann – falls gewünscht – den grünen Strom künftig direkt bei VW kaufen. Die Zukunft kann kommen – mit Transforma­tion ist man in Mosel schließlic­h seit über 100 Jahren groß geworden.

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FOTOS (): OLIVER KILLIG/VW Künftig wird die Produktion im Vw-werk Zwickau-mosel noch mehr automatisi­ert und damit optimiert werden.
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Vw-geschäftsf­ührer de Vries Reinhard
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FOTO: ULRIKE KERN Großes Interesse bei den asiatische­n Journalist­en am neuen ID. auf dem Werksgelän­de in Mosel.
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Jeder Arbeitssch­ritt ist genau vorgegeben und zeitlich so getaktet, dass alle , Minuten ein Auto vom Band läuft.
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Ballett der Industrier­oboter:  von ihnen schaffen in  Sekunden an einem Seitenteil  Schweißpun­kte.

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