Thüringer Allgemeine (Mühlhausen)
Von der Leyen droht Stolperstart
Gegen mehrere Kandidaten für die neue Eu-kommission werden schwere Vorwürfe erhoben. Heute beginnt die Befragung im Europaparlament
Brüssel. Korruption, Veruntreuung von Parlamentsgeldern, verschwiegene Vermögen und vertuschte Interessenkonflikte: Gegen überraschend viele Kandidaten für die künftige Eukommission von Ursula von der Leyen (CDU) gibt es teils schwere Vorwürfe und Verdächtigungen. Den Anwärtern aus Rumänien und Ungarn droht bereits das Aus, Ungarns Premier Viktor Orbán tobt. Was kann von der Leyen tun?
Die strenge Prüfung im Euparlament beginnt erst an diesem Montag. Aber mindestens drei, vielleicht auch fünf oder sechs der 27 Kommissarsanwärter sind bereits Wackelkandidaten, die die Anhörung womöglich nicht überstehen werden, wie Abgeordnete erklären. Ganz oben auf der Verdachtsliste: die designierte Verkehrskommissarin Rovana Plumb aus Rumänien, gegen die es Korruptionsvorwürfe gibt.
Ermittlungen der rumänischen Antikorruptionsbehörde wurden nur eingestellt, weil die Politikerin der postkommunistischen PSD als Abgeordnete durch Immunität geschützt ist. Der schillernde Fall: Plumb hatte 2013 als Umweltministerin den Verkauf einer Donauinsel aus Staatsbesitz zu verantworten. Die Insel wurde über einen nur kleinen Umweg zum privaten Angelrevier ihres engen Vertrauten, EX-PSD-CHEF Liviu Dragnea.
Der Deal war rechtswidrig und wurde inzwischen rückgängig gemacht. Angelfreund Dragnea sitzt wegen Amtsmissbrauch im Gefängnis. Plumb bestreitet den Korruptionsvorwurf, doch sie steht kurz vor dem Aus: Der Rechtsausschuss des Parlaments hat ihre Anhörung vorerst gestoppt – gar nicht wegen dieser Affäre, sondern wegen dubioser Kredite über 950.000 Euro. Strafrechtliche Ermittlungen laufen noch gegen die designierte Binnenmarktkommissarin Sylvie Goulard wegen einer Scheinbeschäftigungsaffäre. Sie soll als Europaabgeordnete einen Partei-assistenten illegal auf Kosten des Parlaments beschäftigt haben. Die liberale Französin musste deshalb 2017 ihren Hut als Verteidigungsministerin nehmen, aber die Eubetrugsbehörde Olaf und die französische Antikorruptionspolizei ermitteln weiter.
Auch gegen den künftigen Agrarkommissar Janusz Wojciechowski aus Polen ermittelte die Eu-betrugsbehörde, es ging um Reisekostenabrechnungen aus seiner Zeit als Eu-abgeordneter; inzwischen hat Wojciechowski 11.243 Euro zurückgezahlt, strafrechtliche Folgen drohen wohl nicht mehr.
Vermutlich wird mancher Vorwurf auch in den auf sechs Tage terminierten Anhörungen nicht restlos aufgeklärt werden können; was im Einzelfall dran ist an einem Verdacht, lässt sich schwer beurteilen. Senken die Abgeordneten bei einem Anwärter den Daumen, muss von der Leyen darum bitten, dass die Regierung seines Herkunftslandes einen neuen Kandidaten nominiert. Sonst wird es am 23. Oktober gefährlich: Dann muss das Parlament die Kommission im Ganzen bestätigen.
Sagt es Nein, wäre das für von der Leyen ein Schuss vor den Bug – der Start der Kommission am 1. November wäre geplatzt.
Dass die Mitgliedstaaten der EU zum Teil fragwürdige Kandidaten benannt haben, ist nicht von der Leyens Schuld. Manche Abgeordnete kritisieren aber, sie hätte einige der Vorschläge gleich zurückweisen müssen.
Das zielt vor allem auf den Ungarn László Trócsányi, der das Erweiterungsressort leiten soll. Dem Ex-justizminister wird auf der linken Seite des Parlaments vorgeworfen, wegen der umstrittenen ungarischen Justizreform untragbar zu sein. Doch Trócsányi ist noch aus einem anderen Grund angezählt: Wie Plumb werden auch ihm finanzielle Interessenskonflikte vorgehalten, auch die Anhörung des Ungarn ist daher blockiert – er soll mit Blick auf eine von ihm gegründete Anwaltskanzlei, die lukrative Aufträge der ungarischen Regierung erhielt, die Unwahrheit gesagt haben.
Kritische Fragen richten sich an den künftigen Eu-außenbeauftragten Josep Borrell aus Spanien, der 2018 wegen Insiderhandel verurteilt wurde. Darf Eu-kommissar sein, wer so mit dem Gesetz in Konflikt geraten ist? Die designierte Regionalkommissarin Elisa Ferreira aus Portugal steht im Verdacht, beim Umgang mit öffentlichen Geldern familiäre Interessenkonflikte zu riskieren.
Dass einige der Kandidaten die Prüfung nicht bestehen, gilt als sicher. Schon von der Leyens Vorgänger Juncker musste 2014 eine Kommissarin vor dem Start austauschen. Die Anwärter aus Ungarn und Rumänien wird von der Leyen wohl als Erste in Kürze zurückziehen – sie wartet wohl nur noch auf eine entsprechende, formal korrekte Bitte des Parlaments.
In Ungarn tobt Premierminister Viktor Orbán schon: Die Kritik an seinem Minister sei „ein feiger Angriff aus dem Hinterhalt“. Der wahre Grund für die Ablehnung sei die ungarische Migrationspolitik, die der Justizminister mitgetragen habe, behauptet Orbán.
Wen trifft die Schuld an den Nominierungen?
Gehaltssprung
Die künftige Eu-kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gehört zu den Top-verdienern unter Europas Politikern. Außer einem Grundgehalt von 28.000 Euro erhält sie diverse Zuschläge (auch Fahrtkosten) und damit pro Monat rund 33.600 Euro. Als Bundesverteidigungsministerin bekam sie monatlich ein Gehalt von 19.500 Euro (ohne Zuschläge). (phn)