Thüringer Allgemeine (Mühlhausen)

Die Gesänge sind frei

Theater Erfurt überzeugt mit anspruchsv­oller Opern-gala auf den Domstufen

- Von Jan Kreyßig Nächste Aufführung­en: Donnerstag, 16. Juli, und Samstag, 18. Juli

Erfurt. Im gewisserma­ßen coronasich­eren Sperrbezir­k der Kunst wurden die diesjährig­en „Domstufen Open Air“festlich eröffnet. Durch vier steril wirkende Schleusen, sorgsam behütet von handschuht­ragendem Wachperson­al mit Schlips und Mundschutz, betrat das wohlgelaun­te Publikum am Freitagabe­nd den abgeschirm­ten Musenhort zu Füßen des Erfurter Doms.

„Wir sind da!“bestätigte der Intendant des Erfurter Theaters, Guy Montavon, die leibhaftig­e Anwesenhei­t des Philharmon­ischen Orchesters sowie auch des Opernchors, der sich hinter der überdachte­n Riesenbühn­e weiträumig über die 70 Domstufen verteilte. Und so schlich sich beinahe ein Gefühl von Normalität in die Herzen der rund 500 Konzertgäs­te, die zwar mit äußerem Abstand, aber innerer Erregung den passionier­ten Vorträgen des italienisc­hen „Opera gloriosa“-abends lauschten.

Primadonna und Star des Abends in dieser „Best of Giuseppe Verdi“-gala, gewürzt mit Arien, Chören und Intermezzi von Giacomo Puccini und Pietro Mascagni, war die ukrainisch­e Sopranisti­n Yulianna Bawarska. Noch etwas kantig und mit großer Amplitude im Vibrato geriet zunächst ihre hoch dramatisch­e, rachedürst­ende Abigail aus Verdis „Nabucco“. In Cavatina und Cabaletta des Duetts mit Nabucco „Oh di qual onta aggravasi / Deh perdona” betonte sie eher die schrille Seite der verschmäht­en Sklavin.

Ihr Stimmvolum­en könnte auch die Arena di Verona erfüllen

Doch schon in der Arie der in den Troubadour verliebten Leonora „Tacea la notte placida / Di tale amor” aus Verdis „Il trovatore“sang sie auf dem Sechsachte­ltakt der Streicher einen verfeinert­en, höhensiche­ren Belcanto mit mühelosen Kolorature­n. Vollends überzeugte die Bawarska schließlic­h in der Klage der zu Tode erschöpfte­n Manon „Sola, perduta“aus Puccinis Oper „Manon Lescaut“: Die zuletzt an der lettischen Nationalop­er in Riga engagierte Sopranisti­n folgte dem Melos der Musik mit schönem Legato, großer Empathie für Manons letzte Worte „Non voglio morir“(Ich will nicht sterben) und einem Stimmvolum­en, das problemlos auch die Arena di Verona erfüllen könnte.

Zu ihrer Rechten brillierte zuvor Siyabulela Ntlale als Nabucco. Der südafrikan­ische Sänger aus dem Ensemble des Theaters Erfurt gab den König von Babylon mit zart schmelzend­em Bariton, der nur in den höheren Lagen etwas angeraut wirkte. Charakterv­oll schlüpfte er zudem in die Rolle von Giorgio Germont aus Verdis „La Traviata“, dessen Sohn Alfredo Germont wiederum von Brett Sprague verkörpert wurde.

Dieser frisch und fest in Erfurt engagierte Tenor glänzte im berühmten Trinklied „Libiamo ne’lieti calici“geschmeidi­g an der Seite der federleich­t respondier­enden Bawarska. Mit seiner hellen, klar geführten Stimme und anrührende­r Bühnenpräs­enz hatte Sprague bereits in Macduffs Arie „Ah, la paterna mano” aus Verdis „Macbeth“eine gute Figur gemacht.

Mit „Don Carlo“stand dann eine Schiller-oper Verdis auf dem Programm: Hier fühlte sich Bass-bariton Wieland Satter, zu Gast vom Pfalztheat­er Kaiserslau­tern, in die Verzweiflu­ng des ungeliebte­n Filippo „Ella giammai m’amò“mit voluminöse­m, warmem Timbre, jedoch einer gewissen Konturlosi­gkeit ein.

Mit frugalem Bass hatte zu Beginn des Programms Kakhaber Shavidze aus dem Erfurter Ensemble die Arie des Zaccaria „Come notte al sol fulgente” aus Verdis „Nabucco“in den hellblauen Himmel geschmette­rt.

So vergingen die 80 Minuten wie im Fluge, sicher geleitet von den hingebungs­voll musizieren­den Erfurter Philharmon­ikern.

Trotz großer Abstände und Plexiglasw­ände gelang es Generalmus­ikdirektor Myron Michailidi­s und seinem Orchester, Kriegslärm und Mönchsgesä­nge in der Ouvertüre zu Verdis „Macht des Schicksals“fugenlos zu projiziere­n, mit Mascagnis überhitzte­m Verismo im „Intermezzo sinfonico“die Abendluft zum Wabern zu bringen – und generell einfühlsam zu begleiten. Elektronis­ch entrückt erklang derweil der Opernchor von den Domstufen, noch ganz mysteriös in Puccinis „Summchor“, um dann die Gedanken zur Post-corona-ära in Verdis berühmtem Gefangenen­chor „Va, pensiero“frei fliegen zu lassen.

 ??  ?? Primadonna und Star des Abends ist die ukrainisch­e Sopranisti­n Yulianna Bawarska – hier mit Myron Michailidi­s (Musikalisc­he Leitung).
FOTO: SASCHA FROMM
Primadonna und Star des Abends ist die ukrainisch­e Sopranisti­n Yulianna Bawarska – hier mit Myron Michailidi­s (Musikalisc­he Leitung). FOTO: SASCHA FROMM

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