Thüringer Allgemeine (Mühlhausen)
Die Gesänge sind frei
Theater Erfurt überzeugt mit anspruchsvoller Opern-gala auf den Domstufen
Erfurt. Im gewissermaßen coronasicheren Sperrbezirk der Kunst wurden die diesjährigen „Domstufen Open Air“festlich eröffnet. Durch vier steril wirkende Schleusen, sorgsam behütet von handschuhtragendem Wachpersonal mit Schlips und Mundschutz, betrat das wohlgelaunte Publikum am Freitagabend den abgeschirmten Musenhort zu Füßen des Erfurter Doms.
„Wir sind da!“bestätigte der Intendant des Erfurter Theaters, Guy Montavon, die leibhaftige Anwesenheit des Philharmonischen Orchesters sowie auch des Opernchors, der sich hinter der überdachten Riesenbühne weiträumig über die 70 Domstufen verteilte. Und so schlich sich beinahe ein Gefühl von Normalität in die Herzen der rund 500 Konzertgäste, die zwar mit äußerem Abstand, aber innerer Erregung den passionierten Vorträgen des italienischen „Opera gloriosa“-abends lauschten.
Primadonna und Star des Abends in dieser „Best of Giuseppe Verdi“-gala, gewürzt mit Arien, Chören und Intermezzi von Giacomo Puccini und Pietro Mascagni, war die ukrainische Sopranistin Yulianna Bawarska. Noch etwas kantig und mit großer Amplitude im Vibrato geriet zunächst ihre hoch dramatische, rachedürstende Abigail aus Verdis „Nabucco“. In Cavatina und Cabaletta des Duetts mit Nabucco „Oh di qual onta aggravasi / Deh perdona” betonte sie eher die schrille Seite der verschmähten Sklavin.
Ihr Stimmvolumen könnte auch die Arena di Verona erfüllen
Doch schon in der Arie der in den Troubadour verliebten Leonora „Tacea la notte placida / Di tale amor” aus Verdis „Il trovatore“sang sie auf dem Sechsachteltakt der Streicher einen verfeinerten, höhensicheren Belcanto mit mühelosen Koloraturen. Vollends überzeugte die Bawarska schließlich in der Klage der zu Tode erschöpften Manon „Sola, perduta“aus Puccinis Oper „Manon Lescaut“: Die zuletzt an der lettischen Nationaloper in Riga engagierte Sopranistin folgte dem Melos der Musik mit schönem Legato, großer Empathie für Manons letzte Worte „Non voglio morir“(Ich will nicht sterben) und einem Stimmvolumen, das problemlos auch die Arena di Verona erfüllen könnte.
Zu ihrer Rechten brillierte zuvor Siyabulela Ntlale als Nabucco. Der südafrikanische Sänger aus dem Ensemble des Theaters Erfurt gab den König von Babylon mit zart schmelzendem Bariton, der nur in den höheren Lagen etwas angeraut wirkte. Charaktervoll schlüpfte er zudem in die Rolle von Giorgio Germont aus Verdis „La Traviata“, dessen Sohn Alfredo Germont wiederum von Brett Sprague verkörpert wurde.
Dieser frisch und fest in Erfurt engagierte Tenor glänzte im berühmten Trinklied „Libiamo ne’lieti calici“geschmeidig an der Seite der federleicht respondierenden Bawarska. Mit seiner hellen, klar geführten Stimme und anrührender Bühnenpräsenz hatte Sprague bereits in Macduffs Arie „Ah, la paterna mano” aus Verdis „Macbeth“eine gute Figur gemacht.
Mit „Don Carlo“stand dann eine Schiller-oper Verdis auf dem Programm: Hier fühlte sich Bass-bariton Wieland Satter, zu Gast vom Pfalztheater Kaiserslautern, in die Verzweiflung des ungeliebten Filippo „Ella giammai m’amò“mit voluminösem, warmem Timbre, jedoch einer gewissen Konturlosigkeit ein.
Mit frugalem Bass hatte zu Beginn des Programms Kakhaber Shavidze aus dem Erfurter Ensemble die Arie des Zaccaria „Come notte al sol fulgente” aus Verdis „Nabucco“in den hellblauen Himmel geschmettert.
So vergingen die 80 Minuten wie im Fluge, sicher geleitet von den hingebungsvoll musizierenden Erfurter Philharmonikern.
Trotz großer Abstände und Plexiglaswände gelang es Generalmusikdirektor Myron Michailidis und seinem Orchester, Kriegslärm und Mönchsgesänge in der Ouvertüre zu Verdis „Macht des Schicksals“fugenlos zu projizieren, mit Mascagnis überhitztem Verismo im „Intermezzo sinfonico“die Abendluft zum Wabern zu bringen – und generell einfühlsam zu begleiten. Elektronisch entrückt erklang derweil der Opernchor von den Domstufen, noch ganz mysteriös in Puccinis „Summchor“, um dann die Gedanken zur Post-corona-ära in Verdis berühmtem Gefangenenchor „Va, pensiero“frei fliegen zu lassen.