Thüringer Allgemeine (Mühlhausen)
„Unverfügbar“und doch im Netz
Ab heute stellt der Lesezeichen-verein täglich Videos, Hörspiele und Texte der Thüringer Literaturtage online
Ranis. Die Thüringer Literaturtage hätten ihren Höhepunkt mit dem Ranis-wochenende im Juni erlebt. Stattdessen hat sich der Lesezeichen e.v. entschlossen, diese Veranstaltung coronabedingt als Onlinefestival in den Juli zu verlegen. Unter dem Titel „Vorübergehend unverfügbar“werden von heute an bis zum Sonntag täglich mehrere Videos, Hörspiele und Texte veröffentlicht.
Die Gäste sind vorwiegend Autoren, die auch im Rahmen des eigentlichen Festivals aufgetreten wären, darunter namhafte Künstler wie Lutz Seiler und Clemens Meyer. Die etwa 20-minütigen Video-beiträge – Gespräche, Vorträge, Performance und Stegreif-formate – entstanden größtenteils Mitte Juni auf Burg Ranis, wie Projektleiter Ralf Schönfelder sagt.
Der gebürtige Geraer Lutz Seiler, der das Raniser Literaturwochenende eröffnen sollte, spricht im Interview über sein aktuelles Buch. Für den Nachwende-roman „Stern 111“erhielt er in diesem Jahr den Preis der Leipziger Buchmesse. Dass Seiler zu den Dreharbeiten in Ranis überhaupt anreisen konnte, freut Schönfelder besonders. Der Autor weilte zur Corona-hochphase nämlich in seiner zweiten Heimat Stockholm.
Der Leipziger Autor Clemens Meyer trifft in seinem Video auf den ehemaligen Geschäftsführer des Lesezeichen e.v. Martin Straub. Gleich zu Beginn fragt Straub den Schriftsteller, wie dessen Figuren die Corona-zeit verbracht hätten. Die säßen, so der Autor, zu Hause und seien traurig, dass sie nicht in die Kneipe gehen könnten.
Auch feste Rubriken wie Artist in Residence, das Mdr-kultur-café oder der Poetry Slam tauchen in abgewandelter Form im Online-programm auf. Maria Cecilia Barbetta, die diesjährige Residenzkünstlerin, spricht über ihren Erfolgsroman „Nachtleuchten“. Der traditionelle
Artist-in-residence-workshop für Nachwuchsautoren wird allerdings zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt, kündigt Ralf Schönfelder an.
Gewöhnlich befragt Mdr-literaturredaktuerin Katrin Schumacher im Raniser Kultur-café Schriftsteller. In diesem Jahr steht sie selbst im Mittelpunkt und stellt ihr Sachbuch „Füchse“vor. Und aus dem traditionellen Poetry Slam wird 2020 ein
Jazz-poesie-programm: Der amtierende Deutsche Meister im Poetry Slam, der Wahljenaer Friedrich Herrmann, liefert sich einen improvisierten Schlagabtausch mit Musiker Johannes Gräbner.
Spontaneität beweisen auch Illustrator Mehrdad Zaeri und Stegreiferzählerin Antje Horn. Während Zaeri mit schneller Hand Zeichnungen anfertigt, improvisiert Horn dazu Geschichten. Darüber hinaus wird Jan Skudlarek über Fake News und Verschwörungstheorien referieren, Soziologie-professor Hartmut Rosa beschäftigt sich mit dem Phänomen der „Unverfügbarkeit“und Künstler Tommy Neuwirth wird zu demselben Thema eine Videoperformance gestalten.
Alle Beiträge werden im Internet veröffentlicht, zu finden auf: www.thueringer-literaturtage.de