Thüringer Allgemeine (Mühlhausen)
Teurer Sport
Im Kampf um das Überleben wehren sich die Vereine gegen deutlich gestiegene Beiträge der Unfallversicherung
Erfurt. Von der Landespolitik sind die Thüringer Top-vereine mit dem Ruf nach Hilfe erhört worden, auch von der Bundesregierung dürfen sie Unterstützung erwarten. Bei der Verwaltungs-berufsgenossenschaft (VBG) beißen sie indes auf Granit. Die gesetzliche Unfallversicherung weicht von den erhöhten Beiträgen nicht ab. Aufgrund der Corona-krise ein Riesenproblem für die Klubs, die nationalen Profiligen wehren sich und stellen das System infrage.
„Die VBG steht nach wie vor in einem guten und konstruktiven Dialog mit den nationalen Verbänden“, antwortete die Verwaltungsberufsgenossenschaft auf Anfrage. Sie beschreibt so einen Teil der aktuellen Lage. Der andere stellt sich so dar, dass sich ihr Widerspruchsausschuss einem Berg Arbeit gegenüber sieht. Die Profiligen von Basketball über Eishockey bis Handball haben ihren Vereinen empfohlen, Widerspruch gegen die Beitragsbescheide der VBG einzulegen. Rechtsexperten beschäftigen sich damit, die Einwände juristisch zu untersetzen. Möglich, dass es zu Musterklagen kommt.
Mit Ausnahme der ersten und zweiten Fußball-bundesliga empören sich die Klubs sportartenübergreifend über die Höhe der Forderungen. Durch die Anhebung des Beitragsfußes von 3,9 auf 4,6, geht es für das zurückliegende Jahr um um fast ein Fünftel gestiegene Beiträge für die Unfallversicherung.
„Auch ohne die Corona-krise wäre das eine bittere Pille gewesen – aber jetzt schlägt es dem Fass den Boden aus“, zitierte die Frankfurter Rundschau im Mai Frank Bohmann. Der Geschäftsführer der Handball-bundesliga (HBL) sprach René Witte aus der Seele. Der Manager des Handball-zweitligisten THSV Eisenach kritisiert vor dem Hintergrund der einnahmenlosen Zeit zu geringes Entgegenkommen.
Die VBG räumt einzig die Möglichkeit einer gestaffelten Zahlung bis Jahresende ein. Die Hälfte im Mai, den Rest auf Raten. In Zehnprozent-schritten stottert der THSV so etwa trotz einer vorher geschaffenen Rücklage den Beitrag ab.
Kein Erlass, keine Stundung bis ins nächste Jahr. „Ich hoffe, dass sich daran noch etwas ändert“, meint Witte angesichts der Probleme, die mit der angekündigten, aber doch zur Unzeit kommenden Beitragserhöhung verbunden sind.
Für die Erstligisten sind die Nöte wohl noch größer. Der Frankfurter Rundschau zufolge haben die 14 Klubs der Deutschen Eishockey-liga (DEL) jeweils zwischen 100.000 und 150.000 Euro mehr zu zahlen, pro Saison. Gesamtforderungen der VBG von mehr als 10 Millionen Euro stünde durch die abgebrochene Saison ein Einnahmeverlust von 20 Millionen Euro gegenüber. Der Schaden im Handball werde auf 25 Millionen Euro geschätzt.
Die Sorgen der Profiklubs scheinen bei der Berufsgenossenschaft so nicht anzukommen. Bisher hätten etwa 70 Prozent der Sportunternehmen den gesamten Beitrag beglichen. Nur ein Viertel habe eine Ratenzahlung vereinbart. „Dies zeigt, dass die Mehrheit der Beitragsforderung bereits nachgekommen ist und das Angebot der besonderen Zahlungserleichterungen, wie von allen Branchen in der VBG, gut angenommen wurde“, heißt es von der VBG.
Eine Alternative zum Zahlen hätten die Vereine von Handball bis Basketball auch nicht. Wollen sie die Lizenz, darf es keine Außenstände bei Institutionen wie der Unfallversicherung geben. René Witte betrachtet mit Sorge, welche Höhe die Beiträge erreicht haben. Und welche sie noch erreichen werden.
Auf Grundlage der Beitragsformel sind für 2019 bei einem Jahresbrutto eines Spieler von beispielsweise 50.000 Euro knapp 14.000 Euro für die Unfallversicherung zu entrichten. Für einen Busfahrer wären keine 500 Euro fällig. Und die
Kosten steigen. 2022 sind es fast 16.000 Euro, weil die Gefahrenklasse für den Sportbereich als weiterer Faktor steigt. Im Vergleich dazu hätte die Beitragsforderung vor zehn Jahren bei 10.000 Euro gelegen.
„Die Verhältnismäßigkeit stimmt nicht mehr“, sagt Witte. Er zielt auch auf den Lastenausgleich im Sport ab. Ein Freizeitsportler, der etwa ein paar hundert Euro verdient, bekommt aus dem gleichen Topf die gleichen vollen Leistungen, nur für einen Bruchteil. Wie Vertreter anderer Sportarten wünschte sich der Thsv-manager eine Art Eintrittsuntergrenze von etwa 20.000 Euro.
Gerade den Sport betrachtet die Berufsgenossenschaft wiederum als Bereich mit dem höchsten Risiko. „Die Anzahl der Unfälle und somit auch die Kosten für Unfälle im bezahlten Sport sind im Vergleich mit anderen Branchen weiterhin überproportional hoch“, so die VBG. Durch die stufenweise Anhebung des Gefahrtarifes werde verhindert, dass Sportunternehmen von übermäßigen Beitragssprüngen betroffen seien. Ohnehin profitierte der Sport von der Solidargemeinschaft. In der trügen andere Branchen weiterhin die Lasten mit.
Das Risiko untersetzt der Vbgunfallreport. Im Ergebnis einer Betrachtung der ersten und zweiten Ligen der Männer über drei Jahre steht Fußball als Sportart mit den meisten Verletzungen. Pro Spieler und Saison liegt der Wert bei 2,66. Ein Basketballer im Profisport kommt knapp auf zwei Verletzungen,
nach Eishockey liegt Handball nah an den Werten des Fußballs. In diesen beiden Sportarten fällt jeder Spieler im Schnitt knapp einen Monat pro Saison aus. Überhaupt gab es in den acht Ligen von 2014 bis 2017 mehr als 22.000 Verletzungen. Für die Saison 2014/15 schlagen 8500 Verletzungen zu Buche. Jeder der 3500 Sportler war statistisch betrachtet also zweimal verletzt. Zusammenkommen 75.000 Fehltage, mehr als 200 Jahre.
Der Gefahrtarif im Sport liegt so inzwischen nahezu zehnmal über dem der höchsten anderer Branchen. Tendenz steigend. Die Vereine hätten jedoch die Chance, durch Präventionsmaßnahmen die Belastungen selbst zu senken, heißt es von der VBG. Sie führt an, weder Gelder von Sponsoren noch staatliche Mittel zu erhalten, um ihre gesetzlichen Aufgaben zu finanzieren.
Auf der anderen Seite weist die Vbg-bilanz der letzten beiden Jahre eine Rücklage von rund 500 Millionen Euro aus.
Die Bundesregierung scheint etwas Feuer aus der Debatte zu nehmen. Eine Summe von 200 Millionen Euro stellt sie den Teams der Profi-ligen in Aussicht, um Verluste durch die ausgefallenen Spiele oder Partien vor leeren Rängen auszugleichen. Thüringen beschloss für den Profisport eine Förderung von sechs Millionen, um ebenfalls die Nöte der Vereine zu lindern.
Kein Kleingeld und wie jeder Cent für die Klubs eine große Hilfe.
Für den Moment.
„Die Verhältnismäßigkeit stimmt nicht mehr.“René Witte, Manager des Handballzweitligisten THSV Eisenach, zu der Höhe der Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung