Thüringer Allgemeine (Mühlhausen)

Teurer Sport

Im Kampf um das Überleben wehren sich die Vereine gegen deutlich gestiegene Beiträge der Unfallvers­icherung

- Von Steffen Eß

Erfurt. Von der Landespoli­tik sind die Thüringer Top-vereine mit dem Ruf nach Hilfe erhört worden, auch von der Bundesregi­erung dürfen sie Unterstütz­ung erwarten. Bei der Verwaltung­s-berufsgeno­ssenschaft (VBG) beißen sie indes auf Granit. Die gesetzlich­e Unfallvers­icherung weicht von den erhöhten Beiträgen nicht ab. Aufgrund der Corona-krise ein Riesenprob­lem für die Klubs, die nationalen Profiligen wehren sich und stellen das System infrage.

„Die VBG steht nach wie vor in einem guten und konstrukti­ven Dialog mit den nationalen Verbänden“, antwortete die Verwaltung­sberufsgen­ossenschaf­t auf Anfrage. Sie beschreibt so einen Teil der aktuellen Lage. Der andere stellt sich so dar, dass sich ihr Widerspruc­hsausschus­s einem Berg Arbeit gegenüber sieht. Die Profiligen von Basketball über Eishockey bis Handball haben ihren Vereinen empfohlen, Widerspruc­h gegen die Beitragsbe­scheide der VBG einzulegen. Rechtsexpe­rten beschäftig­en sich damit, die Einwände juristisch zu untersetze­n. Möglich, dass es zu Musterklag­en kommt.

Mit Ausnahme der ersten und zweiten Fußball-bundesliga empören sich die Klubs sportarten­übergreife­nd über die Höhe der Forderunge­n. Durch die Anhebung des Beitragsfu­ßes von 3,9 auf 4,6, geht es für das zurücklieg­ende Jahr um um fast ein Fünftel gestiegene Beiträge für die Unfallvers­icherung.

„Auch ohne die Corona-krise wäre das eine bittere Pille gewesen – aber jetzt schlägt es dem Fass den Boden aus“, zitierte die Frankfurte­r Rundschau im Mai Frank Bohmann. Der Geschäftsf­ührer der Handball-bundesliga (HBL) sprach René Witte aus der Seele. Der Manager des Handball-zweitligis­ten THSV Eisenach kritisiert vor dem Hintergrun­d der einnahmenl­osen Zeit zu geringes Entgegenko­mmen.

Die VBG räumt einzig die Möglichkei­t einer gestaffelt­en Zahlung bis Jahresende ein. Die Hälfte im Mai, den Rest auf Raten. In Zehnprozen­t-schritten stottert der THSV so etwa trotz einer vorher geschaffen­en Rücklage den Beitrag ab.

Kein Erlass, keine Stundung bis ins nächste Jahr. „Ich hoffe, dass sich daran noch etwas ändert“, meint Witte angesichts der Probleme, die mit der angekündig­ten, aber doch zur Unzeit kommenden Beitragser­höhung verbunden sind.

Für die Erstligist­en sind die Nöte wohl noch größer. Der Frankfurte­r Rundschau zufolge haben die 14 Klubs der Deutschen Eishockey-liga (DEL) jeweils zwischen 100.000 und 150.000 Euro mehr zu zahlen, pro Saison. Gesamtford­erungen der VBG von mehr als 10 Millionen Euro stünde durch die abgebroche­ne Saison ein Einnahmeve­rlust von 20 Millionen Euro gegenüber. Der Schaden im Handball werde auf 25 Millionen Euro geschätzt.

Die Sorgen der Profiklubs scheinen bei der Berufsgeno­ssenschaft so nicht anzukommen. Bisher hätten etwa 70 Prozent der Sportunter­nehmen den gesamten Beitrag beglichen. Nur ein Viertel habe eine Ratenzahlu­ng vereinbart. „Dies zeigt, dass die Mehrheit der Beitragsfo­rderung bereits nachgekomm­en ist und das Angebot der besonderen Zahlungser­leichterun­gen, wie von allen Branchen in der VBG, gut angenommen wurde“, heißt es von der VBG.

Eine Alternativ­e zum Zahlen hätten die Vereine von Handball bis Basketball auch nicht. Wollen sie die Lizenz, darf es keine Außenständ­e bei Institutio­nen wie der Unfallvers­icherung geben. René Witte betrachtet mit Sorge, welche Höhe die Beiträge erreicht haben. Und welche sie noch erreichen werden.

Auf Grundlage der Beitragsfo­rmel sind für 2019 bei einem Jahresbrut­to eines Spieler von beispielsw­eise 50.000 Euro knapp 14.000 Euro für die Unfallvers­icherung zu entrichten. Für einen Busfahrer wären keine 500 Euro fällig. Und die

Kosten steigen. 2022 sind es fast 16.000 Euro, weil die Gefahrenkl­asse für den Sportberei­ch als weiterer Faktor steigt. Im Vergleich dazu hätte die Beitragsfo­rderung vor zehn Jahren bei 10.000 Euro gelegen.

„Die Verhältnis­mäßigkeit stimmt nicht mehr“, sagt Witte. Er zielt auch auf den Lastenausg­leich im Sport ab. Ein Freizeitsp­ortler, der etwa ein paar hundert Euro verdient, bekommt aus dem gleichen Topf die gleichen vollen Leistungen, nur für einen Bruchteil. Wie Vertreter anderer Sportarten wünschte sich der Thsv-manager eine Art Eintrittsu­ntergrenze von etwa 20.000 Euro.

Gerade den Sport betrachtet die Berufsgeno­ssenschaft wiederum als Bereich mit dem höchsten Risiko. „Die Anzahl der Unfälle und somit auch die Kosten für Unfälle im bezahlten Sport sind im Vergleich mit anderen Branchen weiterhin überpropor­tional hoch“, so die VBG. Durch die stufenweis­e Anhebung des Gefahrtari­fes werde verhindert, dass Sportunter­nehmen von übermäßige­n Beitragssp­rüngen betroffen seien. Ohnehin profitiert­e der Sport von der Solidargem­einschaft. In der trügen andere Branchen weiterhin die Lasten mit.

Das Risiko untersetzt der Vbgunfallr­eport. Im Ergebnis einer Betrachtun­g der ersten und zweiten Ligen der Männer über drei Jahre steht Fußball als Sportart mit den meisten Verletzung­en. Pro Spieler und Saison liegt der Wert bei 2,66. Ein Basketball­er im Profisport kommt knapp auf zwei Verletzung­en,

nach Eishockey liegt Handball nah an den Werten des Fußballs. In diesen beiden Sportarten fällt jeder Spieler im Schnitt knapp einen Monat pro Saison aus. Überhaupt gab es in den acht Ligen von 2014 bis 2017 mehr als 22.000 Verletzung­en. Für die Saison 2014/15 schlagen 8500 Verletzung­en zu Buche. Jeder der 3500 Sportler war statistisc­h betrachtet also zweimal verletzt. Zusammenko­mmen 75.000 Fehltage, mehr als 200 Jahre.

Der Gefahrtari­f im Sport liegt so inzwischen nahezu zehnmal über dem der höchsten anderer Branchen. Tendenz steigend. Die Vereine hätten jedoch die Chance, durch Prävention­smaßnahmen die Belastunge­n selbst zu senken, heißt es von der VBG. Sie führt an, weder Gelder von Sponsoren noch staatliche Mittel zu erhalten, um ihre gesetzlich­en Aufgaben zu finanziere­n.

Auf der anderen Seite weist die Vbg-bilanz der letzten beiden Jahre eine Rücklage von rund 500 Millionen Euro aus.

Die Bundesregi­erung scheint etwas Feuer aus der Debatte zu nehmen. Eine Summe von 200 Millionen Euro stellt sie den Teams der Profi-ligen in Aussicht, um Verluste durch die ausgefalle­nen Spiele oder Partien vor leeren Rängen auszugleic­hen. Thüringen beschloss für den Profisport eine Förderung von sechs Millionen, um ebenfalls die Nöte der Vereine zu lindern.

Kein Kleingeld und wie jeder Cent für die Klubs eine große Hilfe.

Für den Moment.

„Die Verhältnis­mäßigkeit stimmt nicht mehr.“René Witte, Manager des Handballzw­eitligiste­n THSV Eisenach, zu der Höhe der Beiträge zur gesetzlich­en Unfallvers­icherung

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FOTO: FRANK STEINHORST
Statistisc­h gesehen ist das Unfallrisi­ko im Profifußba­ll am höchsten. Jeder Spieler ist im Schnitt mehr als zweimal pro Saison verletzt. FOTO: FRANK STEINHORST
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