Thüringer Allgemeine (Mühlhausen)
Brückenbauer für soziale Gerechtigkeit
Der Weimarer Theologe und Bürgerrechtler Edelbert Richter ist mit 78 Jahren gestorben
Wer ihn kannte, erinnert sich an Klarheit, Konsequenz und Rauchschwaden. Edelbert Richter war leidenschaftlicher Zigarettenkonsument, die F6 stets in Griffweite. Als Interviewer hatte man dies zu akzeptieren. Freundliches Zugeständnis, auch im Winter, war allenfalls ein Platz auf der Veranda.
Der Bürgerrechtler und Theologe Richter hatte immer etwas zu sagen. Vor allem dann, wenn ihm demokratische Werte, Humanität und Mitgefühl mit den einfachen Leuten in Gefahr schienen. Er schrieb Bücher, Gastbeiträge für Zeitungen, war gern Gast bei Podien und suchte auch von sich aus das Gespräch mit Journalisten. Der Mitbegründer des Demokratischen Aufbruchs (DA) in der Wendezeit, der seine politische Heimat danach in der SPD wähnte, verließ die Partei im Jahr 2005, als sie seiner Meinung nach mit der Agenda 2010 die Prinzipien eines sozialen Miteinanders verriet. Die SPD arbeite beharrlich an ihrem eigenen Untergang und dem der Demokratie, schrieb er. Seine neue politische Bleibe fand Richter 2007 bei den Linken.
Linke Hoffnungen hegte Richter schon als Oppositioneller in der DDR. Ehrhard Neubert bezeichnet ihn in seiner Geschichte der Ddropposition
als wesentlichen Inspirator des christlich-marxistischen Dialogs. Bei aller propagierten ideologischen Unvereinbarkeit verband Protestanten und Marxisten nach Richters Meinung ein hermeneutischer Wahrheitsbegriff. Selbst entstammte der am 25. Februar 1943 geborene Richter einer Bitterfelder Arbeiterfamilie. Vom 1961 aufgenommenen Philosophie-studium in Berlin wurde er wegen politischer Unbotmäßigkeit exmatrikuliert. Nach zwei Jahren als Kranführer studierte er ab 1963 Theologie in Halle. Ende der 1980er war er als Pfarrer und Dozent an der Predigerschule in Erfurt tätig. Seine Frau leitete das Frauenwerk Thüringen. Beide engagierten sich in der Friejuni dens- und Ökologiebewegung. Schon da dachte der Theologe Richter über die Wiedervereinigung nach. Dass sie so rasant kommen würde, ahnte er damals nicht.
Die Wendezeit begann für Edelbert Richter im Sommer 1989. Ende
wurde bei einem Treffen von Kirchenvertretern und Oppositionellen in Berlin die Gründung basisdemokratischer Gruppen vereinbart. Dass man sich nicht auf eine einheitliche Bürgerbewegung einigen konnte, wusste auch Richter nicht zu verhindern. Dennoch stellten bei einem der ersten Nachwende-foren in Thüringen Richter und Matthias Büchner vom Neuen Forum ihre Bewegungen im September 1989 gemeinsam in der Augustinerkirche vor. Die Geschichte sei immer schneller gewesen, die Politik von den Ereignissen überrannt worden und oft nicht mehr steuerbar gewesen, resümierte er einmal.
Richter suchte Anfang der 1990er auch ganz praktisch den Weg in die
Politik. Im Bundestag saß er von 1994 bis 2002. 1997 gehörte er zu den Mitunterzeichnern der Erfurter Erklärung „Bis hierher und nicht weiter“gegen Ungerechtigkeit und Sozialverschleiß. Er war Mitglied der Enquetekommission „Globalisierung der Weltwirtschaft“und engagierte sich bei Attac.
Christentum und Demokratie blieben für Edelbert Richter zeitlebens zwei Seiten einer Medaille. Schon vor Jahren forderte er eine konsequente Aufarbeitung der Treuhand. Ihre Arbeit bezeichnete er als die größte Katastrophe in der neueren Wirtschaftsgeschichte Ostdeutschlands. Am Wochenende ist Edelbert Richter im Alter von 78 Jahren in Weimar gestorben.