Thüringer Allgemeine (Mühlhausen)
Der letzte Vorhang
Zum Tod des Schauspielers Herbert Köfer, der am Samstag mit 100 Jahren verstarb
Wer mit dem Ddr-fernsehen aufwuchs, den wird es nicht verwundern: Es scheint, als wäre der Schauspieler, der am 17. Februar dieses Jahres seinen 100. Geburtstag erleben durfte, schon immer dabei gewesen. Und genau so ist es auch.
Am 21. Dezember 1952 begann das Versuchsprogramm des Deutschen Fernsehfunks mit der Nachrichtensendung „Aktuelle Kamera“. Und am 31. Dezember 1991 wurde die Geschichte des Senders beendet mit der Sylvester-revue „Auf ein Neues“. Der Sprecher dieser Ouvertüre war Herbert Köfer, und der Moderator dieses Abgesangs war er auch. Darin liegt Konsequenz wie Symbolik, denn Köfer war einer der beliebtesten Protagonisten des Fernsehens der DDR.
Das Leben eines Hundertjährigen wird illuminiert durch die Magie der runden Zahl. Diese „100“gewinnt ihre Magie aus der Seltenheit, mit der Menschen sie erleben dürfen. Acht- oder neunmal vom Publikum zum Fernsehliebling gewählt, steht Herbert Köfer für das, was der DDR, neben der brutalstmöglichen politischen Verlautbarung, am wichtigsten war: Ein problemfreier, volkstümlicher und etwas biederer Humor. Köfer erkannte und nutzte früh sein Talent für die Massenmedien. Die legendäre Radio-soap „Neumann, 2x klingeln“, später das redensartliche „Rentner haben niemals Zeit“, oder die heiteren „Geschichten übern Gartenzaun“, das waren – ob das Wort gerade en vogue war oder nicht – Geschichten aus der sozialistischen Menschengemeinschaft. Geschichten, wie es sein könnte, wenn es so wäre, wie es sein sollte. Geschichten, die, anders als das Wort, von vielen Leuten wirklich geliebt wurden. Der Grund dafür war wesentlich die Popularität, die Herbert Köfer im Verein mit der 2010 gestorbenen Helga Göring genoss.
Rollen wie der Ss-offizier in Frank Beyers „Nackt unter Wölfen“oder der Gutsverwalter in Hansjoachim Kasprziks herausragender Verfilmung von Falladas „Wolf unter Wölfen“blieben da eher die Ausnahme. Köfer hätte wohl auf vielen Bühnen ein guter Schauspieler guter Rollen sein können, anders jedoch als etwa der Kapitän „Zur See“Horst Drinda wäre er kaum der Protagonist eines ersten Hauses geworden. Dabei war er 1950 am Deutschen Theater bei Wolfgang Langhoff, aber entschied sich dann für das neue Medium Fernsehen.
Manchmal klang es, wenn er später darüber sprach, beinahe ein wenig bedauernd, denn so hat er nie erfahren, was auf einer Bühne, in den Höhenlagen des Berufes, für ihn möglich gewesen wäre, das ist der Preis dieser ungemeinen anhaltenden Popularität.
Es steht für die Qualität dieses Schauspielers, dass er als einstiger Protagonist des Ddr-fernsehens mühelos ein gesamtdeutscher Lustspieler wurde, im Fernsehen und auf dem Boulevard-theater, wo er sich ein neues Publikum erwarb, für das er keine freundliche-angenehme Erinnerung war, wie er es hier im Osten ist.
Diese Erinnerungen verarbeitete er in einem Buch, das zu seinem 99. Geburtstag erschien. Die geplanten Lesungen mussten mehrheitlich gestrichen werden, die Pandemie, Herbert Köfer hat das heftig bedauert. Er musste nicht mehr fürs Geld tingeln gehen, es ging ihm schon lang nicht mehr um die Gagen. Es ging um seinen Grund des Seins: Ich spiele, also bin ich, so geht der Grund-satz der Gaukler. Herbert Köfer ist darin Johannes Heesters nahe, der die 108 schaffte und den er beerbte als der weltweit dienstälteste aktive Schauspieler.
Die 100 ist eine magische Schwelle. Wer sie überschreitet, ist noch immer ein Mensch, doch wir nehmen ihn ein wenig so wahr, als sei er schon nicht mehr wirklich noch einer von uns. Als lüfte die Schöpfung für einen Augenblick den Vorhang vor ihrem letzten Geheimnis, das wir eines Tages angstvoll zu entdecken haben. Und es ist, als sähen wir für einen Augenblick hinter den Vorhang. Am Sonnabend trat auch Herbert Köfer hinter diesen letzten Vorhang.