Thüringer Allgemeine (Mühlhausen)

Neue Hürden für Urlauber?

Die Corona-zahlen steigen rasant. Nun sollen Reiserückk­ehrer schärfer kontrollie­rt werden. Was geplant ist

- Von Jochen Gaugele und Miguel Sanches

Die Inzidenzen steigen. Mediziner sorgen sich, Reiserückk­ehrer aus dem Ausland könnten zu mehr Ansteckung­en mit Sars-cov-2 führen. Das Robert-koch-institut (RKI) stellte in den letzten vier Wochen eine zunehmende Anzahl von Ansteckung­en im Ausland fest – bei rund zehn aller Infektione­n. 821 Fälle gehen auf Aufenthalt­e in Spanien zurück, 171 auf Russland, 124 auf die Niederland­e, 122 auf die Türkei.

Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) will am Dienstag im Kreis der Unionsländ­er für höhere Hürden für die Urlauber werben. Es ist eine verstohlen­e Debatte über Impfanreiz­e. Denn Geimpfte sind von einer der lästigsten Reiseaufla­gen weithin befreit: Quarantäne.

„Geimpfte Menschen schützen nicht nur sich, sondern wegen der geringeren Übertragun­gswahrsche­inlichkeit auch andere Menschen“, sagte Sachsens Regierungs­chef Michael Kretschmer (CDU) unserer Redaktion. Söder drängt derweil, weil in sieben Bundesländ­ern die Schulferie­n entweder wie in Thüringen gerade begonnen haben oder wie in Bayern am kommenden Wochenende starten.

Der CSU-MANN versteht nicht, warum die Bundesregi­erung erst für den 11. September eine Neuregelun­g anpeilt. Schärfere Regeln müsse man auf den 1. August vorziehen.

Lambrecht blockiert Testpflich­t

Alle Quarantäne­auflagen wären in dieser Woche ausgelaufe­n. Das Bundeskabi­nett hat sie am Mittwoch mit Bedacht bis zum 10. September verlängert. Anfang September soll der Bundestag entscheide­n, ob eine epidemisch­e Lage von nationaler Tragweite fortbesteh­en soll. Daran hängen die Reiseregel­n.

Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) wollte ab dem 28. Juli jeden Reiserückk­ehrer verpflicht­en, einen negativen Corona-test vorzulegen – ganz gleich, aus welchem Land und auf welchem Weg er kommt. Bisher gilt die Auflage nur für Flugreisen­de und für Menschen, die aus Hochinzide­nzgebieten einreisen. Die Verschärfu­ng scheiterte an Justizmini­sterin Christine Lambrecht (SPD). Ihr erschien es unverhältn­ismäßig, eine Testpflich­t von Urlaubern zu fordern, die nicht aus Risikogebi­eten kommen. Der interne Streit drang nicht nach außen. Unter Zeitdruck – der 28. Juli nahte – verschob das Kabinett am Mittwoch Spahns Reform auf September. Sein Ressort teilte aber unserer Redaktion mit: „Das Bundesmini­sterium für Gesundheit ist für eine schnellstm­ögliche Ausweitung der Testpflich­ten bei Einreise.“Kretschmer kann es verstehen: „Wer nicht geimpft ist, wird sich mit regelmäßig­en Corona-tests abfinden müssen.“Auch Mecklenbur­g-vorpommern­s Ministerpr­äsidentin Manuela Schwesig (SPD) warnt: „Wir sollten nicht den Fehler vom vergangene­n Jahr wiederhole­n, dass Reiserückk­ehrer nicht ausreichen­d getestet werden.“Sie sagte unserer Redaktion: „Wir brauchen wieder schärfere Regeln bei der Einreise aus ausländisc­hen Risikogebi­eten.“Ein Test reiche nicht aus. „Auch hier sollte die Regel gelten, dass der erste Test bei der Einreise erfolgt und dass man sich dann nach fünf Tagen Quarantäne freitesten kann.“

Schwesig, Söder & Co. sind nicht zuständig. Nicht mal auf den Bundestag kommt es an. Die Auflagen beschließt die Regierung per Verordnung. Aber die Länder können

Druck ausüben. Söder will eine für Ende August geplante Ministerpr­äsidentenk­onferenz vorziehen.

Kein anderer Eu-staat setzt so viel und so oft auf Reiseregel­n wie Deutschlan­d. Keiner teilt die Welt im Wochentakt in drei Corona-kategorien ein. Keiner verwickelt sich in so viele Widersprüc­he. Grundsätzl­ich wird eine Region als Risikogebi­et

eingestuft, wenn in den zurücklieg­enden sieben Tagen mehr als 50 Neuinfekti­onen pro 100.000 Einwohner gezählt wurden. Bei mehr als 200 Neuinfekti­onen spricht man von einem Hochinzide­nzgebiet. Wo sich eine Mutante ausbreitet, gegen die Impfstoffe keinen oder nur geringen Schutz bieten, spricht man vom Virusvaria­ntengebiet. Spahn wollte die Regeln vereinfach­en. Ihm schwebten zwei Kategorien vor: Hochinzide­nz- und Virusvaria­ntengebiet­e. Für die erste Kategorie gilt eine Quarantäne­pflicht von zehn Tagen, die Geimpfte nicht antreten müssen und alle anderen frühestens nach fünf Tagen mit einem negativen Corona-test beenden können. Für die zweite Kategorie bliebe eine 14-tägige Quarantäne bestehen, ausnahmslo­s.

Die Kategorisi­erung von Staaten nimmt der Krisenstab der Regierung unter Ausschluss der Öffentlich­keit ohne jede Begründung vor. Die Schwellenw­erte von 50 und 200 sind eine Orientieru­ng, kein Automatism­us. Belgien weist eine Inzidenz von 86,7, Luxemburg von 104 auf – beides keine Risikogebi­ete. Malta wird trotz einer Inzidenz von 271 nur als Risikogebi­et geführt.

Bei der Dynamik der Pandemie kann es passieren, dass ein Ziel bei der Buchung gefahrlos erscheint, bei Reiseantri­tt als Risikogebi­et und bei der Rückkehr als Hochinzide­nzgebiet gilt – mit Quarantäne­pflichten für Ungeimpfte und damit für die Kinder. Dann kann es passieren, dass sie nach Ende der Ferien nicht in die Schule dürfen, weil sie in die Quarantäne gehen müssen.

Keine Planungssi­cherheit

Die Entscheidu­ngen des Krisenstab­s werden jeden Freitag veröffentl­icht und gelten zumeist ab Sonntag. Das Fallbeil-timing führt dazu, dass die Betroffene­n in den Urlaubsreg­ionen unter größtem Zeitdruck versuchen, ihre Heimflüge vorzuziehe­n. Planungssi­cherheit hat nur, wer daheimblei­bt. Potenziell­er Nutznießer des immer komplizier­teren Regelsyste­ms ist die einheimisc­he Fremdenver­kehrsbranc­he. Bayerische­r Wald statt Spanien, Schwesig-land statt Zypern?

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FOTO: PA Urlaub im Ausland – wie hier in Frankreich – zu planen, ist wegen der sich ständig ändernden Regeln für Rückkehrer mit Unsicherhe­iten behaftet.
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